Anton Wilhelm Schelle, geboren am 9. Januar 1909 in Konstanz-Wollmatingen, begleitete Überlingen durch eine geschichtliche Epoche, die für tief greifende Änderungen steht, für eine Zeit, in der Überlingen sein Gesicht total wandelte, für den Aufbruch in unsere heutige Welt. Am 21. März 1999 verstarb Schelle, der von 1948 bis 1969 Bürgermeister von Überlingen war.

Zuerst einmal galt es nach dem Krieg die unmittelbare Versorgung der Bevölkerung zu regeln: Es ging um Nahrung und Wohnraum. Als dies gewährleistet war, wandten er und die Stadtväter sich anderen Aufgaben zu, die für den Blick in die Zukunft stehen: Nach dem Bau von Kursaal und Kurmittelhaus war Überlingen das „südlichste Kneippheilbad“ Deutschland. Überlingen gab sich als erste Stadt in Südbaden einen Flächennutzungsplan, was eine „weitblickende Grundstückspolitik der Stadt und dann letztendlich auch die Burgbergbebauung nach sich zog“. So würdigt der SÜDKURIER Schelle im Nachruf am 23. März 1999 und verweist weiter: „Die lange Jahre umstrittene und für die Stadt lebenswichtige Umgehungsstraße im Zuge der Bundesstraße 31 wurde von Schelle durchgesetzt.“

Neue Betriebe und größere Gewerbegebiete

Umstritten ist aber bis heute auch der Burgberg – zumindest was die Bauästhetik betrifft. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass dies dem Zeitgeschmack der 1960er-Jahre entsprach und Schelle wie auch der Gemeinderat umgetrieben wurden vom Bestreben, die wieder große Wohnungsnot zu beheben. Noch Mitte der 1990er-Jahre, der betagte Schelle ließ sich nach einem Narrenkonzert im „Grünen Baum“ sein geliebtes Schnäpsle schmecken, meinte er: „Wenn ich auf etwas im Leben wirklich stolz bin, dann ist es der Burgberg.“ Und er begründete dies mit der Schaffung des dringend nötigen Wohnraums.

Getreu der Devise, Überlingen müsse wirtschaftlich auf zwei Beinen stehen, neben Kurwesen und Fremdenverkehr auch Gewerbe, wurden unter Schelle Gewerbegebiete erschlossen und neue Betriebe angesiedelt. Beim Amtsantritt von Schelle Schelles betrug das Gewerbesteueraufkommen lediglich 85.000 Mark – bis zum Ende seiner Amtszeit war sie bei unverändertem Hebesatz auf 3 Millionen Mark angestiegen.

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Infrastruktur der Stadt wächst in der Ära Schelle

Rasant wuchs auch die Infrastruktur der Stadt. Das Straßennetz dehnte sich vom Seeufer aus gesehen nach allen Richtungen aus. Parallel zu den Wohnungen wurden Schulen gebaut, darunter die Wiestorschule und das Gymnasium. Und das städtische Krankenhaus entstand.

Schelle beförderte nicht nur wirtschaftliche und soziale Entwicklungen, sondern kümmerte sich auch um die kulturellen Bedürfnisse. Schon 1953 wurde der Bodensee-Literaturpreis geschaffen und ebenfalls die Internationalen Überlinger Meisterkonzerte.

Als Anton Wilhelm Schelle Bürgermeister war, zählte Überlingen rund 8000 Einwohner.
Als Anton Wilhelm Schelle Bürgermeister war, zählte Überlingen rund 8000 Einwohner. | Bild: Hilser, Stefan

Schelles Amtsführung habe sich durch zwei Merkmale ausgezeichnet, hieß es immer wieder in den Würdigungen zu seinen vielen runden Geburtstagen, die er nach dem Ende des Amtes noch erleben durfte: Eine äußerst sparsame Haushaltsführung und eine effektive, straff geführte Verwaltung. Zum 80. Geburtstag Schelles, die Stadt gab aus diesem Anlass einen Empfang, stellte der damalige CDU-Ortsvorsitzende Lothar Fritz fest, Schelle buchstabiere sich so: „S wie solide und sparsam, C wie christlich, H wie humorvoll, E wie energisch, L wie lebensfroh und gesellig, nochmals L wie liebenswürdig und noch ein E wie eigenständig und unabhängig.“

Große Liebe zur alten Reichsstadt

Auch Schelle brachte die wichtigste Eigenschaft für einen erfolgreichen Überlinger Bürgermeister mit: Er liebte die alte Reichsstadt. Was sich auch darin zeigt, dass der gebürtige Wollmatinger, er stammte aus einer streng katholischen Eisenbahnerfamilie, nach seiner Abwahl 1969 in der Stadt blieb, in die er nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Freiburg, Wien, Berlin und Heidelberg, nach Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft 1946 gekommen war. Damals hatte er sich als erster Rechtsanwalt der Nachkriegszeit in der Stadt niedergelassen. Bald knüpfte er politische Kontakte und wirkte an der Gründung der örtlichen CDU mit, deren erster Ortsvorsitzender er wurde.

Dass sich Schelle nach 21 Jahren im Amt überraschend einem jungen Rechtsanwaltskollegen und SPD-Genossen namens Reinhard Ebersbach geschlagen geben musste, erklärt sich wohl aus er Entwicklung seiner Persönlichkeit im Amt heraus. In über zwei Jahrzehnten hatte sich sein unverbrüchliches Selbstbewusstsein noch deutlich weiter entwickelt; damit machte er sich auch so manchen Gegner.