Eigentlich wollte Stephan Stitzenberger, Leiter des Polizeireviers Überlingen, in der jüngsten Gemeinderatssitzung die Kriminalstatistik 2021 vorstellen. Doch zunächst bezog er nach mehreren aktuellen Vorfällen Position: Die Sicherheit in Überlingen sei nirgends wirklich gefährdet. Zum einen hatten sich in den Tagen zuvor ein paar Vorfälle gehäuft, zum anderen war der eine oder andere, bei Licht betrachtet, wohl nicht ganz so dramatisch, wie die ersten Darstellungen im Pressebericht der Polizei glauben machten. Daher wollte Stephan Stitzenberger Entwarnung geben bei seinem Bericht zur Sicherheitslage in der Stadt, wie er seine Ausführung zur Kriminalstatistik überschrieben hatte. Diese Sicherheit sei nicht bedroht, auch wenn „aktuell etwas darüber diskutiert wird“, wie Oberbürgermeister Jan Zeitler zuvor betont hatte.
Weniger Straftaten im Corona-Jahr 2021
In ganz Baden-Württemberg seien im gesamten Corona-Jahr 2021 die Straftaten um zehn Prozent zurückgegangen, auf den niedrigsten Stand seit 36 Jahren. Dieser Rückgang gelte auch für Überlingen, für Wohnungseinbrüche ebenso wie für Vorfälle im öffentlichen Raum, wie sie in den Tagen zuvor hier und da wieder vermehrt registriert geworden seien. Konkret waren es im Jahr 2021 allerdings noch 1135 Straftaten, rund drei pro Tag.
Vorfall von Polizei nicht optimal kommuniziert
Gewaltkriminalität sei mit 24 Fällen von Körperverletzung aktenkundig geworden. „So wenig haben wir seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gehabt“, ordnete der Revierleiter die Zahl ein. Allerdings könne das dennoch das subjektive Sicherheitsgefühl der Überlinger beeinträchtigen, wenn man davon lese. Als konkretes Beispiel nannte Stitzenberger die Auseinandersetzung zwischen zwei rivalisierenden Gruppen in den Tagen zuvor. Der Vorfall sei vonseiten der Polizei nicht optimal kommuniziert worden, räumte der Leiter des Polizeireviers selbstkritisch ein. So war aus einer „Schlägerei“ unter '30 bis 40 Jugendlichen und jungen Erwachsenen', wie es im originalen Pressebericht der Polizei zu lesen war, eine „Massenschlägerei“ geworden, die manchen verständlicherweise aufhorchen ließ. Das klinge wesentlich dramatischer, als es tatsächlich gewesen sei, erklärte der Revierleiter: „Wir sind hier immer noch auf der Suche nach dem Geschädigten.“ Das sei nach solchen Vorfällen eher ungewöhnlich. Anrufe mit Zahlenangaben seien auch nur von Beteiligten an dieser Schlägerei eingegangen. „Und die Kollegen waren schnell vor Ort.“
Zeitler: Bahnhof und Zimmerwiese kein Kriminalitätsschwerpunkt
Als Oberbürgermeister sei er um eine Stellungnahme gebeten worden, sagte Jan Zeitler, obwohl er ja nicht dabei gewesen sei. Unter Massenschlägerei stelle er sich vor: „Da gehen 50 Leute aufeinander los.“ Umso mehr bitte er, mit den Begriffen und der Sprache sensibel umzugehen. Denn er müsse immer wieder betonen, dass Bahnhof und Zimmerwiese kein Kriminalitätsschwerpunkt seien. Zeitler erklärte: „Massenschlägereien kenne ich in Überlingen nicht.“ Es sei tatsächlich keine „Stuttgarter Krawallnacht“ gewesen, betonte Revierleiter Stitzenberger noch einmal: „Es ging eigentlich um gar nichts.“ Konkret habe es sich in der Situation am Ende um eine gefährliche Körperverletzung und die Sachbeschädigung am Polizeiauto gehandelt. Es habe sich einer der Beteiligten „geärgert, dass er gefangen wurde“.
„Wir kennen unsere Pappenheimer.“Stephan Stitzenberger
Ob man die jüngsten Vorkommnisse unter dem Stichwort Frühjahrserwachen abspeichern müsse, fragte Stadtrat Robert Dreher (FWV/ÜfA). „Graffitis, Brandstiftung, Schlägereien – ist das nur eine subjektive Wahrnehmung?“ Zwar kehre in gewisser Weise die Normalität zurück, sagte Stephan Stitzenberger. Doch bedeute das nicht, dass man sich damit abfinden wolle. Bei manchen Jugendlichen seien die Emotionen bisweilen intensiver, erklärte der Polizeichef. Bei den jüngsten Vorkommnissen seien meist Personen beteiligt gewesen, die bei der Polizei schon lange bekannt seien. „Wir kennen unsere Pappenheimer“, sagte Stitzenberger.
Überwachungskamera an der Zimmerwiese sinnvoll?
Für Stadträtin Kristin Müller-Hausser (BÜB+) war es dennoch Anlass, nach einer Kamera an der Zimmerwiese zu fragen. Stitzenberger entgegnete jedoch: „Eine Videoüberwachung ist kein Allheilmittel.“ Am Sicherheitsgefühl der Menschen ändere dies kaum etwas. Eher müsse man in kritischen Bereichen für mehr Helligkeit sorgen.
Über die Kamera am eigenen Körper ist der Revierleiter hingegen sehr froh und nennt diese Bodycams ein „tolles Einsatzmittel“, um der Gewalt gegen Polizeibeamte vorzubeugen. „Die Kollegen tragen sie wahnsinnig gern, da sie deeskalierend wirken soll.“ Gegenteilige Erfahrungen hätten die Kollegen im Grunde nicht gemacht.
Ob als Folge des aktuellen Krieges Vorfälle zwischen oder mit russischen oder ukrainischen Bürgern aktenkundig geworden seien, lautete eine Frage aus der Ratsrunde. Stitzenberger musste gar nicht lange nachdenken und antwortete prompt: „Nein, keine!“
Weniger Beteiligte an Schlägerei
Nach der Auseinandersetzung am 26. Mai am Omnibusbahnhof in der Wiestorstraße haben umfangreiche Nachforschungen des Polizeireviers Überlingen und des Polizeipostens Salem zwischenzeitlich zu weiteren Erkenntnissen geführt, wie es in einer Presseinformation der Polizei vom 2. Juni heißt. Dem aktuellen Ermittlungsstand zufolge sollen sich laut Polizei gegen 15.45 Uhr, entgegen der ersten Meldungen, rund acht Jugendliche und junge Heranwachsende aus Salem und etwa fünf aus Überlingen nach einer Auseinandersetzung zu einer Aussprache getroffen haben. Nur ein kleiner Teil sei gewaltbereit gewesen, vorwiegend habe man eine gegenseitige Aussprache in Absicht gehabt. Diese eskalierte jedoch in einen handfesten Streit zwischen rund fünf Personen, bei dem einer der Schläger leichte Verletzungen erlitt. Die ursprünglich im Raum stehende Anzahl von bis zu 40 Beteiligten sei wohl auf eine Vielzahl umstehender Personen zurückzuführen sein, die nach dem jetzigen Stand zwar auf den Streit aufmerksam geworden, aber nicht aktiv an den Vorgängen beteiligt waren. Die Polizei, die den Großteil der Beteiligten schnell ermitteln konnte, hat aktuell gegen sechs Personen ein Verfahren eingeleitet.