Das Verfahren gegen Narrenchef Harry Kirchmaier fand in der Öffentlichkeit, weit über Überlingen hinaus, ein breites Medienecho. Im SÜDKURIER entbrannte nach der Berichterstattung eine Leserbriefdebatte, die diese Stadt seit der Diskussion um die Fällung einer Platanenallee nicht mehr erlebte.
Der Tenor war überwiegend von Unverständnis über das Vorgehen des Ordnungsamtes geprägt, das die Coronaverordnung zu streng auslege. Es gab aber auch Verständnis dafür, dass die Behörde unter einem gewissen Ermittlungsdruck stehe, wenn sie von mutmaßlichen Verstößen erfährt.
Wer trägt die Rechtsanwaltskosten?
Nun stellte das Ordnungsamt das Verfahren gegen Harry Kirchmaier ein. Zugleich rüffelte es den Narren für seinen Gang an die Öffentlichkeit. Das Verfahren hätte „schneller eingestellt werden können“, so das Ordnungsamt im Brief vom 1. April, „wäre nicht der Weg über die Presse gewählt worden“.
Kirchmaier ist da anderer Meinung, er geht davon aus, dass das Verfahren zwar schnell, aber mit einem Bußgeldbescheid geendet hätte, wenn er sich nicht öffentlich und mit Unterstützung eines Rechtsanwalts zur Wehr gesetzt hätte. Im Gespräch mit Rechtsanwalt Hermann Muffler werde er nun überlegen, ob das Verfahren tatsächlich beendet ist, oder ob es nicht Konsequenzen für die Stadt haben solle. Zum Beispiel die Frage, wer die Rechtsanwaltskosten trägt, müsse noch geklärt werden.
Grundlos die Wohnung verlassen?
Mit Schreiben vom 11. Februar legte die Behörde dem Chef der Hänselezunft zwei Ordnungswidrigkeiten zur Last. Zum einen habe er entgegen der Corona-Vorschriften auf der Internetseite der Narrenzunft zur Teilnahme an einer Veranstaltung, dem Einschnellen, aufgerufen. Zum anderen habe er selbst an Dreikönig um 12 Uhr die Karbatsche geschwungen, obwohl Karbatschenschnellen keinen triftigen Grund darstelle, der seinerzeit zum Verlassen der Wohnung berechtigt habe.
Hänselezunft hat eigene Homepage
Nach Akteneinsicht nahm Rechtsanwalt Muffler am 23. März gegenüber dem Ordnungsamt Stellung. Er weist darin alle Vorwürfe zurück. Sein Mandant habe nicht zur Teilnahme am Einschnellen aufgerufen, sondern sich vielmehr aktiv dafür eingesetzt, dass wegen der Corona-Pandemie keine Fastnachtsveranstaltungen stattfinden. Einen Aufruf über die Homepage der Narrenzunft habe es nicht gegeben, er hätte von Kirchmaier auch nicht veröffentlicht werden können, weil sein Mandant gar keinen Einfluss auf die Gestaltung dieser Homepage habe. Kirchmaier ist nicht Chef der Narrenzunft, sondern der Hänselezunft, und diese hat ihre eigene Internetseite.
Spaziergang an der frischen Luft
Auch weist Muffler den Vorwurf gegen seinen Mandanten zurück, dieser habe unberechtigterweise seine Wohnung verlassen. Sport und Bewegung als Einzelperson im Freien war nach der damals gültigen Coronaverordnung erlaubt. Kirchmaier unternehme auf Empfehlung seines Arztes täglich ausgedehnte Spaziergänge, und so habe er es auch an Dreikönig gehalten – und dabei eben seine Karbatsche mitgenommen.
Im Schreiben vom 1. April stellte das Ordnungsamt das Verfahren ein und verweist auf Paragraph 46 des Ordnungswidrigkeitengesetzes in Verbindung mit Paragraph 170 der Strafprozessordnung. Mit anderen Worten: Es wird kein hinreichender Tatverdacht mehr festgestellt.
Behörde rüffelt Weg über der Presse
Nähere Begründungen sind dem Bescheid nicht zu entnehmen. Zugleich rüffelt die Behörde den Ex-Beschuldigten mit den Worten: „Wäre nicht der Weg über die Presse gewählt worden, hätte das Verfahren auch schneller eingestellt werden können. Eine kurze Erklärung gegenüber der Bußgeldstelle wäre ausreichend gewesen, die Dinge richtig zu stellen und das Verfahren zu beenden.“
„Das geht mir an die Kutteln.“Harry Kirchmaier
Über diese Formulierung wundert sich Kirchmaier, zumal er und sein Rechtsanwalt gleich zu Beginn des Verfahrens erklärten, wie der Sachverhalt einzuordnen sei. Diese Erklärung erfolgte öffentlich, und Kirchmaier ist der Überzeugung, dass im stillen Kämmerlein die Sache rasch – aber gegen ihn – ausgegangen wäre. Auch wenn der Zwist sich rund um die nicht stattgefundene Fastnacht zutrug, sei ihm nicht zum Lachen zumute. „Das geht mir an die Kutteln“, sagte Kirchmaier, der sich nun überlegt, ob für ihn die Einstellung des Verfahrens Freispruch genug ist, oder was passieren muss, dass „Free Harry“ in Erfüllung geht.