Es gab wohl eine Zeit, da tanzte Überlingen regelmäßig. Doch das ist lange her. Der letzte DJ der Stadt war dem Hörensagen nach Reinhard A. Weigelt im Café Walker. Das Café besteht bis heute, aber Weigelt hat die Plattenteller längst hinter sich gelassen. Von 1977 bis 1986 legte er hauptberuflich Platten auf, erzählt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Anschließend mal mehr, mal weniger, noch bis 1994. Seitdem sind regelmäßige Tanzveranstaltungen rar geworden. Oder?
Wer tanzen will, muss den Landkreis verlassen
Alt-DJ und ehemaliger Stadtrat Weigelt erläutert: „Überlingen hat nicht die Zielgruppe oder den Zulauf an jungen Menschen, um einen Club aufzumachen. Die Klientel ist nicht da.“ Das war jedoch nicht immer so: In den 1970er-Jahren hatte die Stadt acht Tanzlokale, berichtet Weigelt. Diskotheken wie die Tenne, Femina und Torkelkeller lockten die Menschen. Nun hofft er, dass Veranstaltungen wie „Auf‘nSchluck“ oder After-Work-Partys den Geist der Club-Atmosphäre beschwören.
Anfang des Monats hieß es nun wieder: „Überlingen tanzt!“. In elf Gaststätten legten zahlreiche DJs Musik von Techno über House bis Indie auf. Die großflächigen Ankündigungen könnten jeden Schelm, der Böses denkt, glauben machen, es handle sich hier um etwas Außergewöhnliches. Vielleicht dachte das auch die Person, die die Stellwand gegenüber dem Seniorenzentrum Sankt Ulrich um ein weiteres Wort ergänzt hat, sodass es hieß: „Überlingen tanzt ni“. Wollte er „nie“ schreiben oder „nicht“? Wurde er auf frischer Tat ertappt und seine wahre Botschaft bleibt verborgen? Trotz zweifelhafter Orthografie scheint der Sprayer manchem Überlinger Jungspund aus der Seele zu sprechen. Wer als Jugendlicher im Bodenseekreis feiern will, muss meist sogar den Landkreis verlassen. Ravensburg, Konstanz, Singen bieten regelmäßigere Möglichkeiten, seinen Abend mit DJ-Begleitung zu feiern.
Tanzen aus Eigeninitiative
Dass die Überlinger hin und wieder auch mal ganz lokal ihr Tanzbein schwingen können, liegt in der Regel an der Initiative einzelner, wie dem Verein Taktwerk, der Techno-Partys unter anderem in der Gruft oder auf landwirtschaftlichen Flächen veranstaltet. „Überlingen tanzt“ ist laut Veranstalter Christian Biehler von Nighttain auf seine Initiative zurückzuführen. Biehler ist zufrieden. „Das Wetter war bombastisch, alle Betriebe waren voll.“ Die Besucherzahlen seien konstant und liegen um die 1500.
Sogar der DJ-Nachwuchs wird hier ausgebildet: Cevdet Beser alias DJ Jeff hat eine DJ-Schule eröffnet. Wie der Verein Taktwerk ist die in der Heiligenbreite, in unmittelbarer Nähe zu Waldorfschule, Naturata und dem Demeter-Hofgut Rengoldshausen untergebracht. Ausgerechnet im Umfeld der flatterweichen Eurythmie reift der Zugang zu harten Beats heran. Auch wenn in nächster Zeit keine florierende Clubszene zu erwarten ist, ist doch offensichtlich, dass Überlingen vielleicht nicht immer tanzt, aber wenn, dann will es.