Holger Schappeler steht am Gallerturm und schaut auf die Altstadt. Er nickt ein paar Mal und antwortet dann: „Gute Frage“. Aber nein, Bürgermeister von Überlingen zu sein – das könne er sich nicht vorstellen. „Das ist ein Höllenjob, eine ständige Zerreißprobe.“ Aber ist er nicht auch Teil dieser Zerreißprobe? Als Querulant im Gemeinderat? Als Quälgeist des Bauamts? Schappeler schüttelt den Kopf. „Nein“, sagt er, „ich vertrete nur die Interessen unserer Wähler.“
Ambitioniert, aber ohne Amt
Holger Schappeler ist Vorsitzender der Wählerinitiative BÜB+. Er ist seit Jahren bis in die späten Abendstunden bei Gemeinderats- und Ausschusssitzungen anwesend. Er tritt bei der Bürgerfragestunde oft ans Mikrofon und fordert dort auch mal für Zuschauer wie ihn den Zugang zum Essensbüffet der Gemeinderäte.
Er verschickt regelmäßig Beschwerde-Mails über örtliche Begebenheiten an den Oberbürgermeister, die Gemeinderäte und die Überlinger SÜDKURIER-Lokalredaktion. Aktuell streitet er mit dem Stadtwerk am See wegen der lauten Sanierung im Parkhaus Mitte. Er gedenkt sogar, das Stadtwerk zu verklagen.
Wer ist dieser Mann eigentlich?
Schappeler wurde 1960 im badischen Bühl geboren. Er studierte Jura in Heidelberg, Lausanne und Bonn. Anschließend arbeitete er in Ludwigsburg als Fremdsprachentrainer und Wirtschaftsjurist. Im Jahr 2010 zog er nach Überlingen, wo der väterliche Teil seiner Familie herkommt. Hier arbeitet er nach eigenen Angaben als Integrationshelfer und Wirtschaftsjurist und lebt von Einnahmen aus vererbten Immobilien.

Im Jahr 2018 gründete er mit mehreren Überlingern die Wählerinitiative BÜB+ („Bürger für Überlingen“). Bei der Kommunalwahl 2019 erhielt er als Kandidat lediglich 1308 Stimmen. Zum Vergleich: Roland Biniossek, damaliges Zugpferd der BÜB+, bekam 4110 Stimmen.
„Wehrturm ist symbolisch für mich“
Schappelers Lebensraum ist ein Wehrturm an der ehemaligen Stadtmauer, den er von seinem Vater geerbt hat. „Der Wehrturm ist symbolisch für mich“, sagt er. Er verteidige sich gegen die Stadt und einzelne Maßnahmen, die seiner Ansicht nach nicht dem Willen vieler Bürger entspreche.

Als Angriff sieht er auch die vermeintliche Intransparenz der Stadtverwaltung bei Bauvorhaben wie in der Fischerhäuser Vorstadt. „Aktuell muss ich mich auch gegen Sanierungsmaßnahmen im Parkhaus Mitte wehren“, ergänzt er.
Was treibt ihn an?
Sein großer Antrieb für seine Taten sei die Ungerechtigkeit, sagt er. Von seinem Turm aus bekomme er so Einiges mit. „Der Baudruck vom Kapital und von Investoren, das ist erschreckend.“ Oft denke er: „Nein, da müssen die Stadt und das Bauamt standhaft bleiben!“
Identifikation gibt ihm auch das Lebenswerk seines Großvaters mütterlicherseits, dem Juristen Artur Samter. Dieser verteidigte in einem der größten Prozesse der Weimarer Republik Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). 1933 bekam er von den Nazis wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD ein Berufsverbot und starb 1943 in Auschwitz. „Aus seiner Arbeit als Richter und Rechtsanwalt ziehe ich viel Kraft“, sagt Schappeler.
Was ist sein Ziel?
Der 62-Jährige spricht beim Treffen mit dem SÜDKURIER ruhig, wird bei seinen Aussagen über die Stadtentwicklung aber immer wieder laut. „Das ist die Wut“, erklärt er, „die Wut über vergangene Entscheidungen.“ Damit meint er Bauprojekte wie in der Schreiberbildstraße oder in der Säntisstraße. „Oder auch demografische Probleme, die in Überlingen nicht ausreichend angepackt werden.“
Aber was ist bei all der Aufopferung eigentlich sein Ziel? Er wolle Überlingen für die Zukunft vorbereiten. Das betreffe die Bereiche Verkehr, Bauen und Energiepolitik. Auch die Entwicklung der Schulen bereite ihm Sorgen. „Überlingen ist einfach nicht zukunftsfest“, sagt er. Doch eigentlich habe er gar nicht genügend Zeit für das alles. „Ich würde viel lieber mehr als Wirtschaftsjurist oder Integrationshelfer arbeiten.“
Sitz im Gemeinderat knapp verpasst
Beinahe hätte Schappeler auch die Möglichkeit gehabt, mitzugestalten statt zu kritisieren. Nachdem Dirk Diestel und Kristin Müller-Hausser im Oktober aus dem Gemeinderat ausgetreten waren und Gerhard Graf einen der leeren Plätze übernommen hatte, war lange Zeit ein Platz im Gremium frei geblieben.

Schappeler hatte wegen der Absagen mehrere Nachrücker auf das Mandat gehofft. Wie aus den Ratsunterlagen hervorgeht, wird Monika Wieden-Biniossek diesen Platz aber ab der kommenden Gemeinderatssitzung Ende Januar einnehmen.
Der nächste Kampf steht an
Schappelers Ehrgeiz bleibt damit aber ungebrochen. „So leicht gebe ich nicht auf“, sagt er. Um dennoch in das Gremium zu gelangen, wolle er gegen die Stadt klagen. Nicht wegen Wieden-Biniossek, sondern wegen Gerhard Graf.
Sein Nachrückverfahren im November sei laut Schappeler rechtswidrig. Der 62-Jährige ist der Meinung, Graf müsse für die BÜB+ im Gemeinderat sitzen, nicht für die FDP. Erste Gespräche mit Anwälten habe er dazu bereits geführt, sagt er. Der nächste Kampf könnte für Holger Schappeler also bald beginnen.