Ortswechsel eigenen sich gut, um neue Sichtweisen zu erlangen. So zeigen sich die Mitglieder des Ausschusses Bildung, Kultur und Soziales (ABKS) der Stadt Überlingen beeindruckt von Architektur und Ambiente der Janusz-Korczak-Schule in Deisendorf, wo die Sitzung stattfindet. Auf der Tagesordnung steht der Jahresbericht der offenen Jugendarbeit. Mit den Aufgaben hat die Stadt den Verein Linzgau Kinder- und Jugendhilfe betraut, der seinen Sitz in Deisendorf hat und Träger der Förderschule ist.

Bevor Carlos Goeschel, der seit fünf Jahren für die offene Jugendarbeit in Überlingen im Einsatz ist, das vergangene Jahr Revue passieren lässt, stellt Vorstand Roland Berner die Schule vor. Oberbürgermeister Jan Zeitler hatte die Sitzung mit den Worten „wir tagen an einem ungeahnt schönen Ort“ begonnen und um weitere Informationen gebeten. Die liefert Berner gern und beantwortete interessierte Fragen.

Im Dialog mit Anwohnern sind Jugendliche noch unterlegen

Carlos Goeschel beginnt seinen Bericht mit dem über mehrere Monate laufenden Beteiligungsprojekt „Überlingen – meine Hood“. Gefördert von der Stiftung Baden-Württemberg, konnten Jugendliche Ideen für die Gestaltung von Plätzen entwickeln, an denen sie sich gern aufhalten. Ein Aktionstag im Sommer sollte exemplarisch zeigen, wie das aussehen könnte, und den Dialog mit den Anwohnern fördern. „Das war eine Überforderung für die Jugendlichen“, stellt Goeschel rückblickend fest. Die wenigen jungen Teilnehmer seien der Diskussion nicht gewachsen und kommunikativ unterlegen gewesen.

Brettspiel soll Demokratieverständnis fördern

„Wir haben gelernt, dass es wichtig ist, als Anwalt der Jugendlichen zu agieren“, fährt Goeschel fort. Daraus sei die Idee entstanden, ein Spiel zu konzipieren. Unterstützt von Stadtrat Ulf Janicke und der Agentur „b.lateral“ aus Sipplingen, entstand ein neues Format, das Beteiligung spielerisch vermittelt. Das Ergebnis heißt X-Change und besteht aus einem Spielfeld, Rollen- sowie Ereigniskarten. Die Spieler diskutieren dabei mit unterschiedlichen Rollen über Projekte, wie beispielsweise Aufenthaltsplätze für Jugendliche. Dabei lernen sie, welche Sichtweisen zu berücksichtigen sind, wie politische Entscheidungen getroffen werden und was es bei der Finanzierung zu bedenken gibt.

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Spiel holt Preis bei Wettbewerb

Es nehmen zwar nur vier Gemeinderäte an der Sitzung teil, doch die treten – vielleicht auch wegen der weniger formalen Umgebung – in einen regen Austausch. Günter Hornstein (CDU) regt an, den Zusatz beim Spielnamen „für benachteiligte Jugendliche zu streichen“, das sei stigmatisierend. Das sieht Bettina Dreiseitl-Wanschura (LBU/Grüne) ebenso und findet das Spiel für alle Jugendlichen gut und richtig. Alexander Bruns (CDU) möchte diese Art der Demokratieerziehung auf Erwachsene ausweiten. Auf die Anregung von Ralf Mittelmeier (FWV/ ÜfA), das Spiel allen Schulen zur Verfügung zu stellen, berichtet Carlos Goeschel, dass Jugendliche der Wiestorschule X-Change bereits getestet haben und weitere Besuche in anderen Schulen geplant sind.

Das Spiel ist mittlerweile in einer kleinen Auflage produziert und hat im April beim Wettbewerb „Wanted! Die besten Projekte der Mobilen Jugendarbeit 2024“ den ersten Platz gewonnen. „Das ist echt beeindruckend“, sagt OB Jan Zeitler. „Ich bin stolz, dass so etwas von der Jugendarbeit in Überlingen ausgeht!“

In kleiner, aber auch dank der Umgebung sehr kommunikativer Runde trafen sich die Gemeinderäte im Ausschuss und informierten sich auch ...
In kleiner, aber auch dank der Umgebung sehr kommunikativer Runde trafen sich die Gemeinderäte im Ausschuss und informierten sich auch über den Tagungsort. | Bild: Sabine Busse

Das mobile Wohnzimmer wird zum Treffpunkt

Zu den weiteren Projekten der offenen Jugendarbeit gehört das mobile Wohnzimmer. Der ausrangierte Pferdeanhänger fungierte in der Vergangenheit als fahrbare Fahrradwerkstatt, die der Streetworker oft im Sommer am ZOB aufstellte. Wegen nachlassender Nachfrage wurde ein von Jugendlichen gestalteter kleiner Raum daraus. Bisher habe er nur auf Schulhöfen damit parken können, so Goeschel. Der Antrag für den Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Überlingen sei abgelehnt worden. Jan Zeitler will das noch einmal prüfen lassen.

Ein Thema, das der Ausschuss einst der offenen Jugendarbeit als Auftrag mitgegeben hat, ist die Suchtprävention. Vor zwei Jahren schilderte der Streetworker einen Anstieg an Drogen konsumierenden Jugendlichen nach Corona. Seitdem haben die Jugend-Sozialarbeiter Konzepte gesichtet, Fortbildungen belegt und das Projekt „Cool to be clean“ an der Constantin-Vanotti-Schule gestartet.

Räume in der Innenstadt erwünscht

Einen wesentlichen Teil der offenen Jugendarbeit nehmen laut Carlos Goeschel Gespräche und Kontaktaufnahmen zum Beispiel am ZOB ein, sowie Einzelfallberatungen und Gruppenangebote. Dazu organisieren die Sozialarbeiter Ausflüge und Freizeiten in den Ferien.

Beim Ausblick für das laufende Jahr spricht der Streetworker einen oft genannten Wunsch an: Räume für die Jugendarbeit in der Innenstadt. Hier scheint sich etwas zu bewegen. Carlos Goeschel sagt, man sei „in der Findungsphase mit der Stadt“.