Ricardo Gerick parkt sein Wohnmobil gerne auch mal vor einem Friedhof. Dort ist es meistens ruhig, kostet nichts und man kann Trinkwasser aus Gießkannen schöpfen. Vor einem Jahr hat sich der Augsburger das rund sieben Meter lange Wohnmobil von Knaus gekauft. Und nun stellt er fest, dass man für spontane Urlaube nicht immer an den schönsten Orten einen freien Platz bekommt.
Gerick hat diesmal aber Glück. Er und seine Frau Ingrid ergatterten für das verlängerte Wochenende von Christi Himmelfahrt auf dem Wohnmobilstellplatz in Kressbronn-Tunau einen freien Platz. Auch ihre Freunde Margit und Bernhard Schuster, mit deren Wohnmobil sie nun eine kleine Wagenburg bilden, erhielten einen Zuschlag. Dafür mussten sie allerdings im Vorfeld buchen. Ganz so spontan ist Wohnmobilurlaub dann nämlich doch nicht.

Wohnmobilurlaub entlang des Bodensees hat seine Tücken. In den Schulferien oder an Brückentagen sind viele Wohnmobilstellplätze ausgebucht. Die Camper klagen, dass es zu wenig offizielle Stellplätze im Bodenseekreis gebe. Spontaneität, schöne Plätze, Freiheit? Nicht immer – und wie fühlt sich das dann für die Wohnmobilisten an?
Ursula Schenker und Harald Kukla aus Esslingen haben sich vergangenes Jahr ein Wohnmobil gekauft. Nun staunen sie, wie voll es am Bodensee ist. Die Galvanotechnikerin und der Industriemeister buchten sich über das verlängerte Wochenende auf einem Campingplatz in Unteruhldingen ein.
Er hätte ein mulmiges Gefühl beim wilden Campen
Warum zahlt jemand Geld für einen Campingplatz mit Dusche und allem Drumherum, wenn er eigentlich autark ist, mit Toilette an Bord und Solarkollektoren auf dem Dach? Harald Kukla traut sich nicht, frei, irgendwo in der Landschaft, sein nigelnagelneues Gefährt abzustellen. Vielerorts ist es eh verboten. Der Industriemeister würde sich unwohl fühlen. „Das wäre mir zu unsicher“, gibt er zu.

Dem Chef des Campingplatzes in Uhldingen-Maurach, Werner Stuber, ist das Paar aus Esslingen willkommen. Er stellte in den vergangenen Jahren einen enormen Boom an Wohnmobilen fest, die immer größer und teurer werden. Die Zuwachsraten beim Wohnmobilhersteller Hymer in Bad Waldsee sprechen ihre eigene Sprache.
Aufenthalt von wenigen Tagen
Der von ihm geleitete Platz unterhalb der Klosterkirche Birnau, berichtet Stuber, wird mittlerweile zu 80 bis 90 Prozent von Wohnmobilen genutzt. Die Gäste blieben im Schnitt drei bis fünf Tage. Viele seien nur auf der Durchreise und manche Wohnmobilisten eigentlich gar nicht an der Infrastruktur eines Campingplatzes interessiert. Sie fingen dann schon an der Schranke an, über den Preis zu mosern. Stuber wundert sich über die Leute, die viel Geld für ein Wohnmobil ausgeben, aber am Preis für einen Stellplatz knausern.
Macht das Wohnmobil immobil?
Das Paar aus Esslingen ist glücklich, auf dem Campingplatz in Unteruhldingen für ein paar Tage untergekommen zu sein. Dort fühlen sie sich nun aber ein bisschen gefangen. Ihr Fahrzeug sei zu groß für Ausflugsfahrten in die Städte. „Man hat nicht das Gefühl, dass Wohnmobile am Bodensee willkommen sind“, sagt Ursula Schenker. Warum denn das? „Weil man in den Städten nirgends einen Parkplatz findet.“ Überall gebe es Höhenbeschränkungen und Verbotsschilder für Wohnmobile, ärgert sie sich.

Frustrierte Schweizer erwägen die Heimfahrt
Fabian Unternährer und Oksana Chervinska aus Hägglingen im Kanton Aargau planten spontan einen Kurzurlaub an Christi Himmelfahrt. Gebucht haben sie nichts, bevor sie Richtung Bodensee aufbrachen. Die Nacht auf den Himmelfahrtstag verbrachten sie auf einem Supermarktparkplatz in Radolfzell. Schon da hatten sie eigentlich gehofft, direkt am See einen Platz zu bekommen. Aber Pustekuchen. Am Feiertag fuhren sie für einen halben Tag von Platz zu Platz, entlang des kompletten nördlichen Bodenseeufers. „Wir waren jetzt an sechs Stationen, überall war es voll“, klagten sie über ihre ergebnislose Herbergssuche – wo doch gerade schönstes Badewetter herrschte.

Nach stundenlanger Fahrt landete das Paar aus der Schweiz am frühen Nachmittag vor dem Campingplatz Iriswiese bei Kressbronn. Doch auch hier: Fehlanzeige, alles ausgebucht. Ihr Wohnmobil parkten sie vorläufig an der engen Zufahrtsstraße, dicht zwischen zwei weiteren Wohnmobilen.
„Wir waren das erste und das letzte Mal am Bodensee.“Oskana Chervinska, Camperin aus dem Aargau
Das Paar war sich nicht ganz einig, ob sie dieses Schlupfloch als Glück empfinden sollten. Denn Fabian Unternährer hat keine Lust dazu, noch einmal nur bei Kerzenschein und ohne Strom, den er zum Laden seines Handys benötigt hätte, auf einem kargen Parkplatz die Nacht zu verbringen. „Wenn wir jetzt nicht endlich etwas finden, fahren wir wieder heim“, sagte er genervt. „Wir waren das erste und das letzte Mal am Bodensee“, sagt seine Partnerin Oksana Chervinska.

Die Camper aus Augsburg sehen es lockerer. Auch sie haben keinen Platz mit Seeblick oder dergleichen, sondern stellten ihre schicken Campingschiffe hinter einer hohen Hecke auf dem Wohnmobilstellplatz in Tunau ab – und sind damit zufrieden. Immerhin haben sie grünes Gras unter ihren Campingstühlen.
Wenn man mit dem Wohnmobil unterwegs ist, könne man nicht an allen Tagen erwarten, dass man morgens mit Seesicht erwacht, oder seinen Klapptisch mit Blick auf die Berge aufstellt. Deshalb der Tipp von Bernhard Schuster an seinen Freund Ricardo Gerick: Lieber irgendwo am Friedhof parken und dann mit dem Fahrrad zu den Sehenswürdigkeiten radeln. Die Garagen in ihren Wohnmobilen sind jedenfalls groß genug für schnelle E-Bikes.

Doch generell stellen die Camper aus Augsburg am nördlichen Bodenseeufer einen Mangel an Wohnmobilstellplätzen fest. Margit Schuster appelliert an die Gemeinden, mehr Plätze auszuweisen. Schließlich würden sie ja auch etwas konsumieren und für Umsatz in den Kommunen sorgen.
Plätze zwischen Traum und Wirklichkeit
Bevor die Augsburger auf einem nackten Wohnmobilstellplatz wie in Uhldingen-Mühlhofen stehen würden, der dort direkt an der Bundesstraße liegt, zögen sie lieber ins Hinterland – zum Beispiel in Friedhofsnähe. Ingrid Gerick findet: „Der Platz in Uhldingen ist eine Unverschämtheit.“ Laut und schattenlos. „Auch im europäischen Vergleich ist das der Hammer.“
Etwas besser schneidet bei ihr der Wohnmobilstellplatz in Überlingen ab. Das sei doch der zwischen Krankenhaus und Schnellstraße, erinnert sie sich, mit einem nur geschotterten Platz. Nein, nicht unbedingt ihr Traum, aber wenigstens praktisch, wie er an einem Supermarkt und einer Stadtbuslinie liegt.

Wie versöhnlich ist es da doch, auf eben diesem Platz Silvia Rank aus Obersüßbach bei Landshut zu treffen. Sie ist mit Mann und Wohnmobil zwischen Schwarzwald und Bodensee unterwegs. Ihre rund acht Meter lange Concorde hätten sie gebraucht gekauft, 120 000 Euro reichten dafür nicht ganz. Dass sie nun zusätzlich Geld zahlen müssen, um ihr Reisemobil auf einem Schotterplatz, ohne Aussicht, und einen Kilometer Luftlinie vom Bodensee entfernt, abstellen zu dürfen, stört sie überhaupt nicht.
Die Rentnerin aus Obersüßbach wirkt bescheiden. Ihr Mann macht im Womo gerade ein Nickerchen, sie sitzt im Campingstuhl – und strickt. Ihr Mann sei 30 Jahre lang als Busfahrer unterwegs gewesen, außerdem hätten sie eine Drechslerei geführt, die sie nun an ihren Sohn übergaben. Lärm seien sie von daheim gewöhnt. „Da ist es hier schön ruhig“, schwärmt sie von dem Platz in Überlingen. „Wir schlafen gut.“
Aber sie kamen doch zum Urlaub an den Bodensee. Was macht da den Reiz aus, auf einem Schotterparkplatz zu hocken? Wenn man unterm Strich so viel Geld für Urlaub ausgibt, vermissen sie da nicht den Blick aufs Wasser? Silvia Rank: „Ach wissen‘s, wir können am Tag ja stundenlang am See entlangradeln.“

Der Gegenentwurf: Ein Dauercamper
Campingurlaub am Bodensee lässt sich auch auf andere Weise machen. Seit 56 Jahren komme er auf den immer gleichen Platz nach Maurach, berichtet Ferdi Brucherseifer, pensionierter Buchbinder aus Freudenstadt im Schwarzwald. Sein Wohnwagen steht den ganzen Sommer über auf einem Logenplatz, mit Blick aufs Wasser. Der 74-Jährige findet: „Es ist nicht mehr so wie früher.“ Er vermisse es, dass man mit den anderen Gästen ins Gespräch kommt. Die seien ja immer gleich wieder weg, immer auf dem Sprung.
Unser Autor hat auf den norwegischen Lofoten Urlaub mit einem Wohnmobil gemacht. Die lange Reise in den hohen Norden unternahm er mit der Eisenbahn: