Es war einmal ein Mehrfamilienhaus mit Dönerladen im Erdgeschoss. Oben wohnten 16 Menschen, unten drehte sich der Spieß. Das änderte sich schlagartig in den frühen Morgenstunden des 11. März 2014: Da brach ein Feuer in der Jakob-Kessenring-Straße 27 aus. Dutzende Helfer der Feuerwehren löschten den Brand, acht Bewohner wurden mit Verdacht auf Rauchgasvergiftungen ins Krankenhaus gebracht. Viele von ihnen waren danach vorübergehend obdachlos. Und das Gebäude? Das wurde zu einer Brandruine inmitten der Überlinger Altstadt.

Viele Gerüchte zur Zukunft

Zehn Jahre später sind die Fenster der Ladenzeile noch immer verhangen, auch in oberen Stockwerken zeigt sich kein Zeichen von Leben. Die Straße hingegen hat sich verändert: Die Kessenring-Straße hat nach langen Bauarbeiten ihr einstiges Schmuddel-Image verloren. Hotelbetreiber und Einzelhändler Stefan Joos stellte gegenüber dem SÜDKURIER die Frage, warum man die Bauarbeiten nicht als Anlass genommen, um die Hausnummer 27 auch zu sanieren? Er habe die Sorge, dass hier bald die nächste Baustelle anstehen könnte. „Sonst habe ich hier in einem halben Jahr wieder einen Kran vor dem Laden“, sagte er im April.

Stefan Joos ist Betreiber vom Capri Hotel und vom Plattenladen Capri Records in der Kessenring-Straße.
Stefan Joos ist Betreiber vom Capri Hotel und vom Plattenladen Capri Records in der Kessenring-Straße. | Bild: Cian Hartung

Andere Einzelhändler stören sich an dem Gebäude, wo seit Jahren nichts passiert. Viele nennen es den „Schandfleck“ der Kessenring-Straße. Was damit passieren soll, weiß aber keiner genau.

Baugenehmigung Ja, Freigabe Nein

Der Besitzer des Gebäudes gibt auf mehrmalige Anfrage des SÜDKURIER keine Auskunft. Von der Stadt Überlingen heißt es aber: „Es existiert sowohl für das Sanierungsvorhaben als auch für das Neubauvorhaben eine gültige Baugenehmigung.“ Doch ob dies überhaupt umgesetzt werden soll, scheint auch für die Stadtverwaltung unklar zu sein. „Wann und ob der Bauherr von einer Baugenehmigung Gebrauch macht, entzieht sich unserer Kenntnis“, sagt Sprecherin Andrea Winkler. „Eine Baufreigabe wurde jedenfalls in beiden Vorhaben nicht erteilt.“ Zudem seien erforderliche Unterlagen nicht eingereicht worden. „Sobald alle Voraussetzungen erfüllt sind beziehungsweise der Bauherr die erforderlichen Unterlagen eingereicht hat, wird die Baufreigabe erteilt.“

Andrea Winkler, Pressesprecherin der Stadt Überlingen.
Andrea Winkler, Pressesprecherin der Stadt Überlingen. | Bild: Freiwillige Feuerwehr Überlingen

Was kann die Stadt gegen die Situation unternehmen?

Seit dem Brand hat sich der Bodenrichtwert in der Jakob-Kessenring-Straße fast verdoppelt, wie die Angaben des Gutachterausschusses Überlinger See zeigen. Ende 2014 lag dieser bei 650 Euro pro Quadratmeter, Ende 2023 bereits bei 1150 Euro. Bodenrichtwerte sind zwar keine Grundstückspreise, bieten aber einen Anhaltspunkt für die Einschätzung des Grundstückswerts. Sie basieren auf Grundstücksverträgen aus der Vergangenheit am jeweiligen Ort.

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Ob es sich hierbei um Spekulationsleerstand handele, dazu will sich die Stadt Überlingen nicht äußern. Die Pressestelle betont aber, dass sie keinen Einfluss habe. „Die Kommunen können im Baurecht die Nutzungsarten steuern, jedoch eine generelle Nutzung nicht erzwingen – insbesondere nicht, wenn die Gebäude stark baufällig sind“, sagt Sprecherin Winkler. Da die Stadt nicht die Eigentümerin des Gebäudes sei, ließe sich ein möglicher Spekulationsleerstand nicht verhindern.

Sind die Ermittlungsakten zum Brand verschwunden?

Neben der Zukunft des Gebäudes bleibt auch die Frage: Wie kam es eigentlich zu dem Brand? Christian Gorber, damaliger Kreisfeuerwehr-Sprecher, sprach direkt nach dem Großeinsatz von einem „Mordversuch in 16 Fällen“. Die Polizei sagte kurz darauf dem SÜDKURIER, es gebe auf Basis der Ermittlungen „absolut keinen Anhaltspunkt auf Fremdenfeindlichkeit“. Aber was ist aus den Ermittlungen geworden? Die Pressestelle des Polizeipräsidiums Ravensburg teilt mit, dass das Ermittlungsverfahren abgeschlossen und der zuständigen Staatsanwaltschaft übergeben wurde.

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Eine Nachfrage bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Konstanz zeichnet ein kurioses Bild: Andreas Mathy, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz, geht davon aus, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Genaueres kann er aber nicht sagen. Die Akten sind offenbar nicht aufzufinden. Als möglichen Grund dafür nennt er die damalige Polizeistrukturreform. Zum Zeitpunkt des Brandes gehörte das Polizeirevier Überlingen zum Präsidium Konstanz, mit der Umsetzung 2020 wurde dies Teil des Polizeipräsidium Ravensburg. „Da könnten die Akten verschwunden gegangen sein“, sagt Mathy.

Andreas Mathy, Erster Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Konstanz.
Andreas Mathy, Erster Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Konstanz. | Bild: Hanser, Oliver

„Mord verjährt nicht“

Grundsätzlich dürfen Akten nach Beendigung eines Verfahrens nur so lange aufbewahrt werden, wie schutzwürdige Interessen der Verfahrensbeteiligten oder sonstiger Personen oder öffentliche Interessen dies erfordern, so die Gesetzeslage. Doch bei Mord – oder der Verdacht auf Mord – seien anders, sagt Mathy. „Mord verjährt nicht.“ Was die Konstanzer Staatsanwaltschaft nun macht, um die verschollenen Akten zu finden? Darauf gab es seitens der Staatsanwaltschaft vor Veröffentlichung dieses Artikels noch keine Antwort.