„Diesen Splittern und Steinen gibt man sonst nicht acht!“ wurde Unteruhldingens Bürgermeister Georg Sulger (1867 bis 1939) im Dezember 1920 in der Konstanzer Zeitung zitiert, „und doch können Sie uns erzählen, wie es vor Jahrtausenden an unserem See aussah“. Längst hatte Sulger nicht nur eine regelrechte Begeisterung für die archäologischen Funde im Bodensee erfasst, er hatte sich auch umfangreiche Kenntnisse angeeignet und deren Bedeutung realisiert.
Kein Wunder, dass der Überlinger Landrat Hermann Levinger, von Anfang einer der wichtigsten Mitstreiter Sulgers, in einem eigenen Tagebucheintrag von 1925 nach einem aktuellen Besuch in Unteruhldingen schwärmte: „Es ist geradezu erstaunlich, über welche Fülle wissenschaftlicher Kenntnisse Sulger verfügt... Fast die gesamte Innenausrüstung der beiden Pfahlbauhäuser hat Bürgermeister Sulger aus seiner so reichhaltigen Sammlung kostenlos zur Verfügung gestellt....“
Sonderausstellung zur Gründung des Museums
Ja, zwischen den beiden Dokumenten waren 1922 binnen kurzer Zeit zwei steinzeitliche Nachbauten auf dem Wasser entstanden. Nach der Gründung des Pfahlbauvereins am 12. März, der schnell 68 Mitglieder hatte, habe es damals gerade mal vier Wochen gedauert bis zur Genehmigung. Und schon am 1. August konnten die Pfahlbauhäuser offiziell eröffnet werden. Noch im gleichen Jahr besuchten 6800 Neugierige die Einrichtung. „Inzwischen sind es rund 15,6 Millionen Besucher gewesen“, erklärt der heutige Museumsdirektor Gunter Schöbel bei der Eröffnung der Sonderausstellung zur Gründung des Museums.

Sulger plaudert über die Steinzeitmenschen
Die ist natürlich in den beiden ältesten Häusern angesiedelt, die zum Jubiläum aufwendig instandgesetzt und saniert wurden. Wer wäre geeigneter, um diese Gründungsphase und die ersten Jahre des Freilichtmuseums zu erläutern, als der geistige Vater Georg Sulger, den Gunter Schöbel hier quasi wieder zum Leben erweckt hat. Sulger begrüßt die Besucher vom Bild überlebensgroß mit typischer Schirmmütze bereits am Eingang. Im Pfahlbauhaus lässt das Museum Sulger im Video auferstehen und über das Leben der Steinzeitmenschen plaudern.

Ausgangspunkt war für den Museumschef ein Interview, das Sulger 1932 dem Reichsrundfunk gegeben hatte, das allerdings verschollen ist. Um eine möglichst glaubhafte Kopie zu erstellen, hat Gunter Schöbel nicht nur Zeitzeugin Maria Bußmann (100) zu Erinnerungen an die Stimme Georg Sulgers befragt. Als junges Mädchen hatte die Unteruhldingerin an einem UFA-Film „Natur und Liebe“ mitgewirkt, der damals in allen Kinos lief. Ein Alter Ego für Sulger fand Schöbel schließlich in dem Ravensburger Schauspieler Marco Ricardo, der den Museumsgründer auf den Videos mimt. Wobei für den Göppinger Schwaben mit italienischen Wurzeln vor allem der seealemannische Sprachduktus eine Herausforderung war, die er allerdings respektabel meisterte.
Ein Mosaikstein im bewegten Museumsjahr
Selbst davon überzeugen können sich die Museumsbesucher vom 2. April ab unter erleichterten Corona-Bedingungen. Diese neue Sonderausstellung über Georg Sulger, die Gemeinde Unteruhldingen und das Leben steinzeitlicher Pfahlbauer ist nur der erste Mosaikstein eines bewegten Jubiläumsjahres. Spannende Eindrücke verspricht das ganze Museums auch aus den anderen Epochen, auf dem Steinzeitparcours und mit neuen Beiträgen der Experimentalarchäologie.
Bund gewährt Zuschuss für Erweiterung
Zum Jahrestag der einstigen Eröffnung ist eine Feierwoche geplant. Der 100. Geburtstag am 1. August wird zugleich der Startschuss zum nächsten Kapitel des Museums sein – mit dem Spatenstich zum Baubeginn der Erweiterungsbauten. Die Kosten dafür beziffert Gunter Schöbel aus heutiger Sicht auf rund 10 Millionen Euro. Dass der Bund dafür erstmals einen kräftigen Zuschuss von 1,5 Millionen Euro bewilligt hat, freut Schöbel nicht nur. Er sieht darin auch Ansätze eines ersten Umdenkens bei der Bewertung der Museumslandschaft.

An die 60 Prozent der Besucher wählten die dezentralen Museen als Ziel, sagt Schöbel, nur eine Minderheit die großen stattlichen Museen in den Metropolen. Vor dem Hintergrund, dass für die Sanierung der Stuttgarter Oper derzeit eine Milliarde Euro im Raum steht, hält der Uhldinger Museumschef den Obolus für seinen Neubau durchaus für gerechtfertigt. Immerhin spare man sich zum großen Feiertag am 1. August den Aufwand für ein Feuerwerk und nutze den Schweizer Feiertag aus. Ein bisschen Schwabe ist der Stuttgarter Schöbel offensichtlich geblieben.