Marion Rank

Die Hauptstraße teilte das Wallbach mit seinen rund 1000 Einwohnern in den 1960er Jahren in zwei Gebiete: Die linke und die rechte Straßenhälfte mit ihren Häusern, dazwischen die Straße. Und diese, besser gesagt, der tägliche Verkehr, die Masse von Fahrzeugen, die sich über die damals noch unbefestigte Dorfstraße quälte, bestimmte und prägte das dörfliche Leben jener Zeit: Das Einkaufen, den richtigen Zeitpunkt für das Heimkommen von der Feldarbeit, das Spielen mit Freunden. Diese suchte man sich in den 60er Jahren besser auf der Straßenseite, auf der man wohnte.

Erich Thomann (links) und Sohn Thomas circa 1962 auf dem Weg durch das Dorf zum Kirchgang. Rechts im Hintergrund das Gasthaus "Traube". ...
Erich Thomann (links) und Sohn Thomas circa 1962 auf dem Weg durch das Dorf zum Kirchgang. Rechts im Hintergrund das Gasthaus "Traube". Auf der linken Straßenseite von vorn aus gesehen das Haus Wunderle, dahinter das Haus Seifert, indem der Konsum untergebracht war. Die Hauptstraße ist in den 60er-Jahren noch unbefestigt, ohne Trottoir. | Bild: privat

In den 1960er Jahren gab es in Wallbach drei Gasthäuser: "Engel", "Traube" und das Café "Eckert" sowie drei Lebensmittelgeschäfte. Die Gasthäuser bildeten den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens: Hier wurde getanzt, gefeiert und Theater gespielt. Die meisten Dorfbewohner in Wallbach waren Nebenerwerbsbauern. Sie arbeiteten entweder bei den hiesigen Firmen in Wallbach, Pieper Maschinenbau oder der Alunova Hufschmidt, bei der Bahn oder in den Fabriken in Rheinfelden. Das Vereinsleben spielte eine große Rolle im Dorf. Es gab den Frauengymnastikverein, die Freiwillige Feuerwehr, den Fußballclub FC Wallbach, den Männergesangsverein "Frohsinn", den Musikverein und den Radsportverein.

Der Kleine ist jetzt der Große: Thomas Thomann, 61 (links) und sein Vater Erich Thoman, 88. Wo in den 60er Jahren das Gasthaus "Traube" ...
Der Kleine ist jetzt der Große: Thomas Thomann, 61 (links) und sein Vater Erich Thoman, 88. Wo in den 60er Jahren das Gasthaus "Traube" stand (im Hintergrund rechts), ist heute Wohnbebauung. Seit dem Bau der Umgehungsstraße anfangs der 80er hat sich Wallbach Zug um Zug in ein schmuckes Dorf verwandelt, das es für viele Familien attraktiv macht. | Bild: Rank, Marion

Die andere Straßenseite war tabu

Wer Freunde auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte, der hatte es damals schwer. "Die B 34 war Grenzgebiet, wie ein Graben. Die andere Straßenseite war damals für uns tabu, weil es zu gefährlich war", erinnert sich Karl Thomann, 53, damals noch ein Bub. Sein Freund Reinhard wohnte im Haus gegenüber, die jeweiligen Eltern begleiteten die Jungs, wenn diese sich sehen wollten. "Du gehst nicht alleine über die Straße", diesen Spruch hat Karl Thomann noch heute in den Ohren. "Die Kinder hatten nie einen Ball", erzählt Vater Erich, 88. Ähnlich war es mit dem Fahrradfahren, weiß Karl Thomann noch zu gut: "Das ging nur Richtung Rhein, in der Bündtenstraße."

Wallbach hatte in den 60er Jahren noch vier Bahnübergänge. Damals verlief die Hauptstraße noch über die Bahngleise. Das erste Haus auf ...
Wallbach hatte in den 60er Jahren noch vier Bahnübergänge. Damals verlief die Hauptstraße noch über die Bahngleise. Das erste Haus auf der linken Seite, im Hintergrund, ist das heutige Müllmuseum der Familie Thomann. Der schmale Weg vorn im Bild führt zum Haus Heinz Thomann. | Bild: privat

Wenn viel Verkehr war, die beiden Bahnübergänge am Ortsanfang und am Ortsausgang von Wallbach geschlossen waren, sei das Dorf verstopft gewesen, erinnert sich Karl Thomann an seine Kindheit. Einer der Bahnübergänge befand sich in der Nähe des Hauses der Familie Thomann. "Damals führte die Hauptstraße noch über die Bahngleise. Genau dort, wo jetzt die Unterführung ist, war der Bahnübergang", erzählt Karl Thomann. Ein zweiter Bahnübergang befand sich beim Kieswerk, an der alten B 34. Die beiden anderen Bahnübergänge, in der Gartenstraße und jener in der Waldstraße, beim Friedhof, bestehen noch heute.

Seit dem Bau der Umgehungsstraße verläuft die Hauptstraße unter der Unterführung hindurch. Der Fußweg rechts führt zum Haus von Heinz ...
Seit dem Bau der Umgehungsstraße verläuft die Hauptstraße unter der Unterführung hindurch. Der Fußweg rechts führt zum Haus von Heinz Thomann. Das erste Haus im Hintergrund auf der linken Fahrbahnseite der Hauptstraße ist das Müllmuseum der Familie Thomann. | Bild: Marion Rank

"Zwischen 16.30 und 17 Uhr musste man daheim sein vom Feld, sonst war der Verkehr so groß, dass man nicht mehr auf sein Grundstück kam", erzählt Erich Thomann. Es gab nur einen Zebrastreifen, der befand sich in Höhe des Rathauses und eine Bushaltestelle, bei der Kirche. Damals seien viele Kinder ums Leben gekommen, wissen Vater und Sohn. Das ging bis in die 80er Jahre, als ein tödlicher Unfall mit einem Kind Anlass für einen Schweigemarsch nach Bad Säckingen wurde.

Einkaufen im Gasthaus

Mutter Agnes, 84, kann sich nicht daran erinnern, je im Konsum Lebensmittelgeschäft auf der gegenüberliegenden Straßenseite eingekauft zu haben, wegen des Verkehrs. Agnes Thomann bekam alles Notwendige beim Gasthaus "Traube", bei dem sie damals als Hausmädchen arbeitete, für 60 Mark im Monat, Kost und Logis frei. Im Gasthaus "Traube" gab es zu jener Zeit einen Kolonialwarenladen. Hier gab es alles, was es zum Leben brauchte, von Lebensmitteln bis zu Haushaltswaren.

In der Gaststätte spielt sich das Leben ab

Später sei noch eine Metzgerei hinzugekommen, erzählen die Thomanns. Auch im Gasthaus "Engel" befand sich ein kleiner Laden, im Nebenzimmer, erinnert sich Agnes Thomann. Die Gaststätten waren in den 60er Jahren nicht nur für die Versorgung mit Lebensmitteln und allem, was man so im täglichen Leben brauchte, wichtig. Hier spielte sich auch das kulturelle Leben der damaligen Zeit ab. Im Saal des oberen Stockwerkes des Gasthaus "Engel" gab es Theateraufführungen, selbst eine Kegelbahn bot das Gasthaus damals.

Vier Generationen auf dem Feld: Agnes Thomann, Helena Joos (geborene Thomann), Cousine Irma Kessler mit Tochter Heidi und Thomas ...
Vier Generationen auf dem Feld: Agnes Thomann, Helena Joos (geborene Thomann), Cousine Irma Kessler mit Tochter Heidi und Thomas Thomann. Das Foto entstand circa 1965. Damals war es noch üblich, dass bei der Feldarbeit noch die ganze Familie half. Rechts im Hintergrund geht es zum Rhein. Das Grundstück schließt an das Grundstück der Familie Denk an. | Bild: privat

In den 60er Jahren half noch die ganze Familie bei der Feldarbeit, die Kinder, aber auch Verwandte, erzählt Karl Thomann. Heute sei das anders. Die Bevölkerung Wallbachs war schon damals sehr engagiert, was ihr Dorf anbelangte, Bevölkerung und Vereine hielten in den 60er Jahren den Rheinweg sauber. "Das war typisch damals", erinnert sich Karl Thomann.

Auch die Wallbacher genossen den strengen Winter im Februar 1963 und die damit verbundene Möglichkeit, tagelang über den zugefrorenen ...
Auch die Wallbacher genossen den strengen Winter im Februar 1963 und die damit verbundene Möglichkeit, tagelang über den zugefrorenen Rhein zu spazieren. Das Foto ist wahrscheinlich von der kleinen Badestelle unterhalb des Brunnens aus, wo Fährstraße und Rheinstraße aufeinander treffen, aufgenommen worden. | Bild: Stadtarchiv

Unvergessen war für die Wallbacher der März 1963, als der Rhein komplett zufror. Der Musikverein Wallbach gab ein Konzert auf dem Rhein, die Menschen nutzten ihn zum Tanzen. Doch eines Tages wäre fast ein Unglück passiert: Die deutschen Wallbacher besuchten die Schweizer Nachbarn zum gemeinsamen Kartenspiel. Am Mittag, als sie den Rhein querten, war die Eisdecke gefroren, doch bei der Heimkehr abends über den Rhein sei das Eis hinter ihnen gebrochen, erinnern sich Erich und Karl Thomann aus Erzählungen von damals. Seither sei der Rhein nie mehr so zugefroren.