Die Bergung der entgleisten Regionalbahn bei Riedlingen ist inzwischen abgeschlossen – die Rekonstruktion, wie es dazu kommen konnte, läuft jedoch weiter. Und während in Internetforen spekuliert wird, gibt es auch Anzeichen, dass nicht nur ein Hangrutsch infolge eines verstopften Abwasserschachts zur Entgleisung geführt haben könnte.

Auffällig auf den Bildern von der Unglücksstelle ist auch ein anderes Detail: teils stark verformt wirkende Gleise. Wie sind die zu erklären? Denn der Verdacht liegt nahe, dass der Zug nach dem Erdrutsch noch einige Meter weiterfuhr, bevor das Gleis einen deutlichen Knick aufweist. Erst dahinter kam der Zug schließlich zum Stehen, Teile der Waggons schoben sich die Böschung hinauf.

Einsatzkräfte arbeiten an den Gleisen nahe eines Erdrutsches. Bei dem Zugunglück im Kreis Biberach sind drei Menschen ums Leben gekommen.
Einsatzkräfte arbeiten an den Gleisen nahe eines Erdrutsches. Bei dem Zugunglück im Kreis Biberach sind drei Menschen ums Leben gekommen. | Bild: Nico Pointner

Für Aufsehen sorgte in den Tagen nach dem Unglück, bei dem drei Menschen starben, vor allem aber eine Starkregensimulation, die auf der Website der Stadt Riedlingen zugänglich ist. Diese wurde von einem Stuttgarter Ingenieurbüro fast genau vier Jahre vor dem Unglück vom 27. Juli erstellt. Auf dieser Simulation lässt sich erkennen, dass die Bahnstrecke bereits nach wenigen Minuten unter Wasser steht, bevor später die Böschung, aus der sich der Schlamm gelöst haben soll, überspült wird. Außerdem soll jene fragliche Hangstelle schon vorher instabil gewesen sein.

Auf dieser Starkregensimulation sieht man, dass der Bahndamm nach einer halben Stunde vollgelaufen ist und Wasser über die Böschung nahe ...
Auf dieser Starkregensimulation sieht man, dass der Bahndamm nach einer halben Stunde vollgelaufen ist und Wasser über die Böschung nahe der Unglücksstelle fließt. | Bild: Ingenieurbüro Winkler und Partner

Fest steht: Zum Zeitpunkt des tödlichen Zugunglücks sind laut Deutschem Wetterdienst riesige Mengen Regen in Riedlingen vom Himmel geprasselt. In der Gegend habe „extrem heftiger Starkregen“ geherrscht. Am frühen Sonntagabend seien bis zu 50 Liter pro Quadratmeter innerhalb einer Stunde gefallen, sagte DWD-Sprecher Marco Pukert.

Gefahr bekannt?

War die Stelle also vorher schon als gefährdet bekannt? Der Bürgermeister von Riedlingen, Marcus Schafft, verneint das auf Anfrage. Er bestätigt aber, dass das betreffende Grundstück Eigentum der Deutschen Bahn sei. Die Erkenntnisse aus der angesprochenen Starkregensimulation lägen der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) vor. Die Unglücksstelle sei vorher auch nicht aufgefallen.

Zwei mögliche Szenarien

Der SÜDKURIER hat zwei Wissenschaftler um eine Einschätzung gebeten – und sie auf Bilder und die Simulation hingewiesen. Der Geowissenschaftler Michael Krautblatter von der Technischen Universität München ist einer von ihnen. Er betont, dass sich anhand von Bildern nicht sicher beurteilen lasse, ob der Hang vorab als gefährlich galt.

Und die verformten Gleise? Krautblatter, der seit Jahren Hangbewegungen im Bahnbereich untersucht, unterscheidet zwei Gefahren, die zum Entgleisen eines Zuges führen könnten: Zum einen kann durch einen Hangrutsch das Gleis mit Erde überschüttet werden, zum anderen können Verschiebungen im Gleisbett durch den Starkregen selbst zu einem Auslenken der Schienen geführt haben. Und somit zu einem Entgleisen. Auf eine der beiden Ursachen festlegen will sich Krautblatter nicht.

„Keine Anzeichen für Instabilität“

Auf den Naturgefahrenforscher Ugur Öztürk von der Universität Wien wirken betroffenen Hänge wirkten auf älteren Bildern weitgehend stabil. Öztürk: „Ich konnte keine eindeutigen Anzeichen für eine vorbestehende Instabilität erkennen.“ In so dicht bewachsenen Bereichen sei es ohnehin sehr schwierig, kleinere Deformationen frühzeitig zu erkennen. „Selbst bei regelmäßigen visuellen Kontrollen bleiben solche subtilen Veränderungen häufig unentdeckt.“

Ein Blick auf die Schäden an den Gleisen an der Bahnstrecke im Landkreis Biberach.
Ein Blick auf die Schäden an den Gleisen an der Bahnstrecke im Landkreis Biberach. | Bild: Jason Tschepljakow

Öztürk verweist zudem auf einen anderen Aspekt: Bei Bahntrassen werden Hänge oft durch Einschnitte künstlich geformt. Diese Gelände-Änderungen können deutlich steilere Neigungen erzeugen. Die daraus resultierende erhöhte Fließgeschwindigkeit von Regenwasser steigere das Erosionsrisiko erheblich. Die Unfallstelle könnte somit eine höhere Instabilität aufgewiesen haben, ohne dass dies auf den ersten Blick sichtbar war.

Gut zu erkennen: Ein Knick im Gleis. Den Erdrutsch hatte der Zug bereits zuvor passiert – die Vegetation am Rand zeigt dennoch keine ...
Gut zu erkennen: Ein Knick im Gleis. Den Erdrutsch hatte der Zug bereits zuvor passiert – die Vegetation am Rand zeigt dennoch keine deutlich sichtbaren Spuren von einem entgleisten Zug. | Bild: Jason Tschepljakow

Erst destabilisiert, dann entgleist?

Auf die Frage, ob der Zug erst später aus den Schienen gesprungen sein könnte, reagiert Öztürk vorsichtig – und betont, dass seine Überlegungen rein spekulativ sind. Er sei kein Experte für das dynamische Verhalten von Zügen.

Er hält es aber für möglich, dass der Zug durch das auf dem Gleis liegende Rutschmaterial bereits destabilisiert oder beschädigt worden sein könnte – und erst beim Überfahren jener verformten Schienenstelle endgültig die Stabilität verloren habe. Ob sich der Unfall so ereignet habe, lasse sich aber nur mit einer forensischen Analyse vor Ort klären.

Steigende Risiken brauchen bessere Frühwarnsysteme

Klar ist: Das Unglück von Riedlingen hat bundesweit Diskussionen über die Sicherheit von Bahnstrecken ausgelöst. Krautblatter und Öztürk sehen dringenden Handlungsbedarf, um das Schienennetz besser gegen geotechnische Risiken zu wappnen. Das Unglück von Riedlingen hätte sich laut Öztürk mit der bestehenden Infrastruktur aber kaum verhindern lassen. Der Klimawandel erzwinge ein Umdenken: Zonen mit erhöhter Gefährdung sollten klar erfasst und technisch überwacht werden.

Das könnte Sie auch interessieren

Das fordert auch Krautblatter. Er mahnt eine systematische Lernkurve in den kommenden zehn Jahren an. Viele Bahntrassen verlaufen durch instabiles Gelände – und mit zunehmenden Extremwetterereignissen sei künftig häufiger mit ähnlichen Vorfällen zu rechnen.

Ein Ereignis wie das in Riedlingen hätte sich seiner Einschätzung nach ebenso gut im Alpenvorland ereignen können. Wie auch sein Kollege in Wien spricht sich der Münchner Forscher für ein besseres Frühwarnsystem aus. Diese könnten laut Krautblatter bereits kleinste Verschiebungen im Millimeterbereich erfassen.

Die Bahn hat sich bislang nicht zu den Hintergründen des Unglücks geäußert und verweist auf laufende Ermittlungen. Man unterstütze die Behörden, hieß es auch auf eine neue Anfrage. Fachexperten seien weiter dabei, die Schäden aufzunehmen. Wann die Strecke wieder freigeben werden könnte, ist weiter unklar.