Klaus Morath

Eine Schwarzwaldfamilie aus Gündelwangen will Hunger und Elend entfliehen. Verzweifelt versucht sie, ihr Glück in der vielversprechenden „Neuen Welt“ – Amerika – zu finden. Aufs Geratewohl beginnt vor rund 200 Jahren die Reise in eine vermeintlich bessere Zukunft. Was ist darauf geworden? Noch heute erinnert ein Flurstück in Gündelwangen mit dem Namen „Amerika“ beziehungsweise „Kleinamerika“ an die einstigen „Auswanderer“.

Schicksalhafter Tag

Am 7. April 1817 ist für Paul Friedrich aus Bonndorf-Gündelwangen der schicksalhafte Tag gekommen. Seine Auswanderung, ein Schlussstrich unter sein bisheriges Leben, beginnt, eine weitreichende Entscheidung. Nachdem er seinen ganzen Besitz veräußert hat, macht sich der 39-jährige Webergeselle samt seiner Frau und sechs Kindern auf den Weg ins Abenteuer. Seine Tochter Magdalena ist gerade mal 23 Tage alt. Das erste Ziel ist Breisach am Rhein. Von dort geht die Reise flussabwärts mit einem Boot weiter bis Amsterdam.

Deutsche Auswanderer zog es den Rhein hinab auf dem Weg nach Amerika. Holzstich von 1864.
Deutsche Auswanderer zog es den Rhein hinab auf dem Weg nach Amerika. Holzstich von 1864. | Bild: Bayerische Staatsbibliothek

Schließlich, am 22. Mai 1817 am niederländischen Hafen angekommen, beginnt das lange Warten auf eine Überfahrtsmöglichkeit mit einem Segelschiff nach Amerika. Wie für viele andere Badener, die sich durch verheißungsvolle Versprechungen über günstige Reisemöglichkeiten und künftige Niederlassungschancen haben verlocken lassen, fängt die weite Reise spätestens in der umtriebigen Hafenstadt an zu stocken. Kaum ein Kapitän oder Reeder will sie auf die Überfahrt mitnehmen, denn es ist unsicher, ob für so viele Ausreisewillige in Amerika ein Arbeitsvertrag zum nachträglichen Abverdienen des Reisedarlehens geschlossen werden kann.

Teilweise beginnen die Wartenden dem Alkohol zu verfallen, nicht selten werden sie so ihr erspartes Geld los, oft werden sie auch beraubt. Die Überfahrt mit Verpflegung von Amsterdam, nach beispielsweise New York kostet im Jahr 1817 für einen Erwachsenen mindestens 170 Gulden. Für einen einfachen Handwerker entspricht dieser Betrag dem Lohn von ca. 340 Arbeitstagen. Skrupellose Geschäftemacher wittern in der transatlantischen Massenauswanderung ein lukratives Geschäft.

Familie verliert Habseligkeiten

Zahlreiche mittellose Auswanderungswillige können sich nur noch durch Betteln über Wasser halten. Die Friedrichs warten so lange auf ihre Passage, bis sie auch noch ihre letzten Habseligkeiten verloren haben. In einer Quelle heißt es schroff, dass Paul Friedrich aus Amsterdam ausgewiesen wurde. Schlussendlich bleibt der gebeutelten Familie nichts anderes übrig, als das ganze Vorhaben abzubrechen.

Schmachvolle Rückreise

Die Schwarzwälder treten Mitte Juni 1817 die schmachvolle Rückreise nach Gündelwangen an. So kehrt Paul Friedrich mit seiner Familie drei Wochen später völlig verarmt in die verlassene Heimat zurück. Hier besitzt er nun weder Land noch Haus, einfach nichts. Die gescheiterte Amerikafahrt hat ihn noch ärmer gemacht, als er zuvor schon war. Da er durch den Entschluss zur Auswanderung nicht nur kein Orts- sondern auch kein Staatsbürgerrecht mehr besitzt, ist er praktisch staatenlos. Die Familie Friedrich ist in der Heimatgemeinde nur noch geduldet und der absolute Nullpunkt ist erreicht.

„Amerika“ gibt‘s auch im Schwarzwald: Ein Flurstück (im Bild links unten) in Gündelwangen trägt diesen Namen, ...
„Amerika“ gibt‘s auch im Schwarzwald: Ein Flurstück (im Bild links unten) in Gündelwangen trägt diesen Namen, Einheimische nennen es auch Kleinamerika. | Bild: plan Gemarkung Gündelwangen 1879, Archiv Rathaus Bonndorf

Die Gemeinde fühlt sich ihnen dennoch verpflichtet, sie will dem Elend nicht zusehen und baut der Familie eine einfache Hütte. Nur sehr langsam beginnen die Zurückgekehrten wieder Fuß zu fassen. Noch 1830 zählen sie zu den notorisch Armen in der Gemeinde. In einer weiteren Quelle wird beschrieben wie „Weib und Kind betteln“.

Neben dem ehemaligen Bahnhof in Gündelwangen stand die „Amerika-Hütte“ der Familie Friedrich.
Neben dem ehemaligen Bahnhof in Gündelwangen stand die „Amerika-Hütte“ der Familie Friedrich. | Bild: Klaus Morath

Nicht nur Schulgeld und Bücher für die mittlerweile acht Kinder werden von der Gemeinde bezahlt, auch Zuwendungen für Medikamente und Lebensmittel werden getätigt. Später, man schreibt das Jahr 1834, machen sich die mittlerweile erwachsenen Söhne der Familie ihrerseits auf in die „Neue Welt“. Damit der älteste Sohn der Familie, Conrad Friedrich, einen zweiten Auswanderungsversuch in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten starten kann, nehmen die Friedrichs bei der Waisenkasse Bonndorf ein Darlehen von 100 Gulden auf. Tatsächlich wandert Conrad 1834 aus und stellt 55 Jahre später im Bundesstaat New York einen amerikanischen Passantrag. 1837 wandert auch sein Bruder Johann Baptist nach Nordamerika aus.

Paul Friedrich stirbt

Am 29. September 1844 stirbt Paul Friedrich in bescheidenen Verhältnissen in Gündelwangen. Rund 60 Jahre später wird sein Häuschen wegen des Baus der Bahnlinie Neustadt-Bonndorf abgerissen. Ob aus Spott oder aus Trost, das Flurstück besitzt bis heute den Namen „Amerika“. Die Einheimischen nennen es auch „Kleinamerika“.