Bonndorf – Die Ladentür ist noch geöffnet in der Martinstraße 24. Aber zu sehen gibt es innen kaum noch etwas. Nackte Lampenkabel hängen von der Decke. Ein einsamer Kerzenständer steht da, vor dem Schaufenster ein verwaistes Boxspringbett, wie bestellt und nicht abgeholt, und es liegen noch ein paar Regalbretter auf dem Boden. Es hallt in dem großen leeren Raum wie in einer Tropfsteinhöhle. Eine Stehleiter und ein Staubsauger signalisieren: Großreinemachen ist gerade angesagt, vielleicht der letzte Akt in Annette Dietsches Geschäftsleben. Eine Fahrschule will im Januar einziehen in die Geschäftsräume, in denen Dietsche beinahe 26 Jahre lang die Bonndorfer und viele andere mit Matratzen, Bettwaren, Tischwäsche, Kuscheldecken und Frotteehandtüchern versorgt hat. Jetzt ist Schluss.

Annette Dietsche ist gar nicht traurig. „Ganz ehrlich“, sagt sie und lächelt dabei, „das fühlt sich an wie eine Befreiung.“ Annette Dietsche ist 60 Jahre alt, und auf die Frage, was sie denn jetzt tun wolle, antwortet sie: „Jetzt muss ich erst mal runterkommen.“ Sicher werde sie irgendwann noch mal irgendwas arbeiten, aber in den nächsten Monaten steht das nicht zur Debatte. Da soll die Familie Vorrang haben. Mann, Kinder und Enkel hatten in den vergangenen 26 Jahren oft zurückstehen müssen im Tagesprogramm von Annette Dietsche. 1999, am 25. Februar, hat sie ihren Laden in der Bonndorfer Martinstraße eröffnet. Auf die Idee gebracht hatte sie ein Freund, der nach der Schließung eines Textilfachgeschäfts in Bonndorf moserte: „Jetzt kann ich wegen Bettwäsche bis nach Freiburg fahren.“ Er schlug Annette Dietsche vor: „Dann verkauf du das doch jetzt.“

So abwegig war der Gedanke nicht. Annette Dietsche, gebürtige Bonndorferin, hatte ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau in der Textilbranche absolviert, just in jenem Geschäft, das Ende der 90-er Jahre schloss. Ein Jahr lang überlegte und plante Dietsche damals und holte sich Rat – bei ihrem Mann Reiner, einem gelernten Handelsfachwirt, und beim Einzelhandelsverband. Dort bekam sie als Jungunternehmerin wichtige Tipps und eine derart präzise Geschäftsprognose, dass sie noch heute darüber staunt. „Die haben mir für die ersten zehn Jahre genau vorausgesagt, welchen Umsatz ich machen würde.“

Tatsächlich lief in den ersten Jahren alles wie am Schnürchen. Eine Stammkundschaft bildete sich schnell in Dietsches Laden mit dem besonderen Service, wo man sich edle Monogramme in Handtücher sticken lassen konnte und wo die Chefin die Frottierware zum Verschenken kunstvoll in die Form von Katzen, Schweinchen, Elefanten oder Brautpaaren faltete. Wo lernt man sowas, Frau Dietsche? Lässiges Achselzucken und ein Abwinken: Kleinigkeit. „Da gibt‘s Bücher.“ Selbst Urlaubsgäste sprangen an auf Heimtex Dietsche. „Es gab Leute aus ganz Deutschland, die haben immer auf die Ferien gewartet, um ihren gesamten Bedarf bei mir zu kaufen“, berichtet die Unternehmerin. „Die haben die Sachen einfach schon vorher bestellt.“

Doch nicht nur die Zahl der Urlaubsgäste habe seit den ersten Jahren des 21.¦Jahrhunderts abgenommen, auch von den heimischen Kunden kamen immer weniger. „Man hat schon nach der Finanzkrise 2008 gemerkt, dass sich die Menschen beim Einkaufen zurückhalten“, sagt Annette Dietsche. „Aber die wirkliche Zäsur war die Corona-Pandemie.“ Besonders der zweite Lockdown sei zu lang gewesen, sagt Dietsche, der habe viele Kunden daran gewöhnt, ihren Bedarf im Internet zu ordern. Seitdem müsse der Einzelhandel kämpfen, sagt Annette Dietsche. Dennoch würde sich ihr Laden auch heute noch rechnen, sagt die Geschäftsfrau, der es um die Kunden leidtut.

Sie hat zum Abschied viele Dankesworte und Karten bekommen, Blumensträuße, von einer Kundin sogar einen Präsentkorb.“ Wir vermissen dich jetzt schon“, hätten Kunden gesagt, „du wirst uns fehlen.“ Das hat sie beeindruckt, aber sie sagt auch: „Unser Jahrgang hat das seine getan. Jetzt sind die Jungen dran.“

Für ein Betten- und Textilfachgeschäft sieht sie in Bonndorf weiter Potenzial, auch wenn es ganz ohne Online-Handel heute wohl nicht mehr funktioniere. Die Lage Bonndorfs sei ideal für den Einzelhandel. Es müsse sich allerdings dringend was tun: Früher habe es in fast jedem Haus ein Geschäft gegeben, viel mehr Gastronomie und sehr viel mehr Feriengäste.

„Wir müssen darauf achten, die Infrastruktur zu erhalten“, fordert Annette Dietsche, die sich auch im Handels- und Gewerbeverband engagiert hatte, Bonndorf müsse attraktiv bleiben. Sie kritisiert: „Mir ist schon immer zu wenig von der Stadt gekommen.“ Und zwar völlig unabhängig davon, wer gerade auf dem Bürgermeistersessel im Rathaus sitze, fügt sie hinzu.