Der Ärger bei Georg Netzhammer ist groß: Lange Jahre bildete sein Haus in der Hansengelstraße den westlichen Abschluss der Hohentengener Ortsbebauung. Dass westlich von seinem Haus noch weiter gebaut werden könnte, war unwahrscheinlich. Denn auf einen gerade 20 Meter breiten Streifen Baulands folgt ein Landschaftsschutzgebiet.
Doch es kam anders: Die Gemeinde nahm nämlich eine Bebauungsplanänderung vor. Gegen diese Entscheidung kämpft Netzhammer nun seit sechs Jahren – und das mit Erfolg, denn inzwischen wurde der Bebauungsplan per Gerichtsentscheidung aufgehoben. Dennoch ist auf dem Nachbargrundstück inzwischen ein Doppelhaus entstanden.
Die Fronten scheinen unterdessen verhärtet: Netzhammer wirft der Verwaltung Missachtung geltenden Rechts vor. Die Gemeinde sieht die Angelegenheit als weit weniger dringlich an als Netzhammer – und kann vor allem noch immer keinen Handlungsdruck erkennen.
Aber der Reihe nach.
Konflikt zwischen Bauplänen und Landschaftsschutz
Stein des Anstoßes aus Sicht Netzhammers ist vor allem der allzu nachsichtige Umgang der Gemeinde mit dem Landschaftsschutzgebiet zugunsten der privaten Interessen eines Grundstückseigentümers, dessen Gelände an das des Unternehmers grenzt.
Zwar gab es dort eine schmale bebaubare Fläche – alles in allem 0,1 Hektar groß. Das erschien aber zu klein für eine Wohnbebauung. So gab es Anfang 2016 bereits Pläne für einen Hausbau, doch einen Bauantrag zogen die Bauinteressenten zurück, wie aus einem Schriftverkehr der von Netzhammer beauftragten Anwaltskanzlei BFMR mit dem Verwaltungsgericht Freiburg hervorgeht, der unserer Zeitung vorliegt.
Eingriffe in das Landschaftsschutzgebiet
Doch hatte es zunächst den Anschein, als hätten sich damit die baulichen Ambitionen für dieses Grundstück erledigt, kam es bereits wenige Monate später anders: Im Sommer 2016 leitete die Gemeinde Hohentengen für diesen Bereich eine vorhabenbezogene Bebauungsplanänderung ein. Netzhammer und ein weiterer Anrainer reagierten prompt: „Wir haben versucht, mit unseren Einwendungen auf den Gemeinderat und die Verwaltung einzuwirken, und die Fehler zu verdeutlichen, die hier gemacht werden“, schildert Georg Netzhammer im Gespräch mit unserer Zeitung.
Konkret betrafen die Einwendungen die Eingriffe in das Landschaftsschutzgebiet als solches, nicht eingehaltene Abstände, etwa zum Wald. Doch er stieß auf wenig Gehör. Die Einwendungen wurden vom Gemeinderat im Rahmen der Abwägung damals als unbegründet abgewiesen.
Der Schutzstatus des angrenzenden Gebiets sei niedrig einzustufen und Bauten erlaubt, wenn sie dem Schutzzweck nicht entgegenstehen, hieß es damals. Auch Abstände würden eingehalten. Darüber hinaus wurden Kompensationsmaßnahmen für die Baumaßnahmen festgelegt. Im Frühjahr 2017 wurde die Bebauungsplanänderung formal beschlossen.
Verwaltungsgerichtshof gibt Netzhammer Recht
So einfach gab Netzhammer sich nicht geschlagen. Den Bau des Hauses versuchte er durch Erlass einer Baueinstellungsverfügung zu verhindern. Dieser wurde jedoch von der Baurechtsbehörde des Landratsamts im Sommer 2017 abgelehnt.
Netzhammer ging weiter gegen die Bebauungsplanänderung vor und konnte schließlich einen Erfolg verbuchen: Im Jahr 2020 erklärte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim den Bebauungsplan der Gemeinde für das Gebiet „Klausen – Hansengelstraße West“ für unwirksam.
In der Begründung des Gerichts heißt es unter anderem, dass der Bebauungsplan „schon nicht rechtmäßig als Satzung beschlossen“ worden sei: „Zudem ist er in mehrfacher Hinsicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.“
Gericht wirft einem Gemeinderat Befangenheit vor
Die Entscheidung sei unter Mitwirkung eines befangenen Gemeinderats getroffen worden. Dieser sei lediglich vom Sitzungstisch abgerückt, anstatt die Sitzung ordnungsgemäß zu verlassen, argumentiert der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil, das unserer Zeitung vorliegt.
Verfahrensfehler erkennt das Gericht auch bei der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs, sowie mit Blick auf den Waldabstand, der nicht eingehalten wurde.
Netzhammer: „Gemeinde hat noch immer nicht reagiert“
Wie gesagt: Die Entscheidung des Gerichts liegt zwei Jahre zurück. Doch passiert ist seitens der Gemeindeverwaltung bislang nichts, moniert Netzmammer. Er sei sich nicht einmal sicher gewesen, ob der Gemeinderat überhaupt über alle Vorgänge ins Benehmen gesetzt worden sei. „Daher habe ich es in der Bürgerfrageviertelstunde jetzt wieder aufs Tapet gebracht, doch ich wurde relativ kurz abgefertigt“, schildert der Unternehmer seine Erfahrungen.
Dringend geklärt werden müssten nach Netzhammers Einschätzung vor allem die Kernfragen: Wie geht die Gemeinde damit um, dass nun gewissermaßen ein „Schwarzbau“ ohne gültige Planungsgrundlage vorhanden sei? Und: Wie steht es eigentlich mit den finanziellen Folgen des Urteils für die Gemeinde. Denn diese musste immerhin die Verfahrenskosten übernehmen.
Bürgermeister Benz: „Formale Fehler lassen sich korrigieren“
Konfrontiert mit den Fragen und der Kritik Netzhammers reagiert Hohentengens Bürgermeister Martin Benz gelassen: „In dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht nichts, was sich nicht durch Anpassung der Planung heilen lässt.“ Denn die relevanten Aspekte des Urteils bezögen sich aus Sicht des Bürgermeisters auf Formfehler: „Das ist zwar ärgerlich, lässt sich aber in den Griff bekommen“, so seine Einschätzung. Derweil sehe er keine Beanstandungen am Verfahren als solches.
Generell bedeute Landschaftsschutzgebiet ohnehin nicht, dass ein Bauverbot bestehe, sondern dass es abzuwägen gelte, ob ein Bauvorhaben vertretbar sei, so Benz. Aber sogar der Flächennutzungsplan lasse in diesem Gebiet eine Bebauung zu.
Es sei alles seinen geordneten Gang gegangen, inklusive Bürgerbeteiligung, Umweltbericht, Abwägung der Einwände und der generellen Behandlung der Angelegenheit in mehreren öffentlichen Sitzungen.
„Die Angelegenheit ist derzeit beim Landratsamt anhängig. Wir warten auf dessen Entscheidung“, so Benz. Bevor diese nicht vorliege, gebe es aus Gemeindesicht ohnehin keine Veranlassung, etwas in dieser Sache zu unternehmen.