Georg Schwarz erinnert sich noch genau an den Abend des 15. Januars 2013. „Ich hatte Nachtdienst. Mein Kollege und ich wurden zu einer Banalität in eine Gaststätte in Wehr gerufen“, erzählt der Polizeihauptmeister aus Bad Säckingen. Es war zu einem Streit zwischen dem Wirt und einem Gast gekommen. Der Montagearbeiter, der an diesem Abend mit einem Kollegen in der Gaststätte aß und einige Feierabendbiere genoss, verlangte beim Essen Nachschlag, den er anschließend nicht bezahlen wollte, da er davon ausging er sei umsonst.
„Unser Einsatz vor Ort ging ganz normal und nett los“, beschreibt Schwarz und fügt an: „Ich hatte sogar das Gefühl, ich habe einen ganz guten Draht zum Montagearbeiter.“ Da sich das Prozedere der Aufnahme und Feststellung der Personalien hinzog, wurde der nicht beteiligte Arbeiter immer provokativer und beleidigend. „Ich forderte auch seinen Ausweis, dann bäumte er sich vor mir auf“, erinnert sich Schwarz. Der aggressive Montagearbeiter missachtete jegliche Aufforderungen des Polizeibeamten und wurde plötzlich handgreiflich. Er nahm Schwarz’ Arm und drehte ihn nach hinten, woraufhin dieser auskugelte. „Nun standen wir vor der Frage: was jetzt? Ich hatte einen sehr jungen Kollegen dabei, der gerade aus der Ausbildung kam und die Anforderung von Unterstützung hätte sicherlich 15 Minuten gedauert, da es an diesem Abend geschneit hatte“, erklärt Schwarz die missliche Lage, in der sich die beiden Beamten befanden.
Unter Schmerzen versuchte er seinem Kollegen bei der Festnahme zu helfen, doch der Täter widersetzte sich dieser vehement. Die beiden Polizisten konnten den Mann in eine Ecke drängen und ihm schließlich die Handschellen anlegen. Für Georg Schwarz hatte dieser Einsatz folgenschwere gesundheitliche Auswirkungen, weshalb er den Streifendienst quittieren musste und seither im Innendienst tätig ist. Ob man als Polizist damit nicht rechnen muss? „Bis zu einem gewissen Maß nimmt man in diesem Job viel hin, ob Beleidigungen oder Respektlosigkeiten, doch dass einem so etwas passiert, daran glaubt man nicht.“
Wie dem 39-jährigen Polizisten erging es 1471 Beamten 2016 in Baden-Württemberg, die Opfer von Gewalt im Dienst wurden. „Im Polizeipräsidium Freiburg ereignen sich fast täglich Gewalt und Aggressionsdelikte gegen Polizisten“, berichtet Hans-Jochen Köpper, hauptamtlicher Restitutor des Polizeipräsidiums Freiburg. Im Landkreis Waldshut wurden 2016 insgesamt 20 Straftaten gegen Polizeibeamte gemeldet. Im Vergleich zum Vorjahr konnte hier ein Anstieg um 53 Prozent festgestellt werden. Der Landkreis Lörrach verzeichnete 37 Straftaten.
Dabei handle es sich neben Körperverletzungen auch um Widerstände und tätliche Angriffe oder aber um verbale Provokationen und Beleidigungen, wie Hans-Jochen Köpper erklärt, der Ansprechpartner für Opfer von Gewalt und Aggressionen in Dienst ist. „Ich informiere, berate und zeige Wege auf, damit die betroffenen Kollegen bei ihrer Genesung und bei der Schadensabwicklung nichts vergessen“, beschreibt der Polizist seine Tätigkeit. Aber auch Präventionsmaßnahmen, wie interne Informationsveranstaltungen, fallen in seinen Zuständigkeitsbereich. Hans-Jochen Köpper ist der einzige hauptamtliche Restitutor in ganz Baden-Württemberg. Doch 2018 soll ein weiteres Präsidium das Freiburger Modell übernehmen.
Für Georg Schwarz war der Rückhalt seines Arbeitgebers nach dem Einsatz im Januar 2013 besonders wichtig. „Ich bin Polizist geworden wegen des Streifendienstes.“ Doch sein Traum war nun vorbei. Es folgten Besuche beim Konfliktberater, der Polizeiärztin und eine vierwöchige Reha-Kur. „Mein Revierleiter hat sich dafür eingesetzt, dass ich hier in Bad Säckingen bleiben kann“, freut sich Schwarz. Nicht nur beruflich hat sich für den Familienvater vieles geändert. Auch privat leidet er unter den Folgen der Verletzung an der Schulter. Alle Tätigkeiten über Kopf muss er nun mit der anderen Hand erledigen. „Beim Fußballspielen mit meinen Kindern klemme ich mir den Arm immer in den Gürtel, da ich Angst habe eine falsche, schmerzhafte Bewegung zu machen“, bedauert Georg Schwarz. Rechtlich genießen Polizisten grundsätzlich keinen anderen Status als andere Bürger, wenn sie Opfer von Gewalttaten werden.
Zwar kann der Dienstvorgesetzte bei bestimmten Delikten eine strafrechtliche Sanktionierung seitens der Justiz erwirken, doch Schadensansprüche, wie etwa Schmerzensgeld, müssen die Beamten selbst durchsetzen. Hier steht im Polizeipräsidium Freiburg Hans-Jochen Köpper seite 2014 als Restitutor den geschädigten Kollegen zur Seite. „Das Land Baden-Württemberg hat 2017 in einer Arbeitsgruppe, der auch ich angehörte, sich des Themas angenommen. Es wurde erkannt, dass die gesetzlichen Regelungen und Möglichkeiten zwar vorhanden und ausreichend sind, aber das weitere Prozedere besonders nach schwerwiegenden Schädigungen nicht für alle Kollegen immer verständlich ist“, ergänzt der Restitutor. Das Polizeipräsidium Freiburg setzt auf Maßnahmen wie ein situatives Verhaltenstraining der Beamten, die verbesserte persönliche Ausstattung, eine bessere Zusammenarbeit mit der Justiz sowie die verbesserte Betreuung nach besonders belastenden Einsätzen, um der Gewalt zu entgegnen.
Polizeihauptmeister Georg Schwarz, der bereits in Stuttgart und Lörrach im Streifendienst tätig war, hat in seiner Laufbahn schon viele Erfahrungen mit Gewalt gemacht. „Respektlosigkeiten gab es bereits nach meiner Ausbildung 1997, doch es ist deutlich mehr geworden.“ Für Hans-Jochen Köpper ist der Fall seines Bad Säckinger Kollegen jedoch besonders bedauerlich: „Bezogen auf die Gesamtzahl sind derart schwerwiegende Fälle glücklicherweise die Ausnahme, auch wenn jeder einer zu viel ist und für den Betroffenen ein einschneidendes und oftmals lebenslang belastendes Ereignis darstellt.“

Kameras sollen Beamte schützen
Eine präventive Maßnahme zur Bekämpfung der steigenden Gewalt gegen Polizeibeamte sind sogenannte Bodycams. Die am Körper getragenen Kameras sollen Beamte vor Angriffen und Vorwürfen schützen.
Im vergangenen Frühjahr wurden in einer Pilotphase von etwa einem Monat in Baden-Württemberg die Bodycams getestet. Dabei wurden die Polizeipräsidien in Mannheim, Stuttgart und Freiburg mit den Körperkameras ausgestattet. Unter anderem der Revierstandort Weil am Rhein testete die Präventionsmaßnahme. Die Probezeit zeigte, wie der Baden-Württembergische Landtag in einer Pressemitteilung erklärt, dass insbesondere bei Kontrollen von Personengruppen eine deutliche Aggressionsminderung zu verzeichnen war.
In insgesamt 214 Fällen während der Pilotphase kamen die Bodycams zum Einsatz. Laut Landtag habe bereits in 70 Prozent der Fälle die Aktivierung des sogenannten Pre-Recordings ausgereicht, um das Gewalt- und Aggressionspotenzial einzudämmen. Beim Pre-Recording zeichnet die Kamera eine 60-sekündige Dauerschleife auf, die ständig überschrieben wird. Nur durch Aktivierung durch den Polizeibeamten wird eine längere Aufnahme ausgelöst. Dieses Verfahren ist vor allem bei Datenschützern umstritten.
Doch neben all den Vorteilen hat der Einsatz aber auch seine Grenzen. Innenminister Thomas Strobl spricht dabei „Situationen mit stark alkoholisierten oder unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stehenden Personen“ an. Die Wirksamkeit sei in diesen Fällen aufgrund der verminderten Steuerungsfähigkeit der Personen stark eingeschränkt. Auch in Einsätzen mit psychisch auffälligen Personen sowie mit Personen mit sprachlichen Barrieren käme die Wirkung an ihre Grenzen.
Nach der Probephase im vergangenen Jahr erfolgte im Oktober 2017 eine europaweite Ausschreibung der Körperkameras. „Diese wurde nun aus vergaberechtlichen Gründen aufgehoben, da kein zuschlagsfähiges Angebot vorlag“, wie der Pressesprecher des Polizeireviers Waldshut-Tiengen, Mathias Albicker, auf Anfrage mitteilt. Eine Verzögerung der geplanten Einführung sei dadurch unvermeidbar. „Ein genaues Zeitfenster kann aus diesem Grund nicht benannt werden“, ergänzt der Pressesprecher.
Fabienne Zintl