Sira Huwiler

„Ein Viertel der Menschen im Landkreis Waldshut ist über 60¦Jahre alt, Tendenz steigend“, sagt Gernot Strohm. Er ist der Vorsitzende des Kreisseniorenrates, einer Arbeitsgemeinschaft von über 100 Vereinen, Organisationen und Einrichtungen, die im Landkreis Waldshut für die Seniorenarbeit tätig sind. Und Gernot Strohm weiß ganz genau, woran es noch mangelt. „Viele ältere Menschen sind einsam“, sagt er. „Dabei wäre ein Großteil der Senioren rein körperlich noch agil genug, den wohlverdienten Ruhestand voller Freunde und Würde zu genießen.“ Das Problem: Noch erreichen die Engagierten der Seniorenarbeit nur einen kleinen Teil mit ihren Hilfs- und Unterhaltungsangeboten. Und viele Senioren leben isoliert.

„Die breite Seniorenmasse auch in infrastrukturärmeren Gemeinden des Südschwarzwaldes erreichen und wieder aktiv in das gesellschaftliche Leben einbinden – das ist ein wichtiges Ziel für die Zukunft,“ sagt Strohm. „Wir arbeiten gemeinsam mit den Kommunen an Lösungsansätzen.“ Dafür entstehen zurzeit Ortsseniorenräte, die in den einzelnen Städten und Gemeinden langfristig die Interessen der älteren Bürger vertreten sollen. „Aktuell sind es zwölf, bis 2020 werden hoffentlich mehr als die Hälfte aller Gemeinden, also mindestens 16, so einen Ortsseniorenrat haben“, sagt Strohm. Erst kürzlich ist beispielsweise in Laufenburg ein solcher Stadtseniorenrat entstanden. „Der Austausch wird immer wichtiger“, ist Bürgermeister Ulrich Krieger sicher. „Deshalb freuen wir uns auf die Anregungen und hoffen auf Ideen, die das Leben für Senioren als Teil der Gesellschaft in unserer Stadt lebenswerter machen.“ So gestalten Senioren dann alternative Zukunftsmöglichkeiten aktiv mit.

Dass Alter und Einsamkeit nicht zwingend zusammen gehören, zeigt auch ein ganz besonderes Wohnprojekt in der Waldshuter Gartenstraße 12a. Senioren-WG oder Betreutes Wohnen – das wollen sie nicht sein. „Eher ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt“, sagt Suzanne Remington (65), Vorsitzende des Vereins WohnVision am Hochrhein, in dem die Projektidee angestoßen wurde. In zwölf Wohnungen leben hier in drei Häusern 16 Menschen. Die Jüngste ist 27, der Älteste 76. „Jeder hat seine eigene Wohnung“, sagt Remington. „Aber wir haben einen gemeinsamen Garten und Gemeinschaftsräume, machen zusammen Ausflüge und achten aufeinander.“ Gute Nachbarschaft pflegen, einander im Blick haben, sich ein Wohlfühl-Zuhause schaffen – das sind die Grundgedanken der Wohn-Vision. Etwa die Hälfte der Bewohner steht noch mitten im Berufsleben. Andere sind pensioniert und schätzen den generationsübergreifenden Austausch. „Im Ruhestand verliert man den Kontakt zur jungen Generation, das ist schade“, bedauert Bernd Friebe (68), Vorstandsmitglied der WoGe Gartenstraße und Ehemann von Suzanne Remington. „Aber wer sich nur noch mit Altersthemen beschäftigt, rostet ein.“

Die beiden pensionierten Lehrer hatten mit fünf anderen Gründungsmitgliedern 2008 die Idee. Und nach Besuchen ähnlicher Projekte am Bodensee und in der Schweiz, einer langen Planungsphase mit Architekten und Klärung der Finanzierungsmöglichkeiten, stand fest: „Wir schaffen uns ein Zuhause, wo wir so lange wie möglich selbstbestimmt leben können.“ 2011 gründeten sie die Genossenschaft WoGe Gartenstraße, 2012 war Baubeginn. Das Altbauhaus (Baujahr 1934) der Familie Remington-Friebe, in dem sie einst mit ihren drei Kindern lebten, und das Nachbarhaus (Baujahr 1834) bildeten nach aufwendiger Sanierung und Renovierung die Grundpfeiler der WoGe. „Ein Neubau und die Verbindung aller Gebäude durch einen Aufzugturm und barrierefreie Stege und Solarzellen auf allen drei Dächern, die für warmes Wasser sorgen, machen unser Wohnprojekt komplett“, so Remington stolz.

Ein Teil der Gründungsmitglieder der WoGe Gartenstraße (von links): Bernd Friebe, Vorsitzende Suzanne Remington, Traudel Grüsser bei der ...

Ein Teil der Gründungsmitglieder der WoGe Gartenstraße (von links): Bernd Friebe, Vorsitzende Suzanne Remington, Traudel Grüsser bei der Pflanzarbeit und Karin Lindemann. Bilder: Sira Huwiler

| Bild: Sira Huwiler

Ganz billig ist das Wohnen in der Gemeinschaft nicht: Neben einer einmaligen Genossenschafts-Einlage von 50 000 bis 75 000 Euro, je nach Größe der Wohnung, die bei einem Auszug wieder ausbezahlt wird, kostet die Monatskaltmiete pro Wohn-Quadratmeter 9,50¦Euro, inklusive der Umlage für Gemeinschaftsräume. „Aber das 2,8 Millionen teure Bauprojekt und die Innenstadtlage müssen bezahlt werden“, so Remington.

„Bezugsfertig war alles vor genau zwei Jahren“, erinnert sich die ehemalige Krankenschwester und Vorstandsmitglied Karin Lindemann (72), die gleich zu Beginn in eine Zweizimmerwohnung zog. „Das Leben hier ist toll. Die direkte Nähe zur Innenstadt und die barrierefreie Ausstattung der Anlage bieten sehr viele Vorteile.“ Aber das Schönste sei die vertraute Nachbarschaft. „Wir achten aufeinander, helfen uns gegenseitig“, sagt sie. „Das macht großen Spaß und tut der Seele gut.“

Das Mehrgenrationen-Wohnprojekt ist einmalig am Hochrhein. Doch auch Gemeinden sind immer öfter bemüht, Senioren gezielt in das bunte Gemeindeleben zu integrieren. „Viele Senioren sind vital, engagiert und ein wahrer Schatz für unsere Gemeinde“, meint beispielsweise Lauchringens Bürgermeister Thomas Schäuble. Neben einer bestehenden Einrichtungen für Betreutes Wohnen, ist das größte Projekt der Kommune zurzeit die Bebauung des sechs Hektar großen Riedparks zwischen Ober- und Unterlauchringen. Hier sollen „zukunftsfähige Wohnformen für jedes Alter“ in 42¦Mieteinheiten entstehen. „Durch eine bunte Mischung der Generationen, die Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten und Ärzten und barrierefreie Bauart können hier ab 2018 auch Senioren integriert statt isoliert in der Gemeinde leben“, sagt Schäuble. „Das ermöglicht eine würdevolle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – darauf sind wir stolz.“

Bild 2: Heimat 2020: So könnten Senioren in der Zukunft leben

Rentner sind länger fit und agil

  • Zahl der Senioren: Seit Mitte der 1970er-Jahre verzeichnet Baden-Württemberg laut Statistischem Landesamt ein anhaltend niedriges Geburtenniveau von rund 1,4 Kindern pro Frau. Gleichzeitig werden die Menschen durch bessere Ernährung und medizinische Versorgung immer älter. Während 1975 rund 13,2 Prozent der Bevölkerung des Landkreises Waldshut über 65 Jahre alt waren, werden es bis 2020 schon rund 21 Prozent und im Jahr 2060 sogar 30 Prozent sein. (Grafik)
  • Lebenserwartung: Menschen leben heute länger. In den vergangenen 60 Jahren hat die durchschnittliche Lebenserwartung um rund 14 Jahre zugenommen. Heute wird ein neugeborenes Mädchen voraussichtlich knapp 84, ein Junge 79 Jahre alt.
  • Durchschnittsalter: Das Durchschnittsalter in Baden-Württemberg steigt und soll sich laut Prognosen von aktuell 43¦Jahren auf annähernd 49¦Jahre im Jahr 2060 erhöhen.
  • Fit im Alter: Während sich Menschen im Rentenalter früher auch alt gefühlt haben, sind Rentner heute länger fit und agil. Eine Studie der Universität Klagenfurt zeigt: Frauen zwischen 50 und 75 fühlen sich glücklich und im Durchschnitt elf Jahre jünger, als sie tatsächlich sind. Männer sind im Alter laut der Studie hingegen häufig einsam und depressiv. Als Grund hierfür nennen die Forscher, dass Frauen Hilfe und Anschluss in der Gesellschaft aktiv suchen, während sich Männer in sich zurückziehen. Umso wichtiger seien integrierende Hilfsangebote für beide Geschlechter. (sih)