Tausende Berufstätige am Hochrhein pendeln jeden Tag mit Bus und Bahn zu ihrer Arbeitsstelle und zurück. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie brauchen eine Menge Geduld. Denn die Häufigkeit, in der Züge Verspätung haben oder ganz ausfallen, ist verhältnismäßig hoch. Oder ist das Gefühl, fast täglich zu lang auf Züge zu warten, nur ein subjektiver Eindruck?

Diese Frage beschäftigte auch Francesco Santagada aus Niederhof. Der 22-Jährige ist fast jeden Tag mit dem Zug zu seinen Ausbildungsstellen – zunächst in Lörrach, später in Weil am Rhein – unterwegs und fährt mehrmals pro Monat zu den schulischen Teilen der Ausbildung nach Freiburg. „Ich habe schnell gemerkt, dass die Züge oft Verspätung hatten. Und ich wurde von vielen Leuten darauf angesprochen“, schildert er im Gespräch mit dem Autor.

Immer wieder habe es Probleme gegeben, Anschlusszüge in Basel am Badischen Bahnhof zu erreichen – egal in welche Richtung die Reise ging. Letztlich wollte er es genau wissen – und begann Anfang Januar 2019 damit, ein detailliertes Tagebuch zu führen.

210 mal war der Zug später dran

Vom Ergebnis sei er am Ende selbst überrascht worden, sagt Santagada: Er registrierte 210 Zugverspätungen, die ihn persönlich betrafen. Auf das ganze Jahr gesehen kommt er in seiner Statistik auf eine Verspätungszeit von 1713 Minuten – oder anders ausgedrückt: 28,6 Stunden verbrachte Santagada damit, auf verspätete Züge zu warten. Abgezogen werden müssten dabei wohlgemerkt Urlaube und sonstige Fehlzeiten sowie fast der komplette Dezember. Denn da habe er bei einem Wettbewerb seines Arbeitgebers für einen Monat ein Auto gewonnen und sei daher nicht mit dem Zug gependelt, wie er sagt. Die 210 Verspätungen haben sich somit während gut zehn Monaten ereignet.

Francesco Santagada aus Niederhof hat ein Jahr lang alle Verspätungen und Zugausfälle notiert. Seine Aufzeichnungen liegen der Redaktion ...
Francesco Santagada aus Niederhof hat ein Jahr lang alle Verspätungen und Zugausfälle notiert. Seine Aufzeichnungen liegen der Redaktion vor. | Bild: Olheide, Monika

Bei etwa der Hälfte der Fälle handelte es laut Santagada um geringfügige Verspätungen zwischen einer und vier Minuten. Diese seien zwar ärgerlich, aber durchaus nachvollziehbar: „Da genügt schon, wenn es beim Einstieg zu Verzögerungen kommt. Das summiert sich dann auf der Strecke immer mehr“, so seine Beobachtung. Außerdem: Kommt ein Zug weniger als sechs Minuten zu spät in einem Bahnhof an, gilt dies nach den Berechnungsgrundlagen der Bahn noch als pünktlich, informiert das Unternehmen.

Allerdings seien die Umsteigezeiten am Knotenpunkt Basel, wo reisende vom Hochrhein oder an den Hochrhein den Zug wechseln müssen, so knapp bemessen, dass selbst geringfügige Verspätungen nur durch schnelles Rennen zum Anschlusszug kompensiert werden können, so Santagada: „Probleme gibt es dabei aber regelmäßig für Menschen mit Behinderung, Eltern mit Kinderwagen oder alte Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuß sind.“ Zumal: Längst nicht alle Gleise seien barrierefrei zugänglich.

Noch alles im Normalbereich: Hat ein Zug weniger als sechs Minuten Verspätung gilt er nach Definition der Deutschen Bahn als pünktlich.
Noch alles im Normalbereich: Hat ein Zug weniger als sechs Minuten Verspätung gilt er nach Definition der Deutschen Bahn als pünktlich. | Bild: Baier, Markus

Und selbst körperlich fitte Menschen geraten bei der Bahnfahrt vom Hochrhein via Basel nach Lörrach oder Freiburg gelegentlich an ihre Grenzen, wenn Umsteigezeiten von sieben Minuten vorgesehen sind, der Zug aber mit fünf Minuten oder mehr Verspätung ankomme. Diesen Fall erlebte Francesco Santagada im vergangenen Jahr immerhin 103 Mal, in 37 Fällen waren die Züge zehn Minuten bis zu anderthalb Stunden zu spät. Dann seien Anschlusszüge meist weg. Die Folge: Mindestens 30 Minuten warten auf den nächsten Zug, deutliche Verspätungen beim Arbeitsbeginn oder bei der Ankunft zuhause.

Sieben Mal wartete Santagada vergangenes Jahr vergeblich auf den Zug. Dann sei er mit dem Auto gefahren.

Gründe für Verspätungen: Vielseitig und nicht immer klar ersichtlich

Aber warum kommt es überhaupt zu so vielen Verspätungen bei der Bahn? Hierzu hat Francesco Santagada in den vergangenen Monaten ganz unterschiedliche Beobachtungen gemacht. Vorrangig handle es sich um technische Probleme: „Gerade die Interregio-Expresse sind deutlich veraltet. Hier kommt es immer wieder zu Defekten.“ Falle ein Zug infolge eines technischen Defekts aus, komme es dann in der Regel zu großflächigen Problemen, insbesondere zwischen Rheinfelden und Murg, weil es auf der gesamten Strecke nur eine einzige Weiche gebe und ein liegengebliebener Zug nicht umfahren werden könne.

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Immer wieder habe er es erlebt, dass Triebwagen nur mit einem Wagen angefahren kamen und gar nicht alle Wartenden Platz hätten. Dies führe zu Verzögerungen beim Zustieg. Habe ein Zug schließlich schon eine beträchtliche Verspätung, komme es vor, dass er anhalten müsse, um einen priorisierten Zug des Fern- oder Güterverkehrs überholen zu lassen: „Dann werden aus fünf Minunten Verspätung ganz schnell zehn oder 20 Minuten“, lautet Francesco Santagadas Beobachtung.

Dass infolge radikaler Sparmaßnahmen und dem Einsatz maroder Technik erhebliche Probleme im Betriebsablauf auf der Hochrheinstrecke entstehen, hatte auch ein Lokführer im Gespräch mit unserer Zeitung dargestellt. Derartige Missstände werden auch von den Abgeordneten in vom Hochrhein immer wieder angeprangert.

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Nicht immer sei jedoch klar ersichtlich, warum ein Zug plötzlich auf offener Strecke anhalte oder zu spät komme. Vor dem Basler Bahnhof bleiben demnach Züge häufig einfach stehen, bevor sie einfahren können. Oder Züge, die aus der Garage vor Ort bereitgestellt werden, haben bereits mehrere Minuten Verspätung bei der Abfahrt. Hinzu komme der Umstand, dass Fahrgäste nicht immer informiert werden – weder vom Zugpersonal noch über die Bahn-App -, und gerade im Regionalverkehr seien Lautsprecherdurchsagen häufig schlecht verständlich: „Das sorgt oft für Verärgerung und Unmut“, so Santagada.

Francesco Santagada nimmt all die Erlebnisse in ihrer Gesamtheit mit viel Gleichmut und teilweise einer ordentlichen Portion Humor: „Natürlich war ich am Anfang nervös, ob ich rechtzeitig bei der Arbeit oder in der Schule ankomme. Aber man gewöhnt sich daran. Man kann ja auch nichts daran ändern.“

Ob die geplante Elektrifizierung der Hochrheinstrecke eine echte Verbesserung bringt, kann er sich nicht vorstellen. Zum einen kommen bekanntlich noch weitere Haltepunkte dazu, zum andern gebe es ja auch auf der Strecke zwischen Basel und Freiburg, die bereits elektrifiziert ist, weiterhin genügend Probleme.

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NVBW schweigt zu den Problemen

Für alle Angelegenheiten rund um den Personennahverkehr auf den Schienen ist die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) zuständig. Sie hat mit der DB Regio AG im Jahr 2003 einen Vertrag abgeschlossen, auf dessen Basis die Bahnleistungen zur Verfügung gestellt werden. Auf eine Anfrage unserer Zeitung im Hinblick auf die in dem Tagebuch registrierten Verspätungen und mögliche Konsequenzen, die sich daraus ableiten lassen, reagierte die Gesellschaft allerdings nicht.

Komplett-Umstieg aufs Auto? Keine Option

Komplett vom Zug auf das Auto umzusteigen sei für ihn aber trotz allem keine Option – schon allein aus Kostengründen: „Ich bezahle für mein Schülermonatsticket von Bad Säckingen nach Weil am Rhein 63 Euro.“ Von Basel nach Freiburg nutze er in aller Regel den ICE, was pro Fahrt mit Bahncard-Rabatt etwa zehn Euro kostet.

Da sei es zwar ärgerlich, wenn der Schnellzug bei der Ankunft des Zubringers vom Hochrhein in Basel bereits abgefahren sei und man auf die Regionalbahn umsteigen müsse, die wesentlich länger unterwegs sei, räumt Santagada ein. Aber die Fahrt mit der Bahn sei unterm Strich allemal günstiger als mit dem Auto zu pendeln: Dann sei man schnell bei Benzinkosten von 150 Euro pro Monat zuzüglich zu der Gewissheit, zu Stoßzeiten auf den überlasteten Straßen entlang des Hochrheins im Stau zu stehen.

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