Der schwierige Spagat zwischen Wollen und Können

Er liebe seine Arbeit, daran lässt der Lokführer, der namentlich nicht genannt werden möchte, keinen Zweifel aufkommen. Alles was mit Bahn und Zügen zu tun hat, habe ihn von Kindheit an fasziniert. Der Beruf Lokführer sei von jeher sein Traum gewesen. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Seine Augen leuchten, als er das sagt.

Bild 1: Marode Technik und organisatorische Schwierigkeiten: Ein Lokführer berichtet über die Probleme der Bahn auf der Hochrheinstrecke
Bild: Archiv

Er ist auch auf anderen Strecken unterwegs, doch der Hochrhein liege ihm einfach besonders am Herzen, sagt der Lokführer. Um so schmerzlicher seien da die vielen Alltagsprobleme, die es bei der Bahn auf der Hochrheinstrecke gibt. Er weiß, dass die Situation hier noch wesentlich schlimmer sein könnte, wären da nicht die vielen Mitarbeiter, die das Bestmögliche versuchen, um den Betrieb am Laufen zu halten.

Lokführer am Hochrhein zu sein, das sei ein schwieriger Spagat. Er habe den persönlichen Anspruch, seinen Job so gut wie möglich zu machen. Gleichzeitig setzen störanfällige Technik, organisatorische Strukturen und fehlender Investitionswillen diesem Vorsatz enge Grenzen.

Die Mitarbeiter der Bahn sind meist mit großem Engagement bei der Sache, betont der Lokführer. Ansonsten würden am Hochrhein wohl noch ...
Die Mitarbeiter der Bahn sind meist mit großem Engagement bei der Sache, betont der Lokführer. Ansonsten würden am Hochrhein wohl noch deutlich mehr Züge ausfallen. | Bild: Arno Burgi

Motivation bleibt bei vielen Kollegen auf der Strecke

Mit Pöbeleien und Anfeindungen werden Lokführer immer wieder konfrontiert, vor allem wenn es zu Verspätungen komme, sagt der Lokführer: "Das Zugpersonal ist ausgebildet, deeskalierend auf die Leute einzuwirken. Aber bei gewissen Dingen kann ich mich für das Unternehmen einfach nicht mehr entschuldigen, weil mir selbst das Verständnis dafür fehlt."

Etliche seiner Kollegen seien inzwischen gar so genervt und frustriert von den ständigen Problemen, dass die Motivation gehörig auf der Strecke geblieben sei.

Er selbst versuche, sich nicht davon anstecken zu lassen, sagt der Lokführer: "Ich habe mich früher immer aufgeregt, wenn ich gesehen habe, wo es überall klemmt. Wenn ich heute sehe, welche Mängel mein Fahrzeug aufweist, versuche ich einfach, es mit Humor zu nehmen."

Dass ihm das bislang noch weitestgehend leicht falle, liegt vor allem an der Gewissheit, dass sich vor Ort viele Kollegen nach Kräften dafür einsetzen, dass der Bahnverkehr am Hochrhein läuft. Er ist sich sicher: "Die Lage am Hochrhein könnte noch viel schlimmer sein, und es könnten noch deutlich weniger Züge fahren, wenn nicht so viele Leute mit so viel Einsatz bei der Sache wären."

Er ist überzeugt: "Die jetzige Situation ist Resultat von 20 Jahren falscher Verkehrspolitik."

ARCHIV – Das Logo der Deutschen Bahn AG, aufgenommen mit Zoomeffekt am Bahn-Tower, dem Sitz der Deutschen Bahn AG, am Potsdamer Platz in ...
ARCHIV – Das Logo der Deutschen Bahn AG, aufgenommen mit Zoomeffekt am Bahn-Tower, dem Sitz der Deutschen Bahn AG, am Potsdamer Platz in Berlin (Archivfoto vom 14.04.2008). Die Deutsche Bahn will am 27. Oktober an die Börse gehen. Diesen Termin teilte der bundeseigene Konzern am Freitag (26.09.2008) in Berlin mit. Foto: Gero Breloer dpa/lbn +++(c) dpa – Bildfunk+++ | Verwendung weltweit | Bild: Gero Breloer

Zu viele Köche rühren den Brei

1994 wurde das Staatsunternehmen Deutsche Bahn privatisiert. In den Jahren danach galt es, den Konzern fit für den Börsengang zu machen. Sichtbarstes Zeichen nach außen war die Aufspaltung der einzelnen Unternehmensbereiche in eigene Unternehmen.

Das sieht dann in der Praxis so aus: "Wenn ich zum Beispiel in den Bahnhof einfahre, sind vier bis fünf Unternehmen beteiligt." Der Bahnhofsbetrieb werde von einer anderen Stelle gemanagt als die Aushänge der Fahrpläne. Für die Schieneninfrastruktur sei ein anderes Bahn-Unternehmen zuständig als für die IT. Und dann sei da eben noch er als Lokführer des Zuges, für dessen Instandhaltung wiederum ein anderes DB-Unternehmen verantwortlich ist.

Das Ganze gehe noch weiter: Fahre er mit einem Interregio-Express (IRE), sei die DB ZugBus Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH mit Sitz in Ulm zuständig. Die Regionalbahnen unterstehen dagegen der DB Regio Verkehrsbetrieb Südbaden mit Sitz in Freiburg.

Kommunikation bleibt auf der Strecke

Diese Strukturen gehen auf Kosten der Kommunikation, zumal jedes Unternehmen seine eigenen Betriebsergebnisse im Blick behalte, schildert der Lokführer. Und all das gehe wiederum für den Fahrgast auf Kosten des Service, was eben immer dann besonders eklatant zutage trete, wenn es zu Problemen im Betriebsablauf komme.

"Wir erhalten Informationen bei Störungen oft viel später, als sie zum Beispiel auf der Bahn-Homepage veröffentlicht werden", erklärt der Lokführer.

In der Praxis sehe das etwa so aus: „Wenn aufgrund einer Störung Schienenersatzverkehr nötig wird, dann entscheidet das unsere Transportleitung. Ob und wann dieser bereit steht, kann man mir meist zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.“ Dieser Umstand bringe ihm oft den Ärger der Fahrgäste ein.

Sparkurs: Unter anderem wurden auf den Bahnstrecken Weichen ausgebaut, um Kosten zu sparen. Das wirkt sich bei Problemen auf der Strecke ...
Sparkurs: Unter anderem wurden auf den Bahnstrecken Weichen ausgebaut, um Kosten zu sparen. Das wirkt sich bei Problemen auf der Strecke oft nachteilig aus, weil etwa defekte Fahrzeuge nicht umfahren werden können. | Bild: Boris Roessler

Am falschen Ende gespart

Ein weiteres Problem, das sich immer gravierender auswirkt, sei der rigide Sparkurs, der mit der Privatisierung vor über 20 Jahren eingeleitet wurde, sagt der Lokführer. Nicht nur wurde dadurch versäumt, eingleisige Nadelöhre, wie zum Beispiel zwischen Waldshut und Erzingen, zu beseitigen, die für einen Gutteil der Verspätungen verantwortlich sind, die sich im Bahnverkehr ergeben.

Aus Kostengründen seien etwa auch zahlreiche Weichen ausgebaut und auf andere Vorzüge verzichtet worden, schildert der Lokführer. So gebe es am Bahnhof Murg eine Weiche, die nächste ist in Rheinfelden.

Bleibe nun irgendwo dazwischen ein Zug liegen, breche in der Regel der gesamte Bahnverkehr am Hochrhein zusammen, weil es viel zu aufwendig wäre, Züge in Murg aufs Gegengleis umzuleiten und sie in Rheinfelden wieder aufs reguläre Gleis zu verfrachten – oder eben umgekehrt, schildert der Lokführer. "Das entscheidet natürlich immer dieZugüberwachung. Aber in der Regel wird Schienenersatzverkehr eingesetzt, anstatt das Gegengleis zu nutzen."

Gespart wird vorzugsweise auch beim Personal: Das Land ist für den Regionalverkehr verantwortlich und setzt etwa auf der ...
Gespart wird vorzugsweise auch beim Personal: Das Land ist für den Regionalverkehr verantwortlich und setzt etwa auf der Hochrheinstrecke nur sporadisch Zugbegleiter ein. | Bild: Franz-Peter Tschauner

Es mangelt an Investitionsbereitschaft

Hauptverantwortlich für den Regionalverkehr ist das Land Baden-Württemberg. Doch auch dessen Bereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen, wertet der Lokführer als äußerst gering: "Stuttgart vergisst die Region regelmäßig. Das führt zwangsläufig dazu, dass wir hier abgehängt werden."

Gespart werde auch beim Personal. In anderen Bundesländern sei beispielsweise in jedem Zug zwei Zugbegleiter tätig. Auf der Hochrheinstrecke ist derweil nur in den IRE von Basel nach Ulm immer ein Zugbegleiter an Bord.

Ansonsten sei höchstens in jedem vierten Zug auf der Hochrheinstrecke ein Zugbegleiter dabei. "So sehen es die Übergangsverträge mit dem Land Baden-Württemberg vor. Nur das wird vom Land bezahlt", erklärt der Bahn-Mitarbeiter.

Die Folge sei, dass Zugbegleiter häufig allein dastehen und hätten es bei renitenten Fahrgästen schwer haben, sich Gehör zu verschaffen. Ganz abgesehen davon sei es beinahe unmöglich, Probleme in den Griff zu bekommen, etwa Verschmutzungen der Toilettenanlagen.

VT612: "Ein Triebwagen mit zu vielen Problemen"

Augenscheinlich verschärft wird die Situation am Hochrhein durch die Interregio-Triebwagen vom Typ VT612, die seit einigen Monaten am Hochrhein eingesetzt werden. Sogar Daniel Weltzien, Vorsitzender der Regionalleitung der DB Regio, bezeichnete die Fahrzeuge jüngst als extrem störanfällig.

Verschärft wurde die Problematik durch Umbauten an den 20 Jahre alten Fahrzeugen, die aus vertraglichen Übereinkünften zwischen Bahn und dem Land resultieren. Unter anderem wurde die 1. Klasse erheblich verkleinert, es wurden drei Mehrzweckbereiche geschaffen und das Ganze im Landesdesign gestaltet.

Durch den Einbau von Rollstuhlhubliften im Zug, seien die Fahrzeuge deutlich schwerer geworden, sodass eine erneute Zulassung durch das Eisenbahnbundesamt (EBA) nötig war. Die Hublifte mussten außerdem grundsätzlich vom EBA genehmigt werden. Das habe zu erheblichen Verzögerungen geführt, bis die Fahrzeuge eingesetzt werden durften.

Auch die Regionalbahnen sind längst nicht frei von Problemen: Hier ein defekt liegen gebliebener Triebzug im Bahnhof Laufenburg.
Auch die Regionalbahnen sind längst nicht frei von Problemen: Hier ein defekt liegen gebliebener Triebzug im Bahnhof Laufenburg. | Bild: Feuerwehr Laufenburg

Bei den Regionalbahnen sei die Gesamtsituation zwar deutlich entspannter aus. Allerdings komme es auch hier immer wieder zu technischen Problemen. Die meisten Verspätungen im Regionalverkehr gehe es aber in Folge von verspäteten IRE.

Werkstatt bekommt Probleme augenscheinlich nicht in den Griff

An chronischer Überlastung leidet derweil auch die Bahn-Werkstatt in Ulm, die für die Reparatur und Wartung der IRE-Triebwagen zuständig ist: "Das führt dazu, dass Triebzüge manchmal tagelang mit defekten Toilettenanlagen unterwegs sind, obwohl solche Probleme eigentlich innerhalb von 24 Stunden behoben sein sollten."

Ungeplante Werkstattaufenthalte der Triebwagen haben sich laut Bahn reduziert.
Ungeplante Werkstattaufenthalte der Triebwagen haben sich laut Bahn reduziert. | Bild: Britta Pedersen

Dass es schwerfällt, die Fülle an technischen Problemen bei den Triebzügen in den Griff zu bekommen, lässt sich auch daran ablesen, dass von den 32 Fahrzeugen, die auf der Hochrheinstrecke eigentlich jeden Tag verkehren müssten, "damit alles läuft, wie es bestellt ist", häufig nur 20 bis 25 tatsächlich einsetzbar sind. Etliche davon weisen mehr oder weniger gravierende Mängel auf, die dann irgendwann zu Problemen führten, so der Lokführer.

Keine unmittelbare Gefahr für Fahrgäste

Auch wenn es überdurchschnittlich häufig zu Zugausfällen und technischen Problemen auf der Hochrhein-Strecke kommt: Die Sicherheit der Fahrgäste sei nicht gefährdet.

Tatsächlich seien die Bahnmitarbeiter außerordentlich gut ausgebildet und auf alle denkbaren Probleme vorbereitet. Es gebe regelmäßige Fortbildungen und umfassende Maßgaben.

Zudem gebe es eine Notfallkette, die reibungslos funktioniere, wenn Probleme auftreten. "Wäre das anders, könnte ich den Transport der Menschen nicht verantworten", betont der Lokführer.

Bild 8: Marode Technik und organisatorische Schwierigkeiten: Ein Lokführer berichtet über die Probleme der Bahn auf der Hochrheinstrecke
Bild: Jens Büttner (dpa)

Alles wartet auf die Elektrifizierung

Überhaupt sei aber der Zugverkehr am Hochrhein im Wesentlichen eine Übergangslösung. "Im Grunde spekulieren alle darauf, dass die Strecke bis 2025 elektrifiziert ist", erklärt der Lokführer. Ob dieser Zeitrahmen realistisch sei, lässt er dahingestellt.

Jedenfalls sei niemand bereit, jetzt noch das finanzielle Risiko einzugehen, etwa um für mehrere Millionen Euro Neufahrzeuge mit Dieselantrieb anzuschaffen. Denn: "Wenn die Elektrifizierung steht, wird der Streckenbetrieb neu ausgeschrieben. So ist das in den Übergangsverträgen zwischen Bahn und Land klar festgehalten."

Inwiefern sich die Gesamtsituation dann verbessert – dazu wagt der Lokführer allerdings keine Prognose. Es sei zu erwarten, dass vor allem der Güterverkehr ausgebaut werde, wenn die Strecke zwischen Basel und Schaffhausen durchgehend elektrifiziert sei. Ob die Personenbeförderung so massiv profitiert, wie dies von vielen Stellen erwartet werde, könne er nicht abschätzen.

Das könnte Sie auch interessieren