Die Trauer um den Tod ihrer Mutter ist Gundela Amrein und Jürgen Waschniewski noch anzusehen. Helga Waschniewski starb kurz vor Weihnachten im Lörracher Kreiskrankenhaus. Neben der Trauer herrscht einige Wochen später noch ein zweites Gefühl vor: "Wut! Wir sind wütend, weil wir so machtlos waren", so Jürgen Waschniewski. "Dabei war der Tod unserer Mutter eigentlich überflüssig. Sie war für ihr Alter noch sehr vital und konnte völlig selbständig leben. Aber im Lörracher Krankenhaus ist so ziemlich alles schief gelaufen, was schief laufen kann", so der Eindruck von Jürgen Waschniewski.

Wir haben die Verantwortlichen des Kreiskrankenhauses Lörrach mit dem konkreten Fall der Familie Waschniewski konfrontiert. Der ärztliche Direktor Dr. Christian Hamel und der Leiter der Inneren Abteilung, Professor Hans-Heinrich Osterhues standen uns Rede und Antwort. Ihre Reaktionen auf die Schilderungen der Familie Waschniewski zeigen wir in diesem Artikel jeweils in kursiver Schrift.

Zwölf Stunden in der Notaufnahme

Helga Waschniewski war 79 Jahre alt, als sie Ende November von ihrer Hausärztin ins Kreiskrankenhaus Lörrach überwiesen wurde. Eine Blutarmut war diagnostiziert worden, die einherging mit einer Schwächung der Gesamtkonstitution. "Um die Ursache festzustellen, sollte im Krankenhaus eine Darmspiegelung gemacht werden", erinnert sich die Tochter Gundela Amrein, die ihre Mutter am 27. November um die Mittagszeit in einem sehr schlechten Allgemeinzustand nach Lörrach brachte. "Weil kein Bett frei war, sollten wir uns über die Notaufnahme melden", berichtet sie. Doch auch hier ging es keineswegs schnell: Erst in den frühen Abendstunden, als die Patientin zusammenbrach und sich mehrfach übergeben musste, bekam sie von einem jungen Arzt ein Schmerzmittel verabreicht und eine Liege auf dem Flur der Notaufnahme. "Die eigentliche Untersuchung ließ noch bis 23.30 Uhr auf sich warten", erzählt die Tochter. "Es hieß, es sei kein Arzt frei, alle seien mit schlimmeren Notfällen beschäftigt." Auch den Rest der Nacht musste die 79-Jährige auf der Notaufnahme verbringen, weil sie aus Platzmangel nicht aufgenommen werden konnte.

Professor Hans-Heinrich Osterhues.
Professor Hans-Heinrich Osterhues. | Bild: Kreiskrankenhaus Lörrach

Professer Hans-Heinrich Osterhues vom Lörracher Krankenhaus erklärt, grundsätzlich werde jeder Patient, der in die zentrale Notaufnahme kommt, innerhalb von wenigen Minuten von einem Arzt nach internationalen Standards "triagiert", das bedeutet: nach Dringlichkeit vorsortiert. Fünf Stufen legen die Priorität der Patienten fest, nach denen sie weiter untersucht und behandelt werden. Für Angehörige geschehe diese Triage fast unbemerkt. "Wenn ein neuer Patient kommt, der eine höhere Priorität hat, wird dieser natürlich vorgezogen", erklärt Professor Osterhues das Verfahren, das für betroffene Angehörige naturgemäß nicht leicht nachvollziehbar ist. So könne es sein, dass ein Patient durchaus mehrere Stunden warten muss, bis er schließlich vom behandelnden Arzt untersucht wird. Patienten mit der entsprechenden Einstufung bleiben allerdings in der Überwachungsstation jederzeit im Blickfeld des Personals, das gegebenfalls sofort auf Veränderungen reagieren kann.

Die Diagnose der Ärzte

In den Folgetagen wurde eine Schmerztherapie begonnen und eine Magenspiegelung durchgeführt. "Von einer Darmspiegelung war keine Rede mehr", erinnert sich Gundela Amrein, die ihre Mutter jeden Tag am Krankenbett besuchte. Immer wieder versuchte sie, von den behandelnden Ärzten Auskunft zu bekommen, doch das gelang nur selten. "Nach der Magenspiegelung sagte uns eine Ärztin, dass sie keine Zeit hätte, weil sie sonst den Zug verpassen würde", so Jürgen Waschniewski wütend. Weil sich der Zustand von Helga Waschniewski auch nach über einer Woche Krankenhausaufenthalt nicht gebessert hatte, entschied sich ein anderer Arzt am 5. Dezember doch zu einer Darmspiegelung – und fand einen Tumor.

Jürgen Waschniewski.
Jürgen Waschniewski. | Bild: Obermeyer, Justus

"Gemeinsam mit Ärzten aus Basel bereiteten sich die Lörracher Ärzte auf die geplante Operation vor, die dann endlich am 13. Dezember durchgeführt wurde", so Jürgen Waschniewski. Die 79-jährige überstand den Eingriff zunächst recht gut, einige Tage später wurde ihr Zustand wieder kritischer. "Sie erbrach sich ständig, worauf ihr eine Magensonde gelegt wurde", erinnert sich der Sohn. Seine Versuche, Informationen von einem Arzt zu bekommen, scheiterten erneut an der hohen Arbeitsbelastung der Mediziner.

Dass die Angehörigen von Helga Waschniewski bemängeln, dass die Ärzte nicht ansprechbar gewesen seinen, können die beiden Mediziner nicht nachvollziehen. "Die behandelnden Ärzte haben jeden Tag feste Sprechzeiten", erklärt Dr. Hamel. Angehörige sollten sich an diesen Zeiten orientieren oder um eigene Termine außerhalb der Sprechzeiten bitten." Wichtig ist ihm dabei die Unterscheidung zwischen dem behandelnen Arzt und dem auf der Station diensthabenden Arzt. Die Auskunft eines diensthabenden Arztes habe nicht die selbe Qualität, weil er sich erst in die jeweilige Patientenakte einarbeiten müsse. Dies sei ihm aufgrund der großen Zahl von Patienten aber kaum möglich. Die Kritik der Familie Waschniewski nehmen die beiden Chefärzte dennoch ernst. Es soll nun nach Möglichkeiten gesucht werden, wie künftig die Kommunikation mit den Angehörigen verbessert werden kann, damit diese sich nicht allein gelassen fühlen.

Der Schock: Not-Operation mit negativem Ende

Am 20. Dezember verschlechterte sich der Zustand von Helga Waschniewski dramatisch: Nachdem sich ihre Bauchschmerzen verschlimmerten , wurde ihr Abführtee gegeben – trotz akutem Durchfall. "Ein Arzt sah bei einer Ultraschall-Untersuchung Luft im Darm zunächst als Ursache. Ein hinzugezogener Oberarzt sah hingegen Anzeichen, dass am Darm eine OP-Naht gerissen sein könnte und ordnete eine Not-OP an", kann Jürgen Waschniewski diese dramatischen Stunden anhand der Krankenakte nachvollziehen. "Weil zu dieser Zeit kein OP-Saal frei war, mussten wir miterleben, wie es unserer Mutter immer schlechter ging", erzählt Jürgen Waschniewski sichtlich bewegt. Über sechs Stunden musste seine Mutter auf die Not-OP warten. "Ein Arzt hat uns heimgeschickt. Gegen 3.30 Uhr bekam ich den Anruf, dass eigentlich alles gut gelaufen ist", so Jürgen Waschniewski. "Das war allerdings ein Trugschluss. Als wir am Morgen des 21. Dezember dann ins Krankenhaus kamen, wurde uns gesagt, dass es sehr schlecht aussieht." Die Mutter war nach der OP ins künstliche Koma versetzt worden, die gerissene Darmnaht hatte bereits eine schwere Blutvergiftung verursacht. In den Abendstunden verstarb Helga Waschniewski. "Wir konnten uns von unserer Mutter erst im Koma verabschieden", beschreibt der Sohn das Gefühl der Hilflosigkeit.

Dass es mehrere Stunden bis zur Notoperation von Helga Waschniewski gedauert haben soll, weist Dr. Hamel zurück. Die Patientin habe sich nach seiner Kenntnis zunächst gegen eine OP ausgesprochen. "Gegen ihren Willen können wir natürlich nichts machen", so der Chefarzt. Erst später – gegen 23 Uhr – habe der Sohn ihre Zustimmung erreicht, was zur umgehenden OP-Vorbereitung geführt habe. Dass die anschließende Notoperation dann mitten in der Nacht stattgefunden habe, zeige, "dass wir bereit und fähig sind, 24 Stunden am Tag zu operieren", so der Ärztliche Direktor. Auch bei größeren Lagen, Unfällen und Katastrophenfällen könne schnell zusätzliches Personal hinzugezogen werden, um notwendige Operationen durchzuführen.

Der Eingang des Lörracher Kreiskrankenhauses.
Der Eingang des Lörracher Kreiskrankenhauses. | Bild: Obermeyer, Justus

Das Fazit

Christian Hamel, Chefarzt Allgemeinchirurgie.
Christian Hamel, Chefarzt Allgemeinchirurgie. | Bild: Kreiskrankenhaus Lörrach

"Das war kein guter Verlauf. Das wollen wir nicht schönreden", räumt Christian Hamel ein. Medizinische oder diagnostische Fehler weist er aber von den behandelnden Ärzten und dem Personal seines Hauses. Mängel habe es aber zweifellos in der Kommunikation mit den Angehörigen gegeben. "Wir haben absolut Verständnis für das Bedürfnis der Familie, immer wieder fachliche Auskunft zu bekommen", so Christian Hamel. Man nehme dies nun zum Anlass, Verbesserungen in den internen Strukturen zu erreichen, verspricht er.

"Es liegt uns fern, jemanden persönlich für den Tod unserer Mutter verantwortlich zu machen", erklärt Jürgen Waschniewski, warum er das Schicksal seiner Mutter nun öffentlich macht. "Unser  Gesundheitssystem befindet sich im Koma. Diese Zustände sind beschämend für das, was uns unsere Gesundheit wert sein sollte." Verantwortlich für die Qualität der Krankenhäuser seien letztlich nicht nur die Mediziner und Pflegekräfte, sondern vor allem die Gesundheitspolitiker in Bund und Land. Konkret benennt er "Sozialminister Manfred Lucha, der Krankenhäuser schließt, ohne über die Tragweite dieser Entscheidung nachzudenken."

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