Die Pflicht der Polizei: Strafverfolgung
Für Kriminalhauptkommissarin Heike Rosenfeld sind Vernehmungen nach Sexualdelikten Routine. Kommt ein Fall zur Anzeige, wird die Kriminalpolizei eingeschaltet, die sofort Ermittlungen aufnimmt. Rosenfelds Aufgabe ist es auch, minderjährige Opfer zu vernehmen. Im Durchschnitt etwa einmal in der Woche komme dies vor. „Diese Gespräche erfolgen relativ zeitnah, werden in einem gesonderten, kindgerecht ausgestatteten Raum geführt und auf Video mitgeschnitten.“ Sie rät jedem, vor dem Gang zur Polizei, genau zu überlegen, was diese Entscheidung bedeutet. Sie betont: „Wenn ich zur Polizei gehe, dann erstatte ich Anzeige und es geht um die Strafverfolgung.“

Das Opfer sollte über eine Anzeige entscheiden
Eine unverbindliche „Beratung“ ist aufgrund ihrer Strafverfolgungspflicht kaum möglich, sagt Rosenfeld. Und wenn außenstehende Dritte – Bekannte, Lehrer oder Nachbarn – einen Verdacht melden möchten, ohne die Betroffenen vorher darüber zu informieren, sei das sehr problematisch: „Sie setzen mit ihrer Anzeige die Ermittlungen in Gang und plötzlich ist das Opfer unter Zugzwang. Damit ist dem Geschädigten die Entscheidung aus der Hand genommen worden, ob er oder sie oder die Eltern überhaupt Anzeige erstatten möchten.“
Besser: Zunächst beraten lassen
Ein „sehr schlechter Start“, auch für die Ermittler. Die Kriminalhauptkommissarin rät deshalb dazu, wenn das Kind nicht in unmittelbarer Gefahr ist, zunächst über einen Kontakt zu einer Beratungsstelle, wie beispielsweise dem Weißen Ring oder Courage, nachzudenken.
Denn in Fällen von Kindesmissbrauch sei die Strafverfolgung nur ein einzelner – wenn auch sehr wichtiger – Aspekt. Sie ergänzt: „Nur darum kann sich die Polizei kümmern. In allen anderen Fragen, beispielsweise Traumatisierung oder Sorgerecht sind wir nicht der richtige Ansprechpartner, helfen aber im Falle einer Anzeigenerstattung durch Vermittlung gern weiter.“
Wie Beratungsstellen helfen
Der Fokus ist auf die gesamte Konstellation gerichtet. Es wird beispielsweise berücksichtigt, ob es sich um innerfamiliären Missbrauch handelt, ob und inwieweit das Opfer oder die Erziehungsberechtigten Rechtsberatung, psychologische Hilfe oder auch materielle Unterstützung benötigen.

„Mir ist es ein großes Anliegen, auf das Opfer-Entschädigungsgesetz (OEG) hinzuweisen“, sagt Siegfried Elis vom Weißen Ring. Das Gesetz greife, wenn es erwiesen sei, dass jemand Opfer geworden ist. Egal, wie lange der Fall zurückliege. Der Weiße Ring hilft beim Ausfüllen der Anträge. Denn: „Sexueller Missbrauch in der Kindheit zieht leider oft lebenslängliche Auswirkungen nach sich“, so Elis.