Erleichterung, dass sich etwas bewegt, auf einen Seite, Kritik, weil Maßnahmen nicht weit genug gehen, auf der anderen: Ab Samstag sollen nach zwei Monaten die Bestimmungen an den Grenzübergängen zwischen Deutschland und der Schweiz gelockert werden, und die Reaktionen könnten kaum gegensätzlicher sein. Wir haben uns umgehört, wie sich dies in der Praxis auswirkt.
Wie sehen die Lockerungen konkret aus?
Der Normalbürger dürfte vorerst nicht viel von der neuen Regelung mitbekommen, auch wenn etliche bisher geschlossene Grenzübergänge, etwa die Holzbrücke in Bad Säckingen oder die Laufenbrücke in Laufenburg, im Lauf der Nacht auf Samstag wieder geöffnet werden. Nach wie vor ist ein triftiger Grund für die Einreise nach Deutschland wie auch für die Schweiz vorzuweisen und weiterhin gibt es Kontrollen im Grenzverkehr. „Die bundespolizeiseitigen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen der grenzüberschreitenden Verkehrswege an den Landbinnengrenzen erfolgen risikobasiert, anlassbezogen, flexibel und stichprobenartig“, teilt die Bundespolizei mit.
Auf Schweizer Seite gelten derartige Lockerungen bereits seit dem vergangenen Montag, wie Matthias Simmen, Sprecher der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV), darstellt. Weiterhin müsse aber auch hier ein triftiger Grund für den Grenzübertritt nachgewiesen werden.
Generell gelte: Sämtliche Lockerungsschritte hängen von der weiteren epidemiologischen Entwicklung der Pandemie ab und können folglich jederzeit wieder rückgängig gemacht werden.
Ist nun bereits mit einer Rückkehr der Massen von Einkaufstouristen zu rechnen?
Einkaufen gehört nicht zu den triftigen Gründen, die eine Einreise rechtfertigen, betont die Bundespoliei. Das gilt übrigens auch für die Schweizer Seite, wie Reto Kormann, Pressesprecher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, auf Nachfrage erklärt: „Stand jetzt, bleibt es beim Verbot von Fahrten ins Ausland, die einzig dem Einkaufstourismus dienen.“
Erlaubt sei aber, dass Schweizer, die als Grenzgänger in Deutschland arbeiten, auch Einkäufe in Deutschland erledigen. Frühestens Mitte Juni soll die Freizügigkeit wieder soweit hergestellt sein, dass der Einkaufstourismus möglich wird.
Mark Eferl, Pressesprecher des Hauptzollamts Singen, schränkt außerdem ein: Ausfuhrscheine werden weiterhin nicht bearbeitet. Auch sei derzeit noch nicht absehbar, wann die Ausfuhrzettel-Abfertigung wieder aufgenommen werde.
Wie sehen die Reaktionen auf die Lockerungen aus?
Kritik hagelt es wegen der Beibehaltung derartiger Einschränkungen vor allem aus der Wirtschaft. Laut Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee, verdienten die sogenannten Lockerungen diese Bezeichnung nicht, denn de facto ändere sich nichts.
Die Lage bleibe für verschiedenste Wirtschaftszweige höchst problematisch. Allenfalls Grenzgänger und einzelne Dienstleister könnten von den Erleichterungen profitieren. Generell blieben die bürokratischen Hürden zu hoch, sagt Marx: „Wir fordern deshalb weiter mit Nachdruck, schon jetzt auf das Bestehen und Prüfen eines ‚triftigen‘ Grundes für den Grenzübertritt ersatzlos zu verzichten.“ Eine derartige Regelung sei ohnehin „ein menschlich wie rechtlich fragwürdiger Eingriff in Grundrechte“. Und die Beibehaltung der Grenzkontrollen wertet Marx angesichts einer zurückgehenden Bedrohnungslage als inzwischen unverhältnismäßig.
Konzilianter fällt da die Reaktion des Landratsamts Lörrach aus. Die angekündigten Lockerungen seien ein gutes Zeichen: „Sie sind eine weitere Stufe der Erleichterungen. In unserer trinationalen Region gehört es zur Normalität, die Staatsgrenzen ohne Barrieren überqueren zu können.“ Gleichwohl gebe es weiterhin deutliche Einschränkungen für den Grenzübertritt. Das Landratsamt Lörrach appelliert an die Bevölkerung, diese unbedingt zu beachten.
Wie gravierend sind die Folgen der Grenzschließung für die Wirtschaft?
Schweizer Kunden machen laut IHK je nach Branche bis zu zwei Dritteln der Kundschaft aus. „Die Grenzregion Südbadens ist seit vielen Jahren zum Nahversorger der Nordschweiz geworden. Der gängige Begriff „Einkaufstourismus“ ist eher irreführend, „Einkaufsalltag“ träfe es besser“, betont Claudius Marx. Eben dieser Alltag sei gänzlich ausgefallen.
Im Lebensmitteleinzelhandel seien Umsatzrückgänge zwischen 30 und 60 Prozent festgestellt worden. Die Existenzangst sei bei vielen Händlern groß, so Marx. Gleiches gelte für Gastronomie und Hotellerie und zahlreiche Dienstleistungen, deren Geschäftsmodell den unmittelbaren Kontakt zum Kunden voraussetzt. Für sie alle gelte: „Solange die Grenze nicht offen ist, ist die Krise nicht vorbei.“
Wie hoch sich der Schaden am Ende der Corona-Pandemie aufsummieren und ob und wie viele Insolvenzen es auf dem Weg dahin geben wird, sei im Moment schwer absehbar. Der verbleibende, nachhaltige Schaden hängt davon ab, wie lange die Situation andauert. Jeder Tag, an dem die Grenze „ohne Not“ länger geschlossen bleibe verschärfe die Situation, so Marx.
Wie wird die Umsetzung der Hygienebestimmungen bewerkstelligt, wenn wieder Einkaufstouristen in größerer Zahl in die Städte strömen?
Von einer möglichen Überforderung bei der Implementierung der Hygieneregeln will die IHK nichts wissen: „Unsere Nachbarn sind für ihre Normtreue bekannt und an dieselben Verhaltensregeln gewöhnt, die wir hier anwenden“, betont Claudius Marx.
Die Mitarbeiter der Unternehmen seien zwischenzeitlich allesamt gut vorbereitet, um unter neuen Bedingungen und Einhaltung der Hygieneschutzmaßnahmen den Betrieb wieder aufzunehmen. Solange die Regeln für alle klar sind, seien im grenznahen Handel also keine Probleme zu erwarten, so die IHK.
Welche Folgen hatten die Einreisebeschränkungen eigentlich für die Schweiz?
Grundsätzlich stellte die EZV laut ihrem Sprecher Matthias Simmen an allen Grenzübergängen seit der Einführung der Einreisebeschränkungen eine deutliche Reduktion des grenzüberschreitenden Personenverkehrs fest. „Während zum Höhepunkt der Maßnahmen der grenzüberschreitende Verkehr um über 70 Prozent zurückgegangen ist, hat sich dieser Rückgang in den letzten Tagen halbiert“, so Simmen, denn in der Schweiz wurden bereits zum 11. Mai Lockerungen eingeführt.
Nachdem anfänglich in der Gesamtschweiz 130 Grenzübergänge geschlossen worden waren, um den Verkehr zu kanalisieren, wurden während der vergangenen Wochen gerade für Grenzgänger im Gesundheitswesen Maßnahmen ergriffen, um die Einreise zu erleichtern, so Simmen. Um den Verkehrsfluss aufrecht erhalten zu können, wurden seither über 20 Grenzübergänge wieder geöffnet.