Kira Maslova wohnt seit Oktober in Erzingen. Sie spricht in ihrer Muttersprache Ukrainisch in das Übersetzungsprogramm eines Smartphones. Heraus kommt: „In Deutschland werden alle meine Träume wahr. Ich habe einen Hund, schlafe im zweiten Stock und gehe auf meine Lieblingsschule.“ Nur die Hausaufgaben machen ihr manchmal keinen großen Spaß.

Seit dem 15. Oktober ist sie mit ihrer Mutter Kateryna Maslova bei Gaby Gäng-Schmid in Erzingen zu Hause. Ihre Heimat Dnipro musste sie auf unbestimmte Zeit verlassen. Ihre Freunde sieht sie trotzdem noch. „Ukrainische Kinder müssen in Deutschland zur Schule gehen und gleichzeitig weiterhin online am Unterricht in der Ukraine teilnehmen. Eine echte Doppelbelastung“, erklärt Gäng-Schmid.

Nach der Schule stehen weitere Termine an. Kira Maslova macht professionelle rhythmische Sportgymnastik. „Das sind jeden Tag weitere drei Stunden Training.“

Ob und wann es wieder zurück geht, bleibt ungewiss

Aus der ukrainischen Großstadt bringen Kira Maslova und ihre Mutter die eine oder andere Gewohnheit mit auf das Land. So holt Kateryna Maslova ihre Tochter immer persönlich von der Schule ab. „Mütter lassen ihre Kinder in Dnipro kaum alleine auf die Straße. Zu groß ist die Gefahr, dass etwas passiert“, erklärt die junge Mutter auf Englisch. Dass das auf dem Land etwas anderes sei, daran müsse sie sich erst gewöhnen.

„Selbst wenn ich mein Haus verlieren würde, möchte ich irgendwann wieder zurück in die Ukraine.“
Kateryna Maslova

Die beiden mögen das Klettgau und die Menschen, die dort wohnen. Kateryna Maslova: „Sie sind sehr nett und spenden und sogar Klamotten. Gerade jetzt im kalten Winter ist das schön. Wir haben keine Winterklamotten.“ Besonders Gaby Gäng-Schmid dankt sie für ihre Hilfsbereitschaft. „Wir sind hier in einem fremden Land, wissen nicht was wir tun sollen und sie hilft uns mit allem. Das ist eine riesige Hilfe. Sie ist wie ein Engel.“

Das eigene Unternehmen von Deutschland aus leiten

Besonderes Glück hatten Viktor Kovalov und seine Frau Olena Kovalova. Sie waren zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs in der Ukraine in Thailand im Urlaub. Wären sie nicht im Urlaub gewesen, würde Viktor Kovalov heute vermutlich nicht in Erzingen wohnen. Männlichen ukrainischen Staatsbürgern im Alter von 18 bis 60 Jahren ist seit der Generalmobilmachung die Ausreise aus der Ukraine verboten.

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Nach dem Urlaub folgte die Heimreise nach Europa und die Flucht nach Deutschland. Seit dem 8. Mai sind Viktor Kovalov und Olena Kovalova bei Gaby Gäng-Schmid in Erzingen zu Hause. Die eigene Firma leitete Viktor Kovalov noch lange von Deutschland aus. Er und seine Mitarbeiter stellen Gullydeckel in Kiew her. „Er saß meistens früh morgens schon hier am Esstisch, hatte den Laptop aufgeklappt und das Telefon am Ohr“, erinnert sich Gaby Gäng-Schmid.

Zwar arbeite das Unternehmen auch heute noch im laufenden Betrieb, allerdings werde mittlerweile nur so viel gearbeitet, dass die Mitarbeiter vor Ort über die Runden kommen. Immer wieder falle der Strom aus, der für den Ofen und das Schmelzen des Metalls notwendig sei.

Für das Haustier noch mal zurück in die Ukraine

Im Gegensatz zu Männern, dürfen Frauen in und aus der Ukraine pendeln, weiß Gäng-Schmid: „Ich kenne andere Ukrainerinnen, die ihre Männer gelegentlich besuchen gehen.“ Genau das spielte auch Olena Kovalova in die Karten, die im Oktober in die Ukraine reiste, um dort ihre Hündin Tora zu sich zu holen. Sie wurde in Abwesenheit ihrer Herrchen von Nachbarn versorgt.

Rottweiler Hündin Tora musste sechs Monate ohne ihre Familie in der Ukraine zurecht kommen.
Rottweiler Hündin Tora musste sechs Monate ohne ihre Familie in der Ukraine zurecht kommen. | Bild: Nico Talenta

Heute ist Gaby Gäng-Schmid von 73 geflüchteten Ukrainern in der Gemeinde für 35 Menschen verantwortlich und ständig auf der Suche nach weiteren Wohnungen. „Auch die Gemeinde hat extra acht Wohnungen gemietet, mehr wollen sie aber nicht.“ Sie habe sogar schon ganze Wohnungen eingerichtet. „Da muss Viktor mir dann schon auch immer helfen.“

Ansprechpartnerin Nummer eins

Doch wie kam es zu dem außerordentlichen Engagement? Gaby Gäng-Schmids Mutter war selbst Kriegsflüchtling. Als sie am 24. Februar vom Kriegsausbruch hörte, entschied sie sofort, ihre eigene Wohnung in Erzingen ukrainischen Flüchtlingen anzubieten und selbst bei ihrem Lebenspartner unter zu kommen. Gaby Gäng-Schmid meldete der Gemeinde daraufhin die Wohnung als leerstehenden Wohnraum für Ukrainer. Die Nachfrage ließ nicht lange auf sich warten: „Schon Mitte März war die erste Familie da.“

Weitere Familien folgten. „Da kommt dann ganz schnell eins zum anderen. Jeder kennt jemanden, der auch flüchten möchte und gibt ihm Informationen weiter“, weiß die ehrenamtliche Helferin. So sei auch die zweite Familie im Klettgau eine befreundete Familie der ersten gewesen.

„Und in die darauf folgenden Aufgaben bin ich dann immer mehr reingerutscht.“
Gaby Gäng-Schmid

Gleichzeitig bekomme die freiwillige Helferin viel zurück. „Im Sommer hatten wir zusammen eine tolle Zeit auf der Terrasse. Ich helfe den Menschen, sie vom Alltag abzulenken. Das zahlen sie durch ihre freundliche Art zurück. Beispielsweise kochen sie immer extra vegetarisch für mich.“ Ihre Mitbewohner würden allesamt gerne kochen. Olena Kovalova sagt sogar, sie würde das gerne zu ihrem Beruf machen. Gäng-Schmid scherzt: „Was Ukrainer auf alle Fälle brauchen ist eine Gefriere. Sie frieren gerne alles Mögliche an Essen ein.“