Nach fünf Prozesstagen wurde heute das Urteil gegen einen 19-Jährigen gesprochen, der Ende März in einem Mehrfamilienhaus im Hohentengener Ortsteil Lienheim (Kreis Waldhut) seine Eltern und den Bruder getötet und seine Schwester schwer verletzt hat.
Martin Hauser als Vorsitzender Richter der Ersten Großen Jugendkammer des Landgerichts Waldshut ordnete die Unterbringung des Mannes in der forensischen Abteilung des Zentrums für Psychiatrie Reichenau an. Auf unbestimmte Zeit, wie Hauser betonte. Er sagte: „Das kann zehn Jahre bedeuten, kann aber auch früher zu Ende sein.“ Entscheidend sei, dass der Mann seine wahnhafte Schizophrenie überwinde, bis er keine Gefahr mehr für Leib und Leben anderer Menschen darstelle. Momentan sei dessen „Wahnsystem noch immer vorhanden“. Auch die Einnahme hochdosierter Psychopharmaka die vergangenen Monate habe daran nichts geändert, so der Richter.
Der Beschuldigte sei des vollendeten Totschlags in drei Fällen und des versuchten Totschlags in einem Falle schuldig, sagte Hauser. Dass die von ihm ebenfalls attackierte Schwester überlebt hat, sei „reines Glück“ gewesen, hob Hauser hervor. Wären die Messerstiche nur wenige Zentimeter anderswo erfolgt, wäre auch die Schwester wohl verstorben.
Richter sieht „Vernichtungswillen“
Hauser hielt dem Beschuldigten einen „Vernichtungswillen“ vor. Dieser habe sich auch darin gezeigt, dass er den zuvor schon durch Messerstiche lebensgefährlich verletzten und im Sterben liegenden Vater auch noch mit einer Schere attackierte. Er wollte unbedingt sichergehen, dass der Vater nicht überlebt.
Am Tag der Urteilsverkündung, der mit großem Medieninteresse einherging, hielt sich der Beschuldigte beim Betreten des Saals einen Pappkarton vors Gesicht, um unerkannt zu bleiben. Zwei seiner Schwestern, die auch Nebenklägerinnen waren, saßen mit ihrer Verteidigerin ebenso dort. Zur einen nahm der Bruder beim Hereinkommen Blickkontakt auf. Sonst aber blieb er regungslos, den Blick stets nach vorne zum Richter gerichtet.
Schon vor Beginn des Prozesses hatte weder ein Zweifel daran bestanden, dass der 19-Jährige einen Großteil seiner Familie getötet hatte, noch dass er aufgrund einer schweren psychischen Störung schuldunfähig ist. Er war deshalb bereits nach wenigen Tagen Untersuchungshaft in eine psychiatrische Einrichtung überwiesen worden.
Zum Prozessauftakt sagte er ausführlich aus und schilderte auch die Motivation, die ihn zu den Taten getrieben habe. Er habe sich als Rache- und Todesengel Azrael betrachtet. Die Tötung der Familienangehörigen sei eine Mission gewesen. Sie seien mit dem Teufel im Bunde gewesen. Die überlebende Schwester sei derweil eher ein Zufallsopfer gewesen. Sie hatte die Eltern am Abend der Tat besucht. Hauser wies zum Abschluss des Verfahrens darauf hin, dass das religiös motivierte Wahnsystem des Mannes durch die Religiosität der Mutter mit inspiriert gewesen sei. Aber: Er war nicht in der Lage zu erkennen, dass er Unrecht tut.“
Warnsignal am Vorabend der Tat
Dass der Beschuldigte am Vorabend der Tat sowohl den Bruder wie die Eltern massivst körperlich verletzte, hätte ein Warnsignal sein müssen, so Hauser weiter. Die Eltern hätten darauf drängen sollen, dass der Sohn in die Obhut der Polizei gelangt, um eine weitere Eskalation zu verhindern. „Aber vermutlich hätte das auch nichts geändert“, so der Richter. Dafür ihn länger festzuhalten, hätten die Voraussetzungen ohnehin gefehlt. Und: „Hinterher ist man immer schlauer.“
Sachverständiger sieht „unkontrollierbare Gefahr“
Der Sachverständige bescheinigte dem 19-Jährigen eine „stark eingeschränkte psychische Symptomatik und ausgeprägte religiöse Wahnvorstellungen“. Drogenkonsum habe in der Vergangenheit eine Rolle gespielt. Selbst nach Monaten in psychologischer Behandlung seinen lediglich minimale Fortschritte feststellbar. Eine Unterbringung in einer Einrichtung werde auf unbestimmt lange Dauer erfolgen müssen. Denn von dem jungen Mann gehe eine „unkontrollierbare Gefahr“ aus.
Hauser nannte die Einweisung in die forensische Psychiatrie einen „massiven Eingriff“ in die Rechte des Mannes. Doch die Voraussetzungen dafür seine sämtlich gegeben. Die Schizophrenie des Mannes ambulant zu behandeln, sei nicht möglich, so der Richter weiter. Man habe den Fall aufgrund einer Reifeverzögerung des 19-Jährigen nach Jugendstrafrecht behandelt.
Gegen den Entscheid des Landgerichts in Revision zu gehen, dazu hat der Beschuldigte jetzt eine Woche Gelegenheit.
Alle Informationen zur Bluttat von Lienheim:
- Die ersten Tage nach der Familientragödie: Das geschah im März
- So will die Gemeinde Hohentengen die Familie unterstützen
- April steht fest: Der Täter kommt in eine Psychiatrie
- Juli: Tatverdächtiger gilt als schuldunfähig
- August: Warum es dennoch zum Prozess kommt
- Prozessauftakt zeigt erste grausame Details
- Wie erschreckend der 19-Jährige sich vor dem Haftrichter äußerte
- Die Nachbarn sprechen im Totschlag-Prozess
- Freunde, Polizisten und Gutachter erzählen
- Die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung