In der Frauenberatungsstelle Courage des Frauen- und Kinderschutzhauses Kreis Waldshut gibt es nun auch eine Fachberatung bei sexualisierter Gewalt für Frauen und Mädchen ab 14 Jahren. Dies gab es bisher im Landkreis Waldshut noch nicht. Die Betroffenen mussten lange Wege auf sich nehmen und in die Nachbarlandkreise fahren.

Der Bedarf an dieser Beratung sei jedoch sehr hoch, wie Marlies Sonntag, Geschäftsführerin des Frauenhauses, sagt. Ann-Dorothee Zühlke wird die Beratung übernehmen. Sie und Marlies Sonntag erläutern, was sexualisierte Gewalt ist und welche Schritte sie noch vor einer Anzeige bei der Polizei mit den Frauen gehen können.
Was ist sexualisierte Gewalt?
„Alles was nicht gewollt ist und, wo eine Form von Macht durchgesetzt wird durch sexuelle Handlungen“ – das versteht die Fachstelle als sexualisierte Gewalt. Hier werden also nicht nur Opfer von Vergewaltigungen beraten, sondern auch von Übergriffen, Missbrauch, auch am Arbeitsplatz oder im Internet. Beraten werden sowohl Frauen, die erst kürzlich sexualisierte Gewalt erfahren haben, aber auch jene, die vor vielen Jahren zum Opfer wurden und bei denen erst jetzt Folgeschäden auftreten.
Die Selbstachtung stärken und den Alltag bewältigen
Frauen und Mädchen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, können sich an die Fachstelle wenden, auch anonym. Die Beraterinnen unterliegen der Schweigepflicht und handeln nur mit der Zustimmung der Frauen. Sie beraten zur Anzeigenstellung, begleiten zu Ärzten, Anwälten und stellen Kontakte her.
„Wir helfen die Selbstachtung zu stärken, unterstützen bei der Alltagsbewältigung und helfen bei Entschädigungs-Anträgen“, erklärt Ann-Dorothee Zühlke. Auch auf die psychischen Belastungen wie etwa Gedächtnislücken, Depressionen, Angststörungen, gehe man ein. Die Fachstelle betreibt auch viel Netzwerkarbeit und speziell Sozialarbeiter, etwa von Jugendzentren, können vermitteln und beim ersten Termin dabei sein.
Die anonymisierte Spurensicherung – der Schritt vor der Anzeige
Die Zahl der sexuellen Übergriffe sei – auch hier auf dem Land – in den letzten Jahren immer mehr gestiegen. Dabei gebe es eine hohe Dunkelziffer, von Taten, die nicht bekannt werden, weil die Betroffenen nicht zur Beratung gehen oder die Tat nicht anzeigen. „Sie müssen sich bewusst werden, ob sie die Anzeige wollen, das ist ein langer und schwieriger Prozess, das ist mit viel Scham besetzt“, erklärt Sonntag.
„In unserer Gesellschaft geistert es auch oft in den Köpfen herum, dass die Frauen selbst schuld sind“, so Sonntag. „Unsere Aufgabe ist es, klar zu machen, dass keine Frau schuld ist und sich dem nicht aussetzen wollte“. Diese Schuld- und Shamgefühle führten auch dazu, dass die Frauen mit der Anzeige zögern.
Mit der Vermittlung zu einer anonymisierten Spurensicherung kann die Fachstelle den Betroffenen eine Möglichkeit eröffnen, die Spuren einer Vergewaltigung zwar in der Gerichtsmedizin aufzubewahren, aber die Tat noch nicht gleich zur Anzeige zu bringen. „Es muss die Möglichkeit bestehen, zu sagen, ich bin noch nicht so weit und ich halte eine Anzeige und ein Gerichtsverfahren noch nicht aus“, so Sonntag.
Die Fachstelle arbeite mit der Polizei zusammen, wolle aber den zeitlichen Spielraum nutzen und der Betroffenen soweit es geht ihre Selbstbestimmung zurück geben, erklärt Sonntag. „Wir gehen die Wege mit der Frau zusammen“, sagt Zühlke.
Beratung der Angehörigen
Auch Angehörige und Freunde von Opfern werden von der neuen Fachstelle beraten. Etwa wenn die beste Freundin sich meldet, die von dem Missbrauch erfahren hat und nun nicht weiß, was sie tun soll. Angehörige seien in ihrem Wunsch zu helfen häufig verständlicherweise völlig überfordert, so Sonntag. Sie könnten der Betroffenen das Hilfsangebot der Fachstelle anbieten. „Das ist meistens ein guter Weg, weil sie nah an der Person dran sind, die Hilfe braucht“, erklärt Sonntag.
Ein weniger guter Weg sei, wenn die Angehörigen den Missbrauchsfall ohne Zustimmung der betroffenen Frau sofort der Polizei melden würden.
„Wichtig ist in jedem Fall, die Frau nicht zu Schritten zu drängen, die sie noch nicht gehen kann“, sagt Sonntag. Erfährt die Polizei von einem Fall sexualisierter Gewalt, kommt es zur Anzeige, es läuft ein Verfahren und eine Vernehmung des Opfers.
Sex in der digitalen Welt
Neben der sexualiserten Gewalt mit Körperkontakt, nehme auch jene ohne Kontakt – also im Internet – immer mehr zu. Die digitale Gewalt in Kombination mit sexualisierter Gewalt sei ein Riesenbereich und nehme massiv zu, so Sonntag: „Das wird immer mehr zum Alltag.“ Sie erzählt von sogenannten Dickpics (Bilder von Penissen), die Männer ungefragt an Frauen schicken.
„Das Internet ist eine unheimlich einfache, weil anonyme, Verbreitungsart.“ Und gerade unter Jugendlichen, die etwa ihre Fotos plötzlich auf Pornoseiten wiederfinden würden, gäbe es ganz viele, die dies niemandem erzählen würden.
„Bei Beratungsgesprächen sind wir oft die Ersten, denen der Missbrauch bekannt wird“, sagt Zühlke.
Das Tabu-Thema muss an die Öffentlichkeit
Die neue Beratungsstelle gibt es bereits seit Anfang des Jahres, mit der Arbeit könne man aufgrund der Corona-Pandemie erst jetzt richtig starten. Eine wichtige Aufgabe sei nun das Thema der sexualisierten Gewalt an die Öffentlichkeit zu bringen. In Schulen starte man nun mit Plakat-Aktionen. „Das war früher ein totales Tabu-Thema, aber es ist viel passiert in den letzten Jahren.“ Heute rede man viel mehr darüber.
„Es muss aus dieser Dunkel-Ecke rausgeholt werden, es muss ein Thema werden und bleiben“, sagt Sonntag. Denn: „Wir sind weit weg davon zu sagen, wir haben dieses Thema im Griff – weder in der häuslichen noch in der sexualisierten Gewalt – und das finde ich in der heutigen Zeit wirklich bitter.“