Sie nehmen den Frauen ihre sozialen Kontakte, verbieten Treffen mit Freunden und Verwandten, überwachen ihre Handys, übernehmen die Kontrolle über ihre Konten. Sie schlagen sie, üben sexuelle und emotionale Gewalt aus. Die Rede ist von den Ehemännern oder Lebensgefährten der Frauen, die Schutz und Unterstützung im Frauen- und Kinderschutzhaus im Kreis Waldshut suchen. Und das waren im vergangenen Jahr 23 Frauen und 21 Kinder. Damit war das Frauenschutzhaus mit über 100 Prozent belegt, informiert Marlies Sonntag, die Geschäftsführerin.
Doch bevor Frauen den Weg dorthin suchen, dauert es oft etliche Jahre. Marlies Sommer weiß: „Viele Frauen denken, dass sie etwas falsch gemacht haben, weil der Mann ihnen gegenüber Gewalt ausgeübt hat: Sie hätten nicht gut genug gekocht, die Wäsche oder gleich den ganzen Haushalt nicht richtig gemacht. Die Frauen müssen erst lernen zu erkennen, dass das Gewalt ist und sie dafür keine Schuld tragen.“
Der Erstkontakt der Hilfesuchenden entsteht meist über das Telefon. Marlies Sonntag: „Wir haben derzeit 16 ehrenamtliche Frauen, die unsere Hotline rund um die Uhr betreuen.“ Rufen die Schutzsuchenden an, wird ein Treffpunkt vereinbart, wo die Ehrenamtlichen die Frauen abholen und ins Frauenhaus fahren. Je nach Bedürfnis der Frau sucht der Verein, zu dem auch die Beratungsstelle Courage mit Sitz in Lauchringen gehört, auch ein anderes Frauenschutzhaus zur Unterbringung. Denn, so weiß Marlies Sonntag, viele Frauen haben so große Angst vor ihrem Partner, dass sie ihre gewohnte Umgebung verlassen wollen. Und das oft mit Grund.
Kinder als Druckmittel
Erst jüngst stalkte ein Partner seine Frau, die in einer solchen Einrichtung untergebracht war. Polizeilicher Schutz und Anwesenheit von Ehrenamtlichen sorgten dabei für mehr Sicherheitsgefühl. Viele Frauen entscheiden sich aus diesem Grund für ein neues Leben in einer neuen Umgebung, weit weg von ihrem gewalttätigen Partner. Doch auch das ist nicht immer die Lösung, denn oft sind Kinder involviert. Sonntag: „Männer benutzen die Kinder oft als Druckmittel. Weil sie meistens ein Sorgerecht haben, müssen die Frauen mit ihren Kindern zu den Ex-Partnern für ein Treffen fahren.“ Die Frauen fahren zu den Männern, damit ihr Aufenthaltsort geheim bleibt. Individuell könne ein Gericht den Umgang mit dem Partner aussetzen. Das klappe allerdings nicht sehr oft, erklärt Sonntag. Die Frauen, die im Landkreis bleiben, haben auch die Möglichkeit, dass ein Mitarbeiter des Jugendamtes bei den Treffen dabei ist. „Doch das findet meist nur bei den ersten zwei bis drei Treffen statt.“ Dauerhaft gebe es bisher keine Lösung. Noch schwieriger werde es bei Frauen mit Migrationshintergrund. Gerade wenn es Söhne in der Beziehung gibt, würden die Männer und deren Familie das Aufziehen des Kindes beanspruchen. Oftmals setzten diese sich dann ins Ausland ab. Zwar brauche der Mann dafür eine Unterschrift der Frau, doch die Kontrollen an den Grenzen seien nicht immer sehr genau, berichtet Sonntag.
Doch es gibt auch die Frauen, die noch nicht so weit sind, um sich tatsächlich von ihrem Mann zu trennen und nach einem Aufenthalt im Frauenschutzhaus zurückkehren. 2018 kehrten vier Frauen im Kreis Waldshut wieder zurück zu ihren Männern. Denjenigen raten die Mitarbeiter des Frauenhauses, dem Mann unter keinen Umständen den Standort des Frauenhauses zu nennen. Für die eigene Sicherheit, falls sie erneut den Schutz suchen. Und das komme öfter vor, so Marlies Sonntag.
Unterstützung beim Neuanfang
Platz gibt es im Landkreis Waldshut für die Frauen und Kinder in drei Wohnungen, zwei werden vom Landkreis Waldshut finanziert, eine vom Frauen- und Kinderschutzhaus Kreis Waldshut. Zu dem Verein gehört auch die Beratungsstelle Courage, bei der Frauen, aber auch deren Angehörige und Freunde, Hilfe und Unterstützung finden. Dort arbeiten Marlies Sonntag und Beraterin und Diplom-Kunsttherapeutin Ann-Dorothee Zühlke. Letztere ist auch zuständig für das Landesprojekt „Second Stage“, das Frauen auf den Weg in ein neues, selbständiges Leben ohne Gewalt, unterstützt. Sonntag und Zühlke bieten Betroffenen nicht nur Beratungen an, sondern unterstützen sie auch beim Gang zu Gerichten, Behörden und Hilfeeinrichtungen, zu Ärzten und Therapeuten. Sie helfen den Frauen bei einem Neuanfang, stellen Kontakt zu anderen Frauenhäusern her und haben ein breites Netzwerk, um Frauen beispielsweise bei der Wohnungssuche oder Arbeitssuche zu unterstützen. Sonntag: „Aber ohne unsere ehrenamtlichen Telefonnotdienst-Frauen wäre die Arbeit überhaupt nicht möglich.“
Wichtig ist auch das Umfeld der Frauen. Angehörige, Freunde oder Nachbarn von Frauen, die unter Gewalt durch ihren Partner leiden, sollen sich an die Beratungsstelle Courage wenden. „Man kann den Betroffenen schnell Tipps geben, die sie aber klein machen, sich an sich selbst zweifeln lassen. Es ist am besten, der Kontakt wird erst einmal zu uns gesucht, dann können wir individuell beraten „, rät Sommer.
So gehen die Mitarbeiter mit den Schicksalen um
Wie können eigentlich die Mitarbeiter der Frauenschutzhäuser die Schicksale der Frauen verarbeiten? Marlies Sonntag: „Ich halte unsere Arbeit für eine der besten Formen der Sozialarbeit. Wir können miterleben, wie Frauen wieder auf die Beine kommen. Aber manchmal verspürt man auch so etwas wie Wut. Wut, weil Gewalt gegen Frauen gesellschaftlich nicht stark genug stigmatisiert werde. Es gilt heute immer noch als eine Art Kavaliersdelikt. Und das kann nicht sein. Wütend macht auch, dass Gewalt gegen Frauen immer noch ein großes Thema ist, denn sonst hätte wir ja keine vollen Frauenhäuser in Deutschland mehr.“

Doch warum sind es in den meisten Fällen Frauen, denen Gewalt angetan wird, die die Wohnung oder das Haus verlassen müssen? Marlies Sonntag sagt, dass es nur wenige Fälle gibt, bei denen die Frauen in ihrem Zuhause bleiben wollen, auch wenn den Männern gegenüber eine erste Wegweisung oder sogar ein Hausverbot ausgesprochen wird. „Sie haben Angst, der gewalttätige Partner steht plötzlich vor Tür und tritt sie ein. Auch Angst vor Verfolgung der Frauen ist ein großes Problem.“
Für Männer gibt es keine ähnliche Einrichtung im Kreis Waldshut. Ein Grund dafür sei, dass Männer seltener in die Opferrolle geraten, sagt Sommer. Männer würden eher vor Gewalt von ihren Vätern oder anderen männlichen Verwandten flüchten, weiß Sonntag. In anderen Landkreises können Männer in sogenannten Männeschutzwohnungen unterkommen. Doch auch wenn Gewalt gegen Männer eher selten ist, gibt es sie. Im vergangenen Jahr hat das Polizeirevier Waldshut-Tiengen 66 Einsätze wegen häuslicher Gewalt registriert. 2017 gab es im gesamten Landkreis Waldshut 114 Fälle der häuslichen Gewalt, wobei in 20 Fällen Männer geschädigt waren.
Frauenschutzhaus
Das Frauenschutzhaus im Landkreis Waldshut gibt es seit 26 Jahren. Derzeit arbeit dort 16 ehrenamtliche Telefonotdienst-Mitarbeiterinnen, zwei Vollzeitkräfte direkt im Frauenhaus, eine Kinderbetreuung und zwei Frauen bei der Beratungsstelle Courage. Das Frauenschutzhaus ist seit Beginn der Gründung immer voll belegt. Derzeit gibt es genügend ehrenamtliche Helfer. Die Beratungsstelle Courage richtet sich auch an Angehörige, die Unterstützung im Umgang mit einem Gewaltopfer benötigen. Telefon: 07741/808 22 77. Kontakt zum Frauen- und Kinderschutzhaus: 07751/35 53.
Diese Maßnahmen gibt es
- Gewaltschutzgesetz: Dem Täter kann gerichtlich verboten werden, die Wohnung des Opfers zu betreten – auch, wenn es seine eigene ist. Dann allerdings zeitlich befristet bis sechs Monate. Darüber hinaus kann das Gericht verbieten, dass der Täter mit dem Opfer Kontakt aufnimmt, auch über Whatsapp oder SMS. In der Regel ist dies auf sechs Monate befristet.
- Gewaltschutzverfahren: Der Antrag auf Gewaltschutz muss immer vom Opfer ausgehen. Es kann beispielsweise gestellt werden, wenn eine Person vorsätzlich verletzt wurde oder jemand widerrechtlich in die Wohnung eingedrungen ist.
- Eilverfahren: Wenn eine eidesstattliche Versicherung des Opfers über die erlittenen Gewalttätigkeiten vorliegt, kann das Gericht im Eilverfahren Schutzmaßnahmen anordnen. Dies kann beinhalten, dass der Täter – auch ohne Anhörung – der gemeinsamen Wohnung verwiesen wird. Liegt eine eidesstattliche Versicherung vor, muss jeder Richter entscheiden, ob ihm das für Schutzanordnungen ohne mündliche Verhandlung reicht oder nicht. Die Umsetzung erfolgt in der Regel noch am selben Tag der richterlichen Erlassung.
- Schutzanträge: Im Schnitt gehen beim Amtsgericht Waldshut jeden Monat drei bis vier Schutzanträge ein. Fast alle sind von Frauen. (ufr/skd)