Kaum einer will als Schaulustiger bezeichnet werden, und trotzdem tauchen sie bei Unfällen oder ähnlichen Ereignissen regelmäßig in großer Zahl auf. Nicht selten behindern allzu aufdringliche Gaffer sogar Einsatzkräfte bei ihrer Arbeit – oder verursachen im Straßenverkehr sogar Folgeunfälle. Auch am Hochrhein registrieren die Rettungsorganisationen eine Zunahme der Problematik. Doch wie gehen Einsatzkräfte mit dem Phänomen Gaffer um, was ist möglicherweise gerade noch erlaubt, und inwiefern hat die technische Entwicklung möglicherweise das Problem noch verschärft? Wir haben bei Polizei und Feuerwehr nachgefragt.
Wie gravierend ist das Problem mit Schaulustigen in der Region?
Gaffer stellen auch am Hochrhein ein Problem von signifikantem Ausmaß dar: „Je belebter eine Örtlichkeit, desto mehr Schaulustige gibt es natürlich“, erklärt Kreisbrandmeister Dominik Rotzinger.
Polizeisprecher Mathias Albicker fügt hinzu, dass sich insbesondere bei Verkehrsunfällen das Verhalten vieler Menschen „ins Negative zu verändern“ scheine: „Neben Behinderungen von Rettungskräften werden die Einsatzkräfte immer wieder in unnötige Diskussionen verwickelt.“ Dabei gehe es oft um Ratschläge, wie ein Einsatz effektiver gestaltet werden könne, oder gar um Kritik an Umleitungen, so Albicker.

Von Autobahndienststellen sei zu hören, dass sogar auf der Gegenfahrbahn gebremst wird, um zu gaffen. Daraus resultieren Unfälle, ganz zu schweigen von den Verkehrsstockungen, die zu langen Staus führen können. Im Kreis Waldshut sei es allerdings in den vergangenen zwölf Monaten nicht zu „gravierenden Vorfällen“ gekommen, bei denen Schaulustige beteiligt waren.
Inwieweit hat die technische Entwicklung die Gaffer-Problematik verschärft?
„Leider wurde es auch zur traurigen Realität, dass Menschen an den Einsatzstellen vorbeifahren und filmen“, kommentiert Mathias Albicker. Tatsächlich sei durch moderne Smartphone-Technik jeder von überall aus in der Lage, Filme zu produzieren oder gar live zu senden.
Mit Zunahme der technischen Möglichkeiten scheine in gewisser Weise auch die Hemmschwelle bei vielen Menschen gesunken zu sein, ist auch der Eindruck von Kreisbrandmeister Rotzinger: „Es macht teilweise fassungslos, wie manch einer sicher offenbar am Leid anderer derart interessiert zeigt und dies dann auch noch mit Handy filmt. Ich finde dies moralisch verwerflich, dies scheint aber ein Gesellschaftliches Problem zu sein, jeder ist sich selbst der nächste.“ Sei dies durchaus ab einem gewissen Grad auch strafrechtlich relevant, so werde es laut Rotzinger vor allem dann zum Problem, wenn Rettungskräfte bei ihrer Arbeit behindert werden.

Laut Darstellung der Polizei könne man durchaus immer wieder auch Drohnen sehen, die über den Einsatzstellen schweben, so Albicker: „Oftmals verschwinden sie gleich wieder. Rückschlüsse auf den Piloten sind in der Regel nicht möglich.“ Grundsätzlich sei der Betrieb von Drohnen in und über sensiblen Bereichen wie Einsatzorten von Polizei und Rettungskräften verboten.
So sieht der rechtliche Rahmen für Drohnen-Piloten aus
Denn auch die kleinen, unbemannten Fluggeräte können Einsätze gravierend behindern, wie Dominik Rotzinger betont: „Eine Drohne kann das Fliegen von Rettungs- und Polizeihubschraubern behindern und so Menschenleben kosten.“ Bislang seien ihm derartige Probleme zumindest von Einsätzen im Kreis Waldshut aber glücklicherweise nicht bekannt.
Wie gehen Einsatzkräfte mit Schaulustigen um?
In erster Linie versuchen Rettungskräfte, Unbefugte möglichst weit von Einsatzstellen fernzuhalten, schildern die Vertreter von Polizei und Feuerwehr: „Die Feuerwehr schützt sich und andere, indem sie an Einsatzstellen den Gefahrenbereich definiert und diesen absperrt, innerhalb des Gefahrenbereichs hat niemand außer den notwendigen Einsatzkräften etwas verloren“, stellt Dominik Rotzinger klar.
Darüber hinaus werden etwa an stark befahrenen Straßen oder Autobahnen auch sogenannte „Gafferwände“ aufgestellt, um Verkehrsbehinderungen oder gar Unfälle durch Schaulustige auf der Gegenfahrbahn zu verhindern. Unmittelbare Zwangsmaßnahmen ergreife die Feuerwehr nicht. Bei Widerständen werde diesbezüglich an die Polizei übergeben, mit der die Feuerwehr ohnehin immer eng zusammenarbeite, so Rotzinger weiter.
Und wenn Gaffer sich nicht abhalten lassen?
Der technische Einsatzleiter sei gemäß Feuerwehrgesetz dazu berechtigt, „Anordnungen auszusprechen, die jeder an der Einsatzstelle befolgen muss“, erklärt Rotzinger. Das könne bis hin zu einem Platzverweis für Schaulustige reichen. Sollten jedoch deutliche Worte nicht aureichen, übernimmt die Polizei gegebenenfalls weitere Maßnahmen, so Albicker.
Häufig stellen aber auch die Polizeibeamten ein gerüttelt Maß an Dreistigkeit fest: „Anweisungen der Einsatzkräfte werden teilweise bewusst ignoriert im Wissen, dass entsprechende Maßnahme, wie beispielsweise Platzverweise in der aktuellen Einsatzsituation nur schwer von der Polizei durchgesetzt werden können.“ Im Extremfall könne die Polizei aber allzu uneinsichtige Zeitgenossen, die Platzverweise ignorierten, auch in Gewahrsam nehmen.
Welche Konsequenzen kann Fehlverhalten an einem Unfallort haben?
Unter Umständen könne ein Fehlverhalten an einem Unfallort durchaus auch strafrechtliche Folgen haben: Je nach Sachverhalt können Strafverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung oder Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen eingeleitet werden, wenn Unfallopfer fotografiert oder gefilmt werden.
Ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt einen rasanten Zuwachs in beiden Bereichen: Wurden 2018 noch neun Fälle von unterlassener Hilfeleistung registriert, waren es 2019 17. Das Deliktfeld „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“, verzeichnete 2018 noch 46 Fälle, 2019 waren es bereits 80 Fälle. Allerdings schränkt Albicker ein, dass hierbei auch andere Tatbestände als Straftaten von Schaulustigen einfließen, etwa der Versand von Nacktfotos.
Aber auch wer durch Gaffen Helfer oder Einsatzkräfte behindert macht sich strafbar. In einem solchen Fall würden die Betroffenen vorläufig festgenommen und ihre Personalien festgestellt, so Albicker. Hier gab es in den vergangenen beiden Jahren jeweils einen Fall. Im Übrigen könnten sich auch Einsatzkräfte gegen widerrechtlich veröffentlichte Bilder und Videos – etwa auf Youtube – zivilrechtlich zur Wehr setzen.
Wer als Autofahrer einen Rettungseinsatz im Vorbeifahren filmt, kann neben den oben angeführten Straftatsbeständen außerdem noch wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt, so Albicker: „Gerade das Filmen und Fotografieren durch einen Fahrer wird nach Möglichkeit sofort beanstandet oder unterbunden oder zumindest soweit dokumentiert, dass entsprechende Verfahren eingeleitet werden können.“
Im Falle der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens stelle die Polizei auf jeden Fall technisches Gerät von Handys bis zu Drohnen sicher, so Mathias Albicker. Personalien von Gaffern würden ebenfalls aufgenommen.