Hans-Caspar Kellenberger, AZ

Im September 2020 befand sich im Schweizer Laufenburg ein damals neunjähriger Primarschüler nach dem Mittagessen in der Tagesstruktur der Burgmatt-Schule, als er aus dem Fenster im ersten Stock des Gebäudes fast sechs Meter in die Tiefe stürzte und auf dem Plattenboden aufprallte. Er verletzte sich beim Sturz lebensgefährlich. Unter anderem erlitt er einen Schädelbruch und lebensgefährliche innere Verletzungen.

Junge leidet noch heute an den Folgen

Der Schüler musste nach dem Unfall ins künstliche Koma versetzt und auch am Kopf operiert werden. „Mein Sohn leidet noch heute an den Folgen“, sagte seine Mutter zwei Jahre nach dem Vorfall. „Er war zuvor ein sehr guter Schüler und aktiver Sportler. Aber das ist vorbei“, so die Mutter des Jungen weiter.

Nach dem Vorfall hatte die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg gegen eine Mitarbeiterin des Mittagstischs, einen Strafbefehl wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung und Verletzung der Fürsorgepflicht erlassen. Weil die Mitarbeiterin dagegen Einsprache erhob, kam es am Dienstag zur Verhandlung am Bezirksgericht Laufenburg.

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Die Staatsanwaltschaft forderte eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 Franken sowie eine Buße von 500 Franken. Der Anwalt der Mutter des Buben argumentierte, die Aufsichtsperson habe dadurch, dass sie zum Unfallzeitpunkt im Nebenzimmer nach den anderen Kindern geschaut habe, ihre Fürsorgepflicht verletzt.

Denn: Als die Betreuerin in den Nebenraum wechselte, war das mittlere Fenster im Raum geöffnet, aus dem der Neunjährige kurz darauf stürzte. Damit habe sich die Beschuldigte „pflichtwidrig unvorsichtig“ verhalten. Der Sturz des Buben, durch den er eine schwere Schädigung an Körper und Gesundheit erlitt, sei aus dem Fehlverhalten der Betreuungsperson resultiert.

Es ist nicht sicher, ob das Fenster geöffnet war, als die Betreuerin den Raum verließ

Die Beschuldigte verweigerte die Aussage vor Gericht. Ihr Verteidiger führte unter anderem aus, es sei nicht erwiesen, ob das entsprechende Fenster offen war, als die Betreuungsperson den Raum verließ, um nach den anderen Kindern zu schauen. Auch gäben die Zeugenaussagen des anderen Kindes, das zum Unfallzeitpunkt mit dem Bub im Raum spielte, keinen Aufschluss darüber, ob das Fenster bereits geöffnet war.

Der Verteidiger legte dem Gericht daraufhin gar ein Video vor, das beweisen sollte, dass das Fenster im entsprechenden Raum im Schulhaus Burgmatt von alleine zugeht, somit habe es gar nicht mehr offen sein können, als die Beschuldigte den Raum verließ. Die Aufnahme wurde während der Verhandlung – unter Ausschluss der anwesenden Journalisten – analysiert.

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Weiter führte der Verteidiger aus, die zwei Kinder hätten vor dem tragischen Unfall, als die Betreuerin kurz den Raum verließ, auf dem Boden gespielt. Damit liege auch keine ungenügende Beaufsichtigung durch die Betreuerin der Tagesstruktur vor. Das Verhalten des Buben, der auf den Fenstersims stieg und in der Folge stürzte, sei nicht vorhersehbar gewesen. Der Verteidiger beantragte deshalb einen Freispruch.

Richter: Ein unauffälliges Kind muss auch kurz alleine gelassen werden können

Gerichtspräsident Beat Ackle folgte dem Antrag der Verteidigung und sprach die Betreuerin vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung und der Verletzung der Fürsorgepflicht frei. Die Betreuerin habe sich nicht falsch verhalten und auch der Bub sei nicht verhaltensauffällig gewesen. Es müsse also im Rahmen liegen, dass er auch einmal kurz alleine gelassen werden könne, so wie eben damals, als es zum tragischen Unfall kam.

Der Neunjährige sei durchaus dazu fähig gewesen, die Gefahr einzuschätzen. Ob das Fenster offen war, sei, gerade wegen der Zeugenaussage des anderen Kindes, das damals im Raum anwesend war und bei der Befragung zum offenen Fenster mit den Achseln gezuckt habe, nicht abschließend geklärt.