Deutschland hat derzeit ein extrem preisgünstiges öffentliches Nahverkehrsangebot. Reisende können seit dem 1. Juni ein Vierteljahr lang bundesweit für monatlich neun Euro alle öffentlichen Nahverkehrsbahnen und -busse nutzen. Das Gegenbeispiel ist die Schweiz. Dort waren Fahrten im öffentlichen Verkehr im Vergleich zu Deutschland schon immer relativ teuer. Dennoch fährt bislang ein Schweizer mit durchschnittlich 2463 Kilometern im Jahr doppelt so viel Bahn wie ein Deutscher mit 1157 Kilometern.
Die Akzeptanz des öffentlichen Nahverkehrs ist wohl nicht nur eine Frage des Preises, sondern auch des Angebots und der Qualität. Hier punktet die Eidgenossenschaft mit einem der dichtesten Bahn- und Busverkehrsnetze der Welt. Es gilt als schnell und pünktlich. Wir machen die Probe aufs Exempel und vergleichen auf beiden Seiten des Hochrheins Bahn- und Busverbindungen an zwei ausgewählten Beispielen.
Der Vergleich
Todtmoos (1950 Einwohner) und Wegenstetten (1040 Einwohner) befinden sich beide in keiner zentralen Verkehrslage. Der Kur- und Wallfahrtsort Todtmoos liegt im äußersten Westen des Landkreises Waldshut im oberen Tal der Wehra, Wegenstetten im oberen Möhlintal an der Grenze des aargauischen Fricktals zum Kanton Baselland. Für unseren exemplarischen Vergleich suchen wir vom Busbahnhof Todtmoos aus Verbindungen mit Bahn und Bus in den nördlichsten Laufenburger Stadtteil Rotzel (520 Einwohner).
Von Wegenstetten-Oberdorf wollen wir nach Hottwil (250 Einwohner) im Mettauer Tal östlich des Schweizer Laufenburg. Mit dem Auto braucht man für die 22 Straßenkilometer von Todtmoos nach Rotzel 25 Minuten, Wegenstetten und Hottwil sind 25 Kilometer voneinander entfernt, der Routenplaner gibt für die Strecke 28 Minuten an. Wie lange dauert es jeweils mit Bahn und Bus? Und wie oft am Tag können öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden?

Die Fahrt von Todtmoos nach Rotzel
Als Referenztag haben wir den Dienstag, 31. Mai gewählt – einen Tag mitten in der Woche und außerhalb der Schulferien. Die Fahrplan-App der Deutschen Bahn gibt acht Möglichkeiten an, an diesem Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Todtmoos nach Rotzel zu reisen. Der erste Bus fährt um 6.21 Uhr am Busbahnhof Todtmoos ab, der letzte knapp zehn Stunden später um 16.09 Uhr.
Die Fahrzeiten und auch die Routen differieren stark. Am flottesten geht es um 11.26 Uhr mit der Buslinie 7320 durchs Wehratal nach Brennet, von dort weiter mit der Regionalbahn 35 zum Bahnhof Laufenburg-Ost, wo auf die Buslinie 7325 umgestiegen wird. Läuft alles fahrplanmäßig, kommt der Reisende nach 1 Stunde und 36 Minuten und zwei Umstiegen um 13.02 Uhr in Rotzel an. Rund 44 Kilometer hat er dann zurückgelegt, davon etwa 30 mit dem Bus.
Es gibt drei Routen, um die Strecke von Todtmoos nach Rotzel mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Neben der durchs Wehratal führt eine zweite mit dem Bus über Herrischried und Rickenbach nach Bad Säckingen und von dort weiter mit dem Zug nach Laufenburg.
Eine dritte Strecke führt den Reisenden mit dem Bus zuerst nach St. Blasien, von dort mit dem Bus weiter nach Waldshut und von dort mit dem Zug nach Laufenburg. Das letzte Wegstück nach Rotzel wird immer mit der Buslinie 7325 zurückgelegt. Es sind immer mindestens zwei, manchmal drei Umstiege notwendig. Die Reisezeit kann inklusive Wartezeiten bei den Umstiegen bis zu 3 Stunden 5 Minuten betragen.
Bei den Bussen um 8.16 und um 10.35 Uhr ab Todtmoos verlieren die Reisenden unterwegs so viel Zeit, dass sie zu selben Zeit in Rotzel ankommen wie Passagiere, die erst den jeweils nachfolgende Möglichkeit genommen haben. Deshalb kann von Todtmoos aus Rotzel täglich nur sechsmal mit dem ÖPNV erreicht werden: um 11.21 und um 16.50 Uhr mit Bus und Bahn über St. Blasien und Waldshut, um 8.54 und um 13.01 mit Bus und Bahn mit Umstieg in Brennet, um 16.01 mit Bus über das Wehratal und Bad Säckingen, um 17.53 mit Bus über den Hotzenwald und Bahn ab Bad Säckingen.
Die Fahrt von Wegenstetten nach Hottwil
Und wie sieht es in der Schweiz aus? Von Wegenstetten aus haben Reisende werktäglich nicht weniger als 25 Mal die Möglichkeit, mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Strecke nach Hottwil zurückzulegen. Der erste dieser Busse verlässt die Haltestelle Oberdorf um 4.50 Uhr, der letzte 16 Stunden später um 20.50 Uhr. Je nach Passagieraufkommen verkehren die Busse im Stunden- oder sogar Halbstundentakt.
Doch das ist nicht der einzige Unterschied. Alle Wegenstetter Busse enden am Bahnhof Möhlin, der als lokales Umsteigezentrum auf andere Postbus- oder Bahnlinien dient. In Möhlin können Reisende in die stündlich von Basel ins Schweizer Laufenburg verkehrende S1 wechseln. Vom Bahnhof Laufenburg – einem anderen lokalen Umsteigezentrum – fährt stündlich oder bisweilen sogar halbstündlich die Linie 142 nach Hottwil. Diese Verbindung besteht 21 Mal täglich zwischen 6.34 und 21.37 Uhr.
Alternativ bietet sich zu bestimmten Zeiten in Möhlin der Umstieg Richtung Rheinfelden an, um mit anderen Bus- und Bahnverbindungen Hottwil zu erreichen. Die Reisezeit beträgt über Laufenburg in der Regel 1 Stunde 34 Minuten, beim Umweg über Rheinfelden und Brugg neun Minuten länger. Mit der letzten Verbindung des Tages ist man 2 Stunden 13 Minuten unterwegs.

Unser Fazit
Nahverkehr könnte links und rechts des Rheins ähnlich gut funktionieren. Für die Strecke von Brennet nach Laufenburg-Ost benötigt die DB-Regionalbahn 14 Minuten, für die parallel verlaufende Strecke Möhlin-Laufenburg braucht die Basler S1 15 Minuten. Die Züge der deutschen Regionalbahn verkehren sogar wesentlich häufiger als die auf der Schweizer Parallelstrecke – wobei berücksichtigt werden muss, dass es sich bei dieser um eine Nebenstrecke mit Sackbahnhof handelt.
Im Verbund aus Bus und Bahn kann Reisestrecke in beiden Fällen in einer ähnlichen Zeit bewältigt werden (Todtmoos-Rotzel 1 Stunde 36 Minuten, Wegenstetten-Hottwil 1 Stunde 34 Minuten). Dies klappt jenseits des Rheins allerdings 18 Mal, diesseits nur einmal täglich. Der Nahverkehr auf der deutschen Seite fährt nicht nur seltener, Reisende sind mit ihm in der Regel auch viel länger unterwegs.
Und was kostet es? Der Preisvergleich
Den Unterschied im öffentlichen Nahverkehr machen besonders die Busse aus. Die gelben Schweizer Postbusse fahren öfter und in kürzerer Taktung als die roten deutschen Bahnbusse. Auch kleine Orte werden in der Schweiz regelmäßig mehrmals am Tag angefahren. Dies gewährleistet auch in der Fläche ein attraktives verlässliches Nahverkehrsangebot auch während der Schulferien. Im Deutschen hingegen schrumpft das ohnehin geringere Transportangebot in der schulfreien Zeit weiter zusammen.