Für 9 Euro im Monat Bus und Bahn fahren und das 90 Tage lang: Für Fahrgäste klingt es erst einmal verlockend. Doch was sagen die Tarifverbünde am Hochrhein, der Regio Verkehrsverbund Lörrach (RVL) und Waldshuter Tarifverbund (WTV) dazu? Der SÜDKURIER hat nachgefragt. Beide beziehen nicht direkt Stellung. Dafür der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), in dem auch RVL und WTV Mitglied sind.

VDV sieht enorme Herausforderungen

„Wir stehen als Branche einem solchen Angebot nicht grundlegend ablehnend gegenüber und erkennen die Idee dahinter, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) hier als Mobilitätsalternative zum Auto zu stärken“, schreibt VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff in seiner umfangreichen Stellungnahme. Er weist jedoch auch auf die enormen Herausforderungen hin, die sich in der praktischen Umsetzung ergeben würden.

Exorbitante zusätzliche Einnahmeausfälle

Für ihn steht fest: „Bei einem 9-Euro-Abo für drei Monate – jeweils monatlich – ist von exorbitanten zusätzlichen Einnahmeausfällen auszugehen.“ Es sei damit zu rechnen, dass dann Einzelfahrscheine praktisch nicht mehr gelöst werden würden. Ein 9-Euro-Abo würde diese Ticketart vollständig kannibalisieren. Dies gelte auch für den Fernverkehr, für den die Menschen mit diesem Abo eine günstigere Alternative lösen würden.

Abo-Kunden müssten Erstattungen erhalten

Kunden, die ein Abo gebucht haben, einschließlich der Inhaber von Jobtickets, müssten laut Wolffs Einschätzung eine Erstattung durch die Unternehmen beziehungsweise Verkehrsverbünde erhalten. Es sei überdies nicht absehbar, wie viele Neukunden das 9-Euro-Abo in Anspruch nehmen würden. Wolff: „Geht man davon aus, dass bei einem Preis von 27 Euro für drei Monate nicht einmal der Wert von einem Drittel des schon wirtschaftlich überhaupt nicht tragfähigen 365-Euro-Jahrestickets erreicht wird, dürfte eine gewisse Vorstellung bestehen, mit welchen Kosten hier zu kalkulieren ist.“

Nicht zu vergessen, die zu erwartenden zusätzlichen Gemeinkosten. Unternehmen müssten ad hoc erhebliche administrative, IT-basierte und vertriebliche Zusatzaufgaben bewältigen. Die Pandemie bedingten Fahrgastrückgänge und die hohen Energiepreise wirkten sich ohnehin schon erheblich auf die Einnahmen und Kosten aus.

ÖPNV-Systeme würden überlastet

Wolff sieht mehr Fahrgäste, die ÖPNV-Systeme würden stärker in Anspruch genommen. Er ist sich sicher: „Eine Überlastung wäre unausweichlich.“ Dies betreffe auch den Fernverkehr. „Weil die Prozesse in den Knoten weit weniger reibungslos laufen werden als im Normalfall.“

Ein weiterer Faktor: Unternehmen könnten nicht ohne Weiteres Tarife anpassen. Die Festlegung der Ticketpreise unterliege einer quasi gesetzgeberischen Nomenklatur. Eine schnelle Umsetzung werde deshalb, zumindest auf Länderebene, zusätzlich ein Verordnungsverfahren erfordern und gesetzgeberisch durch den Bund begleitet werden müssen. Um formale gesetzliche Hürden zu senken. Der VDV werde kurzfristig Vorschläge unterbreiten.

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Einnahmeausfälle und steigende Energiekosten

Wolff nennt einige Voraussetzungen für die konkrete Umsetzung, die Bund und Länder zusagen müssten. Es müsse eine Rettungsschirm für 2022 zur Verfügung gestellt werden. Die Energiepreissteigerungen müssten in einem Ausgleich mit einbezogen werden. Die vorgesehenen Steuersenkungen für Treibstoffe seien bei Weitem nicht auskömmlich. Jedenfalls für zahlreiche Unternehmen, die keine langfristigen Liefervereinbarungen zu alten Preisen getroffen hätten.

Wenn Verkehrsunternehmen ihr vollständiges Programm weiter erbringen sollen, müssten Bund beziehungsweise die Länder als Besteller fungieren. Unternehmen bräuchten einen konkreten Beschluss der Verkehrsministerkonferenz, unter Beteiligung des Bundesverkehrsministeriums.

Liquidität für Erstattungen und Betriebsmittel

Die finanziellen Folgen des 9-Euro-Abos seien nicht absehbar. Das Angebot: Einnahmeausfälle sollten in der Nomenklatur des Rettungsschirms berechnet werden. Wolff: „Dies kann naturgemäß erst nach Ablauf des Dreimonatszeitraums erfolgen.“ Es müsse unverzüglich in erheblichem Umfang Liquidität für Erstattungen und Ausgaben für Betriebsmittel zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig brauche es einen Beschluss der Verkehrsministerkonferenz und des Bundesverkehrsministeriums, dass die Verkehrsunternehmen einen Anspruch hätten, um sämtliche durch die politischen Beschlüsse entstandenen Einnahmeausfälle erstattet zu bekommen.

Garantien von Bund und Ländern

„Die Beteiligten sollten sich klar darüber werden, dass mit den getroffenen Maßnahmen erhebliche Herausforderungen auf das System der öffentlichen Mobilität zukommen“, schreibt Wolff weiter. Alle Beteiligten müssten wissen, dass die Maßnahme an verschiedenen Stellen einen Krisenmodus zur Folge habe. Man müsse sich gemeinsam auch für Qualitätseinbußen verantwortlich zeichnen. Wolff: „Personal und Fahrzeugressourcen stehen schließlich nicht ad hoc zur Verfügung.“

Die Verkehrsunternehmen würden den Anforderungen von Bund und Ländern nachkommen und im Interesse der Bürger ein Verkehrsangebot bereitstellen, dass der Krisenlage entspreche. Aber man brauche die Zusagen von Bund und Ländern, um die Leistungen erbringen zu können.

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