Rheinfelden „Wer von euch hat einen Migrationshintergrund?“ Acht Hände schnellen in die Höhe, als Lenar Minubai diese Frage stellt. Acht Hände, die zu acht Schülern des Georg-Büchner-Gymnasiums (GBG) Rheinfelden gehören, die mit dem Mitarbeiter des Caritasverbandes an einem Tisch in der Mensa der Schule sitzen. Auch Minubai selbst streckt – er kam einst aus Russland für ein Studium nach Deutschland. „Und wer von Euch versteht sich als deutsch?“ Die Hände werden deutlich zögerlicher gehoben – „Was heißt denn deutsch sein überhaupt“, murmelt eine der Zehntklässlerinnen. Und bringt damit eines der Themen des Willkommenscafés auf den Punkt.
Sie und ihre rund 80 Klassenkameraden haben statt Mathe- oder Chemieunterricht an diesem Tag die Gelegenheit, über Identität und Herkunft, Migration und Flucht zu sprechen – bei Marmorkuchen und Saftschorle statt im Klassenzimmer, und mit Menschen unterschiedlicher Generationen, die ihre eigenen Erfahrungen teilen. Was offiziell Willkommenscafé heißt, nennt die Schulsozialarbeiterin und Organisatorin Martina Uehlin „politischen Kaffeeklatsch“: „Uns geht es darum, Vorurteile abzubauen. Und Fragen der Schüler zu klären, indem sie mit Betroffenen ins Gespräch kommen.“ Rund zehn Gäste sind zu diesem Zweck gekommen, darunter Mitarbeiter von Sozialverbänden, der Stadt und Mitglieder der Bürgerinitiative „Rheinfelden für Demokratie“.
Eine von ihnen ist Aila. Sie ist selbst Schülerin am Gymnasium, vor etwa einem Jahr kam sie aus Albanien. Zur Unterstützung hat sie eine Freundin mitgebracht; immerhin sei es schon komisch, mit den Mitschülern in diesem Rahmen zu sprechen, sagt sie. Entsprechend stockend kommt das Gespräch an ihrem Tisch ans Laufen. Aber am Ende trauen die Mitschüler sich doch. Fragen, wo sie denn herkommt, mit wem sie nach Deutschland gekommen ist – und warum gerade nach Rheinfelden, „wenn es doch so viele schöne Städte in Deutschland gibt“, wirft ein Schüler ein und erntet damit lautes Gelächter. Nicht immer müssen die Gespräche an diesem Vormittag tiefgründig sein, die Lehrer greifen in den Verlauf nicht ein.
Das Willkommenscafé findet im Rahmen der Woche der Kulturen am Gymnasium statt. Finanziert wird es unter anderem von der Stadt und aus Mitteln des Demokratiebudgets des Kultusministeriums. Jedes Jahr wird an der Schule ein Antirassismus-Projekt organisiert. Federführend dabei ist die SMV, die Schülermitverwaltung. Darauf ist Schulleiter Volker Habermaier stolz: „Die Schüler kümmern sich selbst, ich unterstütze nur, wo nötig.“ Für ihn leisten die Projekte einen wichtigen Beitrag zur Demokratieerziehung: „Um Demokratie leben zu können, muss ich andere kennen, Empathie entwickeln. Es geht in unserem Rechtsstaat nicht darum, den eigenen Willen vollumfänglich durchzusetzen, sondern auch zu wissen, was der andere braucht. Und dann Einklang zu suchen.“
Tara Ewinger und Jovana Vukovic von der SMV bestätigen, wie wichtig diese Perspektivwechsel sind. Rassismus verschwinde nicht einfach – auch nicht in der Schule. Umso wichtiger sei es, in den Austausch zu gehen. Jovana hat zu diesem Zweck das Kulturfrühstück organisiert, bei dem in jeder teilnehmenden Klasse im Laufe der Aktionswoche gemeinsam etwas gegessen wird, was die Schüler und ihre kulturellen Hintergründe repräsentiert. Auf die Fertigstellung von Tara Ewingers Projekt muss die Schule bis nach den Osterferien warten. Im Eingangsbereich soll eine große Weltkarte an die Wand gezeichnet werden. Darauf sollen die Herkunftsländer der Schüler markiert werden. Wie viele es sind? Das kann Tara auf die Schnelle nicht genau sagen, aber: Jeder Kontinent sei vertreten. „Es soll ein Zeichen für Vielfalt an der Schule setzen. Eines, an dem man jeden Tag vorbeiläuft.“
Smartphone hilft beim Übersetzen
Währenddessen läutet in der Mensa eine kleine Glocke, das Signal für die Schüler, die Tische und damit ihre Gesprächspartner zu wechseln. Fünf Schüler finden den Weg zu Seyfullah. Seit fünf Jahren ist er in Deutschland. In der Türkei wurde er politisch verfolgt, sagt er. Immer wieder nimmt der ehemalige Lehrer sein Smartphone zur Hand – es soll übersetzen, was er sagt. Immerhin sei Deutsch für ihn immer noch schwer, entschuldigt er sich bei den Schülern. Sie antworten mit verständnisvollem Nicken. Wie an allen Tischen liegen bunte Karten aus, die das Gespräch anregen sollen. „Wie fühlen Sie sich dabei, Menschen täglich zu helfen?“ liest ein Schüler vor. Gemeinsam rätseln sie kurz, wie die Frage zu verstehen ist. Dann sagt Seyfullah: „Helfen ist menschlich. Fremden zu helfen, ist menschlich. Das muss jeder tun.“
Mit der Methode „World Café“ hat das Gymnasium bereits gute Erfahrungen gemacht. Das niedrigschwellige Angebot wurde etwa im Rahmen der Europawahlen getestet. Damals kamen Schüler, die erstmals wahlberechtigt waren, mit Erwachsenen ins Gespräch – darüber, wie wichtig es ist, zur Wahl zu gehen. Oder wie belastend es sein kann, nicht wählen zu dürfen. Auch der neuerliche Kaffeeklatsch kommt bei den Schülern gut an. Als um kurz vor 11¦Uhr das Ende naht, bittet eine Zehntklässlerin um eine Verlängerung – damit man mit allen Gästen ins Gespräch kommen könne. Schulsozialarbeiterin Martina Uehlin gewährt sie gern.