Rheinfelden „Ich bin nervös, ja.“ Ein vorsichtiges Lächeln huscht über Audrey Oddlokkens Gesicht, ihre Blicke schweifen zwischen einem Stapel handschriftlicher Notizen und zwei PC-Bildschirmen hin und her. Das leise Klicken der Tastatur durchdringt die Stille. Die 17-Jährige tippt ein Protokoll ab, der Inhalt: vertraulich. Sie hat die Notizen am Abend zuvor selbst geschrieben. Was in der Stadtverwaltung alltäglich sein dürfte, macht Audrey Oddlokken zum ersten Mal. „Klar habe ich Angst, da etwas zu verpassen.“
Sie ist eine von zwei jungen Frauen, die derzeit ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) beim Rheinfelder Kulturamt absolvieren. Seit 2018 kann der Freiwilligendienst bei der Stadt verrichtet werden, aktuell tun dies rund ein Dutzend junger Menschen. Statt etwa in Kita, Schule oder Pflegeeinrichtung zu schnuppern, entschied sich Audrey bewusst für die Arbeit in der Kulturszene. Sie pendelt dafür täglich von ihrem Wohnort Schopfheim ins Rheinfelder Rathaus.
Dort, im ersten Stock, teilt sie sich das Büro mit zwei Kolleginnen. Ihr Schreibtisch steht am Fenster, Blick auf die Christuskirche. Eine Packung Lakritz liefert Nervennahrung. Die Vorliebe dafür kommt wohl von ihrer norwegischen Mutter, sagt sie und grinst. Die kurzen dunkelblonden Haare fallen ihr vorne in die Stirn, die Seiten sind kurz. Dass sie doch so viel Zeit am Bildschirm verbringen würde, hätte die FSJlerin vor ihrem Start im September nicht gedacht, gibt sie freimütig zu. Denn eigentlich hat sie die Begeisterung für Vernissagen, Konzerte und Schauspiel ins Kulturamt gelockt. Trotzdem bereut sie die Entscheidung nicht. „Ich habe tolle Kollegen, die mich ins Team aufgenommen haben. Spaß macht mir eigentlich alles an meiner Arbeit.“ Audrey spricht mit leiser Stimme, wählt ihre Worte mit Bedacht. „Und eigentlich hätte ich mir ja denken können, dass doch viel hinter den Kulissen am PC passiert.“
Immerhin wollen Veranstaltungskalender gepflegt, Social-Media-Kanäle bespielt und Kulturveranstaltungen geplant und organisiert werden. All das sind Aufgaben im Kulturmanagement, bei denen Audrey ihre Kolleginnen und Kollegen unterstützt. So zum Beispiel für die kürzlich eröffnete Ausstellung der Kunstschule Quici in der Rathausgalerie. „Ich war schon beim Aufbau als Ansprechperson für die Künstler da. Abends stelle ich dann Stehtische auf und schenke Getränke aus – einfach, damit alles normal stattfinden kann.“ Aber nicht jede Aufgabe sei so angenehm. Das Verteilen des Stadt- und Kulturmagazins „2xRheinfelden“ etwa. Alle zwei Monate ist sie mit den Kartons in der Stadt unterwegs – zu Fuß, mit einem Zeitungswagen. Keine gute Lösung sei das, „aber ich setze mich schon für etwas Besseres ein. So ein Einkaufstrolley wäre super.“
Fünf Tage die Woche arbeitet die FSJlerin, in der Regel zwischen 9 und 17 Uhr. Ein voller Arbeitstag also – für 400 Euro Taschengeld im Monat. Denn der Freiwilligendienst ist kein gewöhnliches Arbeitsverhältnis. Ein FSJ bietet jungen Menschen Gelegenheit, die Arbeitswelt kennenzulernen oder die Zeit bis Beginn des Studiums oder der Ausbildung sozialversichert zu überbrücken. Ob Audrey Oddlokken ihre Bezahlung gerecht findet? Die 17-Jährige überlegt kurz. „Ja, immerhin ist es ein freiwilliges soziales Jahr. Es wäre ja auch unfair gegenüber den ausgelernten Arbeitskräften, wenn ich frisch von der Schule so viel verdienen würde wie zum Beispiel jemand mit Ausbildung.“ Aber: Zuschläge wären nicht schlecht, etwa wenn man am Wochenende oder in der Nacht arbeitet.
Im vergangenen Jahr haben sich fast 14.000 junge Menschen in Baden-Württemberg für ein FSJ entschieden. Laut einer Mitteilung der Landesregierung ein Plus von 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – und der zweithöchste Stand seit der Einführung des Freiwilligendienstes. Gleichzeitig werden unter dem Stichwort soziales Pflichtjahr immer wieder Rufe laut, man müsse junge Menschen zu einem Dienst an der Gesellschaft verpflichten. Audrey findet die Idee zwar „grundsätzlich interessant“, aber: „Wenn ich zum Beispiel Schreiner werden will, möchte ich vielleicht lieber direkt die Ausbildung machen, als etwas, was mich beruflich nicht unbedingt weiterbringt.“
Für Audrey ist das FSJ vor allem ein Überbrückungsjahr, das sie nutzt, um in der Kulturbranche Erfahrungen zu sammeln. Die junge Frau steht selbst gerne auf der Bühne, die Theater-AG an der Schopfheimer Schule hat sie inzwischen gegen die Burgfestspiele Rötteln in Lörrach eingetauscht. Dort spielt sie im Sommer eine kleine Rolle. Dass sie im kreativen Bereich arbeiten möchte, steht außer Frage. Nach dem Schulabschluss hat sie im vergangenen Jahr zunächst keinen Ausbildungsplatz gefunden. Doch sie will es weiter versuchen.