St. Blasien – Neben den vier Abtporträts an den Seiten des gemeinderätlichen Sitzungszimmers sticht besonders das Alabasterrelief des Fürstabts Martin Gerbert ins Auge – schon allein deswegen, weil es unübersehbar an der Stirnwand des Raums, hinter Bürgermeister und Verwaltungsspitze hängt. Der berühmte und vielfach gedeutete Fürstabt Martin II. beobachtet gleichsam die Diskussionen und Entscheidungen der Gemeindepolitik, ohne je ein Wort darüber zu verlieren.
Das rund 250 Jahre alte Kunstwerk stammt aus den Händen eines Ludwig Bossi, der 1731 unter dem Taufnamen Luigi Antonio Bossi Teil einer weitverzweigten italienischen Stuckateurfamilie wurde. Auf Empfehlung des Barons von Sickingen (Palais Sickingen in der Freiburger Salzstraße) landete er 1771 in der Abtei St. Blasien und beim Fürstabt, der intensiv an den Vorbereitungen und Plänen für den Dombau arbeitete. Der 40-jährige Bossi – höchstwahrscheinlich identisch mit einem Luigi Bossi, der 1765 als Hofstuckateur am Stuttgarter Schlossbau tätig war – wird spontan für St. Blasien verpflichtet und übernimmt einen Großteil der im revolutionären Kirchenbau anfallenden Stuckarbeiten. Im Arbeitsvertrag wird er zwar Aloisius genannt, unterschreibt aber mit Ludwig.
Zu den augenfälligsten Werken zählt das wirklich eindrucksvolle Relief des großen Fürstabts, das von Ludwig Schmieder, dem Verfasser der bald 100 Jahre alten Baustudie über Kloster und Kirche, als „reinliche, ruhige Modellierung“ und als „das schönste Porträt“ Martin Gerberts gerühmt wird. Seinen ersten Platz fand die eindrucksvolle Stuckarbeit einst in der Marienkapelle, ehe es im letzten Jahrhundert zusammen mit dem Taufstein (der seinerseits heute in der Marienkapelle steht) unter anderem in der jetzigen Blasiusnische hing.
Plötzlich war es im Haus des Gastes im ersten Obergeschoss zu finden, ehe es den dortigen Veränderungen weichen musste und ins Rathaus wechselte. Das muss nicht unbedingt als unpassend empfunden werden, denn eigentlich dürfen Kirche und politische Gemeinde gemeinsam in gewisser Weise sich als Nachfolger des ehemaligen Herrschers des Benediktinerstaates betrachten.
Die Spuren des großartigen italienischen Künstlers Bossi verlieren sich schließlich nach der Domweihe 1783 – ein Jahr, das manchmal ungesichert als sein Todesjahr angegeben wird. Geblieben ist seine Prachtleistung, unter anderem das fürstäbtliche Porträt. Erhalten ist natürlich auch der Lebens- und Wirkungsglanz des Fürstabts Gerbert. Und dass er durch eine eigenartige Fügung seit etlichen Jahren der Gemeindepolitik über die Schultern schaut, ihr vielleicht die eine oder andere Inspiration verleiht, muss nicht zu den Nachteilen der jetzigen Porträt-Platzierung zählen.