Was ist schwarz-weiß, watschelt vor die Backstube der Konditorei Babobaker in Gottmadingen und will unbedingt rein? Nein, es ist kein Pinguin, der um Kuchenkrümel bettelt, sondern die 21-jährige Dorothea Vetter mit Blasen an den Füßen und in einem Outfit, das auffällt. Seit einem halben Jahr ist die Konditorgesellin auf der Walz. Gekleidet in die traditionelle Kluft führte sie ihr Weg kreuz und quer durch Deutschland. Auf ihrer Reiseliste stehen weitere europäische Länder. Ihr größter Traum wäre aber, auch nach Japan zu reisen.
Früher hatten Zünfte das Handwerksmonopol und Meister waren eine wichtige gesellschaftliche Klasse. Lehrlinge waren quasi rechtlos und erst mit der Freisprechung nach der Gesellenprüfung erfolgte ein sozialer Aufstieg. Augenfälliges Symbol dafür ist der schwarze Hut: Nur freie Männer durften Hüte tragen. Bis heute wird die Kopfbedeckung nicht abgesetzt, außer zum Essen, in der Kirche und im Bett. „Vor anderen Menschen ziehe ich den Hut nicht“, lautet die Devise.
Für die Walz gibt es eine eigene Sprache
Die bekannte Kluft mit Schlaghose, Weste und Wanderstock geht zurück auf das 19. Jahrhundert. Damals erlebte die Walz eine Hochzeit und die ersten Schächte entstanden – streng organisierte Gesellenvereinigungen mit eigenem Brauchtum.
Im Gespräch merkt man rasch, dass zur Walz ein eigenes Vokabular gehört: So beschreiben Stenz, Staude, Charlottenburger und Ehrbarkeit Bestandteile von Kluft und Ausrüstung. Andere Begriffe sind geheim, wie beispielweise die Sprache Rotwelsch, die seit Jahrhunderten von Fahrenden und Wandernden mündlich weitergegeben wird. All diese Rituale geben Halt auf der Wanderung, die auch zur Reise ins Erwachsenenleben wird.

Dorothea Vetters Abschiedszeremonie jedenfalls war turbulent: Eine Schnapsflasche wurde mit Kollegen halb geleert und dann 80 Zentimeter tief am Ortsschild der Heimatgemeinde Oberkirch-Nußbach im Ortenaukreis vergraben. Auch das Überklettern des Ortsschildes ist alte Tradition.
Auf ihren ersten Schritten wurde sie von einer Altgesellin begleitet. Von ihr erhielt sie auch das Wanderbuch, in dem sie Stempel aller Gemeinden sammelt, wo sie Station macht. Die 21-Jährige bezeichnet es als ihren kostbarsten Besitz.

Inzwischen ist sie allein unterwegs – ohne Handy, dafür mit Landkarte, ohne digitale Uhr, dafür mit traditioneller Taschenuhr, ohne soziale Netzwerke, dafür mit vielen Kontakten. Die ergeben sich dadurch, dass sie für Mobilität kein Geld ausgeben darf, also aufs Trampen angewiesen ist. „Hast du keine Angst?“, wird sie oft gefragt und ärgert sich, dass ihre männlichen Kollegen diese Frage nie hören. „Nein, keine Angst, aber dafür jede Menge Bauchgefühl.“
Keine Angst beim Trampen, aber witzige Begegnungen
Am liebsten fährt sie mit, wenn auch Kinder im Auto sitzen. Als Eisbrecher funktioniert Spielzeug, das sie in den zahlreichen Taschen der Kluft mit sich trägt. Insgesamt überwiegen die positiven Erlebnisse, berichtet sie. Und manchmal wird es auch richtig lustig: Zum Beispiel, als sie in Köln eine Mitfahrgelegenheit erwischte. Der Fahrer stammte aus Syrien und war insofern perfekt rheinländisch integriert, dass er ihre Kluft als Karnevalskostüm identifizierte.

In zehn Tagen hat Dorothea in Gottmadingen einiges gelernt, und auch die Blasen an den Füßen sind abgeheilt. Nun geht es weiter in Richtung Schweiz. Die Regeln der Walz schreiben vor, dass sie mindestens drei Jahre und einen Tag reisen muss. Ob sie es in dieser Zeit bis nach Japan schafft? „Abwarten“, antwortet sie. „Manche Gesellen wandern auch deutlich länger.“ Die vergrabene Schnapsflasche wird jedenfalls erst nach der endgültigen Rückkehr geleert.