Im Kern, sagt Milena Schilling, kommen wir alle aus dem gleichen Element. Und nicht nur darin sind wir alle gleich: Ob Frau, ob Mann, ob jung, ob alt, ob schlank, ob rundlich, ob von hier oder ob hierher zugewandert. Im (Frucht-) Wasser ist über neun Monate unser Leben herangewachsen, geschützt im Mutterleib, ganz für uns und frei von vielen äußeren Einflüssen.
Und diese Idee setzt die Fotografin in Bilder um, die in Konstanz gerade eine enorme Resonanz erleben. Denn auf den Aufnahmen sind Männer und Frauen in genau dieser Gleichheit zu sehen: im Wasser, ohne Kleidung, in kunstvoll ersonnenen Choreografien. Und bei den Betrachtenden in der Ausstellung stellt sich sofort ein Reflex ein – „die sehen ja alle ziemlich gleich aus.“
Es ist ein in vielerlei Hinsicht sehr mutiges Projekt, das die Künstlerin in der Leica Galerie zur Diskussion stellt, und es könnte der Beginn einer großen Karriere sein. Hunderte Gäste waren zur Eröffnung der Ausstellung gekommen, und das Interesse an der Ausstellung findet Milena Schilling immer noch überwältigend. Das liegt sicherlich ein Stück weit an der technischen Perfektion der Bilder.

Milena Schilling spielt dabei mit berühmten Werken
Posen, Licht, Kontraste, Tonwerte – hier ist nichts dem Zufall überlassen. In den schwarz-weißen Bildern wirken die Formen, in den farbigen die Kontraste zwischen dem türkisfarbenen Wasser und dem Hautton der Menschen. Zentimetergenau sind die Bilder konstruiert, die Körper fügen sich beziehungsreich aneinander. Dass Milena Schilling nicht nur ihr Handwerk beherrscht, sondern auch etwas über die Wirkung von Bildern weiß, wird vielfach deutlich.
Die Anspielungen auf berühmte Werke der Kunstgeschichte sind offensichtlich. In einem Foto strecken sich zwei Menschen die Hände – oder besser: die Finger – entgegen, wie in Michelangelos „Erschaffung Adams“ an der Decke der Sixtinischen Kappelle, die gerade eben wieder durch die Papstwahl in den Medien so präsent war. Andere Bezüge sind subtiler, aber nicht weniger wirkungsvoll.
Die Menschen, die auf den Bildern zu sehen sind, sind alles Freiwillige aus Konstanz, erzählt die Künstlerin. Auf einen Aufruf hätten sich dutzende Menschen gemeldet. Obwohl sie wussten, dass sie zuerst die Posen an Land üben und dann bei eisigen Temperaturen ins Wasser steigen müssen. Zusammen mit der Künstlerin, deren Kamera immer nur eine Aufnahme aufs Mal erlaubt.
Schwerelose Schönheit im lebenswichtigen Element
Da muss alles auf Anhieb sitzen, sonst geht die ganze Arbeit von vorn los. Und: Wer sich hier nackt fotografieren ließ, musste damit rechnen, in der Ausstellung wiedererkannt zu werden. Auch das macht das Projekt mutig – nicht nur für die Fotografin und Dozentin an der Hochschule HTWG, sondern auch für die, die sich abbilden ließen.
Was man den Bildern nicht ansieht – und auch das belegt, wie viel Talent in ihnen steckt –, ist, dass all die Herausforderungen der Produktion nirgends sichtbar sind. Es spricht kein bisschen Anspannung aus diesen Fotos, sondern fast so etwas wie Schwerelosigkeit; wie es so ist, wenn das gleichermaßen lebenswichtige wie lebensgefährliche Element Wasser den nötigen Auftrieb gibt.
Menschen zwischen 18 und 73 Jahren haben mitgemacht
Das ist umso erstaunlicher, als die Fotografin mit ihren Modellen eigens mit einem Boot in den Konstanzer Trichter fuhr, weil ihr nur dort das Wasser klar genug war. Andere Bilder sind direkt unter der Fahrradbrücke über dem Seerhein entstanden. Im frühen Frühjahr, wenn die Blaualgen blühen und für diese ganz besonderen Farbtöne sorgen. Und am frühen Morgen, wenn keine Neugierigen die Produktion stören konnten. Das Wasser, sagt Milena Schilling, hatte zeitweise kaum zehn Grad.
45 Menschen haben mitgemacht, Personen „aller Körperformen und Hintergründe“, so Schilling, im Alter zwischen 18 und 73 Jahren und alle bereit, etwas noch nie Versuchtes zu wagen. Diese Unmittelbarkeit springt sofort auf die Betrachtenden über und führt auch sie zurück an ihre Ursprünge. „Origio“, das lateinische Wort für Herkunft oder auch Entstehung ist passend gewählt.

Milena Schillings Bilder laden uns ein, uns mit uns selbst, mit den Elementen um uns herum und mit der Welt zu beschäftigen, ohne dafür eine Richtung vorzugeben. Auch das hebt diese Fotos über vieles, was täglich auf uns einflutet, hinaus. Dieser Sprung ins kalte Wasser hat sich wohl für alle Beteiligten gelohnt – und da tut er auch für die Besucherinnen und Besucher der Galerie im Stadtteil Niederburg, wo die Arbeiten noch bis 12. Juli zu sehen sind.