Zu viel nackte Haut, zu wenig Durchkommen auf den Wegen, mit Handtüchern belegte Sitzbänke: Der Wunsch mancher Bürger nach einem Badeverbot an der Seestraße wird auf suedkurier.de/debatten kontrovers diskutiert. Aber fast niemand weiß, dass und warum es bereits ein Badeverbot an dieser Stelle gab.
Nun befördert eine Recherche von Jürgen Klöckler, Leiter des Konstanzer Stadtarchivs, auf Nachfrage erstaunliche Erkenntnisse zutage. Auslöser des Badeverbots an der Seestraße und an weiteren Uferstellen war der Wunsch nach mehr nackter Haut. Der „Bund für freie Lebensgestaltung Bodensee e.V.“ wollte laut Klöckler in den 1950er-Jahren besonders in Dingelsdorf das Nacktbaden etablieren.
Die Befürworter der Freikörperkultur stützten sich auf die damals noch gültige Polizeiverordnung des NS-Regimes zur Regelung des Badewesens vom 10. Juli 1942. In Paragraf 3 steht: „Einzelne Personen oder Personengruppen gleichen oder verschiedenen Geschlechts dürfen auch öffentlich nackt baden.“
Doch wenig verwunderlich: „Der Wunsch nach Nacktbademöglichkeiten führte zu heftigen Reaktionen auch in der Konstanzer Verwaltung unter dem damaligen Oberbürgermeister Franz Knapp (CDU), der ein Badeverbot außerhalb der offiziellen Badeplätze durchsetzen wollte“, erläutert Klöckler.
Um die Umsetzung musste sich Knapps Nachfolger Bruno Helmle (ebenfalls CDU) kümmern. Mit Zustimmung des Bürgerausschusses und des Gemeinderats ließ Helmle in zwei Polizeiverordnungen das „wilde“ Baden und das „wilde“ Zelten verbieten.

Weil Regeln aber nur dann gelten, wenn sie öffentlich verkündet werden, stand die „Polizeiverordnung der Großen Kreisstadt Konstanz über das Baden in Bodensee und Rhein“ vom 26. April 1962 wenige Tage später als amtliche Bekanntmachung im SÜDKURIER.
Laut Paragraf 1 dieser Polizeiverordnung sind öffentliche Badeplätze Freibäder und Badeanstalten. Laut Paragraf 2 wird das Baden außerhalb dieser definierten Bereiche verboten, also „von öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen und Parkanlagen aus; an den Landestellen von Schiffen, Fähren und Motorbooten, die der gewerblichen Personenbeförderung dienen; an Gondel- und Jachthäfen; innerhalb des Schutzbereichs der städt. Wasserwerke“.
Auch das Nacktbaden wird verboten
In Paragraf 3 wird die Kleiderordnung festgelegt. So heißt es: „Außerhalb der öffentlichen Badeplätze ist der Aufenthalt in Badekleidung auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen und Parkanlagen verboten. Nacktbaden ist auch von privaten Grundstücken aus verboten.“
Um die Notdurft geht es in Paragraf 4 der Polizeiverordnung von 1962: „Öffentliche Badeplätze müssen mit ausreichenden Anlagen zur Beseitigung der menschlichen Abgangsstoffe und des Abfalls und mit den notwendigen Rettungseinrichtungen ausgerüstet sein.“
Zur Kennzeichnung des Badeverbots an der Seestraße wurden Schilder aufgestellt. Doch damit war das Thema mitnichten aus der Welt geschafft. „In den folgenden Jahrzehnten kam es immer wieder zu Konflikten mit Anwohnern“, sagt Stadtarchivar Jürgen Klöckler. Unter anderem schrieb der Konstanzer Anzeiger am 17. August 1983 über „Nacktbader, die sich auf Kosten der Senioren ausleben“.
Die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Horst Eickmeyer (Freie Wähler) wollte das Problem nicht mit einem weiteren Verbot lösen, sondern mit der Schaffung einer Alternative. So wurde 1984 im Hörnle der noch heute bestehende FKK-Bereich eingeführt.

Gilt die Regelung von 1962 bis heute?
Seit einiger Zeit suchen sich die Konstanzerinnen und Konstanzer gern Badestellen jenseits der öffentlichen Strand- und Freibäder. Schänzle, Herosé und Seeuferweg mit Schmugglerbucht sind neben der Seestraße weitere Beispiele. Aber ist das überhaupt erlaubt oder nur von der Stadt geduldet? Gilt die Polizeiverordnung von 1962 vielleicht sogar heute noch?
Laut Polizeigesetz Baden-Württemberg treten Polizeiverordnungen spätestens 20 Jahre nach ihrem Inkrafttreten wieder außer Kraft. Da Jürgen Klöckler keine Dokumente über ein früheres Aufheben des Badeverbots fand, geht er davon aus, dass das Baden an der Seestraße und anderen öffentlichen Wegen seit Ende April 1982 wieder erlaubt ist.
Und das ist auch gut so, findet der aktuelle Oberbürgermeister Uli Burchardt. Er sagt: „In Konstanz sind 18 Kilometer Uferlinie öffentlich zugänglich und liegen zu einem guten Teil mitten in der Stadt. Das Wasser ist also Teil unserer Stadt, genauso wie der Aufenthalt am, im und auf dem Wasser dazugehört. Was für ein Glück! Und was für eine große Qualität unserer Stadt, dass jede und jeder sich dort aufhalten kann. Das sollten wir wertschätzen und uns erhalten!“

Für die Stadtverwaltung zählt neben dem Lebensgefühl auch die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Laut der städtischen Pressesprecherin Anja Fuchs berichtete die Wasserschutzpolizei, „dass es keine Schiffs- oder Badeunfälle gegeben habe, die ein Badeverbot rechtfertigen würden“.
Die Stadt Friedrichshafen handhabt das nach wie vor anders. „In unserer aktuellen Polizeiverordnung aus dem Jahr 2005 steht das Badeverbot an der Uferstraße drin“, sagt Pressesprecherin Monika Blank. An anderen Uferbereichen sei das Schwimmen aber erlaubt.