Würde man die Konstanzer heute fragen, wo sich denn zwischen 1933 und 1945 die NSDAP-Kreisleitung befand, wüssten das sicherlich nur sehr wenige – und diese würden mit hoher Wahrscheinlichkeit das repräsentative Anwesen Seestraße 3a angeben.

Dort hat sich in der Tat unmittelbar nach der Machtergreifung das „Braune Haus“ befunden, aber nur relativ kurz. Denn die NSDAP-Kreisleitung mit dem einflussreichen Kreisleiter an der Spitze war an insgesamt vier Stellen im Stadtgebiet untergebracht.

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Bahnhofstraße 9: Der erste Sitz des „Feldmarschalls vom Bodensee“

Die NSDAP hatte in den 1920er-Jahren als rechtsextremistische Splitterpartei im katholischen Konstanz einen schweren Stand. Ein allmählicher Aufschwung trat erst nach 1930 ein, als ein erster Kreisleiter von Gauleiter Robert Wagner an den Bodensee entsandt wurde.

Der gewaltbereit-cholerische Eugen Speer, der an seinem neuen Wohnort in Güttingen bei Radolfzell als einer der ersten an seinem Anwesen die Hakenkreuzfahne aufzog. Auf seine Veranlassung wurden Büros in der Bahnhofstraße 9 angemietet.

Kreisleiter Eugen Speer (Mitte) mit Bürgermeister Leopold Mager im Rathaus-Innenhof anlässlich der Enthüllung des NS-Ehrenmals am 27. ...
Kreisleiter Eugen Speer (Mitte) mit Bürgermeister Leopold Mager im Rathaus-Innenhof anlässlich der Enthüllung des NS-Ehrenmals am 27. Mai 1934. | Bild: Kreisarchiv Konstanz/KreisA KN Z09/01 Nr. 066

Hier befand sich der erste, gleichwohl rudimentäre Sitz der Konstanzer NSDAP-Kreisleitung zusammen mit der Redaktion der neuen NS-Tageszeitung „Bodensee-Rundschau“ – freilich nur bis Frühjahr 1933. Der „Feldmarschall vom Bodensee“, so Speers Spitzname, war ein Mann der Tat und nicht der Bürokratie. Der nach 1933 sichtlich machtberauschte Kreisleiter, im „Auftreten ein Fürst“, konnte nur auf einen personell schlecht ausgestatteten und unterfinanzierten Kreisleitungsapparat zurückgreifen.

Die Partei war notorisch klamm, nicht nur in Konstanz. Das hat sich auch nach der Machtergreifung nicht wesentlich geändert. Doch Speer, der sich weiter wie viele „alte Kämpfer“ privat verschuldete und sich einen großen Mercedes anschaffte, machte auch für die NSDAP eine Statuserhöhung geltend. So zog die Kreisleitung im Frühjahr 1933 in die Seestraße Nr. 4 (heute 3a) in prominente Lage um. Die Straße wurde gleichzeitig in Adolf-Hitler-Straße umbenannt, später gar in Adolf-Hitler-Ufer.

Das Konstanzer Stadtarchiv und unser Autor

Der Konstanzer Stadtarchivar Jürgen Klöckler.
Der Konstanzer Stadtarchivar Jürgen Klöckler. | Bild: Ulrich Fricker

Seestraße 4 (heute 3a): Nur eine Zwischenstation

Hier befand sich nun die NS-Zentrale für den Bezirk beziehungsweise – seit 1937 – für den Landkreis Konstanz. Neben der im ersten Stock untergebrachten Kreisleitung hatte sich auch die Deutsche Arbeitsfront, der NS-Einheitsverband von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, in dem Anwesen eingemietet. Der Baukörper war äußerst repräsentativ und sollte die neue Stellung der Partei in der Stadt demonstrieren.

Das Gebäude der NSDAP-Kreisleitung in der Adolf-Hitler-Str. 4 (heute Seestr. 3a), um 1934/35. Jeder Konstanzer ist dort wohl schon ...
Das Gebäude der NSDAP-Kreisleitung in der Adolf-Hitler-Str. 4 (heute Seestr. 3a), um 1934/35. Jeder Konstanzer ist dort wohl schon vorbeispaziert. | Bild: Stadtarchiv Konstanz/StadtA KN Z I fi.763.2

Doch das „Braune Haus“ sollte nur für kurze Zeit hier untergebracht sein, die Räumlichkeiten waren zu beengt, es herrschte Chaos in der Kreisleitung. Eine vom Gauleiter veranlasste Untersuchung ergab im September 1934 folgendes Bild: „Die Anzahl der aufgefundenen und unerledigten Schriftstücke beträgt ca. 2000, wobei noch mehrere derselben mit Briefmarken für Retourporto versehen waren“.

Webersteig 3: Nicht repräsentativ genug für das „Urbild einer Nazi-Bestie“

Nach der Absetzung Speers zog die Kreisleitung wohl 1935 aufgrund der beengten Räumlichkeiten in das Gebäude der Handwerkskammer an den Webersteig 3. Dort im Erdgeschoss war zwar mehr Platz vorhanden, doch in der Bevölkerung wurde das Gebäude in erster Linie als Handwerkskammer und nicht als Sitz der NSDAP wahrgenommen.

Eugen Speer war mittlerweile wegen Unfähigkeit aus der Partei ausgeschlossen worden, er war zudem unfreiwillig vom Amt des Radolfzeller Bürgermeisters zurückgetreten und sollte sich schließlich im Oktober 1936 das Leben nehmen.

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Auch seine Kreisleiter-Nachfolger Philipp Dinkel, Carl Engelhardt und Wilhelm Sandritter konnten an der räumlichen Situation der Kreisleitung nichts ändern. Aber unter Engelhardt bildete die Kreisleitung nach und nach bürokratische Strukturen heraus, sie professionalisierte sich und wurde zur Machtzentrale.

Erst mit Emil Rakow, dem fünften Kreisleiter innerhalb weniger Jahre, sollte Bewegung in die Frage der Unterbringung kommen. Der neue Kreisleiter amtierte ab dem 15. November 1938. Nach 1945 wurde er von der französischen Geheimpolizei als „Urbild einer Nazi-Bestie“ bezeichnet. Rakow forderte von der Stadt, vertreten durch Oberbürgermeister Albert Herrmann und Bürgermeister Leopold Mager (beide NSDAP), vehement den Neubau einer repräsentativen und prächtig ausgestatteten Kreisleitung.

Ansprache von Kreisleiter Emil Rakow anlässlich des Bezugs der neuen NSDAP-Kreisleitung am 29. April 1939. Die französische ...
Ansprache von Kreisleiter Emil Rakow anlässlich des Bezugs der neuen NSDAP-Kreisleitung am 29. April 1939. Die französische Geheimpolizei bezeichnete ihn später als „Urbild einer Nazi-Bestie“. | Bild: Kreisarchiv Konstanz/KreisA KN Z09/01 Nr. 400

Angesichts der Finanzlage verhielt sich die Stadtverwaltung jedoch sehr zurückhaltend. Ein Neubau kam vorerst nicht infrage, weshalb fieberhaft nach einer anderen Lösung gesucht wurde. Mit dem Tod des Unternehmers Hugo Bantlin, Gründer der am Seerhein gelegenen Holzverkohlungsindustrie AG (der HIAG, in späteren Jahren aufgegangen in der Degussa beziehungsweise Great Lakes; heute: Wohnbebauung am Seerhein), war ein taugliches Objekt gefunden.

Seestraße 25: Auf „Gewaltmensch Rakow“ folgt ein Parteisoldat

Die Bantlin-Villa wurde für die NSDAP-Kreisleitung angemietet, die Miete zu 40 Prozent von der Stadtverwaltung bezahlt, sozusagen als befristete Entschädigung für den Nicht-Bau einer neuen Kreisleitung. Infolge des Zweiten Weltkriegs wurden dann aber nicht einmal mehr Planungen für einen Neubau in Angriff genommen.

Frei nach den Worten Hitlers, dass die Partei dem Staat befehle, finanzierte OB Herrmann auch große Teile der Inneneinrichtung. Das neue Dienstzimmer des Kreisleiters wurde in Nussbaum antik im Wert von 1700 Reichsmark möbliert und von der Stadtkasse bezahlt. Anlässlich der Einweihung der neuen NSDAP-Kreisleitung führte Rakow am 29. April 1939 aus, dass sich die NSDAP „aus falscher Bescheidenheit […] bisweilen geschämt habe, das zu nehmen, was ihr zustand.“

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Die Kreisleitung erfüllte vorerst durch ihre „harmonische Mittellinie zwischen Geschäftsstelle, Heim und Repräsentationsgebäude“ die Wünsche des Kreisleiters – so konnte man es am 2. Mai 1939 in der Deutschen Bodensee-Zeitung nachlesen. Doch der Gewaltmensch Rakow konnte sich nicht halten. Nach einer von ihm inszenierten öffentlichen Anprangerung von vier Konstanzern auf der Marktstätte, die sich angeblich geweigert hatten, kurzfristig Evakuierte aus dem Rheintal im September 1939 bei sich aufzunehmen, musste Rakow die Stadt verlassen. Er wurde als Kreisleiter ins nordbadische Mosbach (straf-)versetzt.

Der Anprangerung war eine nächtliche Aktion vorangegangen, bei der Rakow einem 73-jährigen Marine-Intendanturrat a. D. seine Dienstpistole auf die Brust gesetzt, ihn angespuckt und ihn zusammen mit seiner Ehefrau als „Schweinebande“ und „vollgefressene Schweine“ diffamiert hatte. Die Eheleute erlitten einen Nervenzusammenbruch. Im Abschlussbericht der Gestapo vom Oktober 1939 wurde geurteilt: „Das Verhalten des Kreisleiters […] spottet jeder Gerechtigkeit und Menschlichkeit.“

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Auf Rakow folgte im Januar 1940 der alte Parteisoldat Emil Woll, vormaliger Kreisschulrat im Landkreis Waldshut. Als regional bekannter NSDAP-Kreisredner, Ortsgruppenleiter, Bezirkspropagandaleiter und Kreisschulungsleiter verfügte er über reiche Parteierfahrung.

Emil Woll verrichtete bis zum Einmarsch französischer Truppen am 26. April 1945 seinen Dienst in der Bantlin-Villa. Er ließ sämtliche Akten der Kreisleitung unmittelbar vor dem Einmarsch vernichten, weshalb es heute schwierig ist, Struktur, Funktions- und Handlungsweise der Konstanzer Kreisleitung im Detail zu rekonstruieren. Das kann nur indirekt durch Ersatzüberlieferungen geschehen.

Anmerkung der Redaktion

Dieser Inhalt erschien erstmals im Juni 2021 auf SÜDKURIER Online.