Am Freitag, 25. September, verlegt die Initiative 14 weitere Stolpersteine zu den bereits in Konstanz und Kreuzlingen bestehenden 235 Mahn- und Erinnerungszeichen. Gemeinsam mit Angehörigen und Interessierten wollen die Akteure an die Opfer und deren Schicksale erinnern und gleichsam zu Toleranz und Zivilcourage aufrufen.
Der Kölner Künstler und Erschaffer dieser Gedenkquader, Gunter Demnig, reist an jenem Tag nach Konstanz und setzt die Steine in den Asphalt. An jeder Verlegestelle, dem letzten selbstgewählten Wohnort des NS-Opfers, werden Angehörige oder Paten jenen Menschen mit einer Ansprache gedenken.
Euthanasie. Dieses aus dem Altgriechischen stammende Wort, was so viel bedeutet wie „guter Tod“, missbrauchten die Nationalsozialisten. Mit diesem trügerischen Begriff beschönigten sie ihre Gräueltaten, nämlich jene zu töten, die nicht in ihr Weltbild passten.
Geboren in Konstanz, ermordet in der Tötungsanstalt Grafeneck
Roland Didra, Rechercheur bei den Stolpersteinen, hat die Schicksale von Konstanzern nachgezeichnet, die im Zuge der T4-Aktion, wie die systematische Ermordung von Menschen mit geistigen, körperlichen oder seelischen Behinderungen später bezeichnet wurde, ums Leben kamen.
Mathilde Althoff zum Beispiel. Sie wurde am 3. November 1914 geboren. Sie litt von klein auf an der sogenannten englischen Krankheit, war gehbehindert und hatte epileptische Anfälle, wie Roland Didra schreibt. Nach einem Aufenthalt im Konstanzer Krankenhaus wurde das Kind im Alter von sechs Jahren, am 21. Januar 1921, in die evangelische „Erziehungs- und Pflegeanstalt für Geistesschwache“ in Mosbach dauerhaft aufgenommen.
Am 17. September 1940 wurde Mathilde Althoff mit den anderen Patienten in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht und dort am selben Tag durch Vergasung ermordet und eingeäschert, schildert Didra weiter. Für Mathilde Althoff wird am Freitag, 25. September, um 9.20 Uhr ein Stolperstein vor ihrem damaligen Elternhaus in der Hüetlinstraße 31 verlegt.
Der Stolperstein, der um 13.30 Uhr vor der Friedrichstraße 30 in den Boden eingebracht wird, ist Frieda Hofgärtner gewidmet, deren Lebensgeschichte Hans-Werner Scheuing und Roland Didra gemeinsam recherchiert haben. Frieda und ihr Bruder Paul Hofgärtner wurden am 19. Juni 1908 in Haslach im Kinzigtal geboren. Die Eltern zogen mit ihnen im Jahr 1910 nach Konstanz, wo drei weitere Kinder zur Welt kamen.
Als sechs Jahre später der zweijährige Sohn Erich an Diphtherie verstarb, trat das Wohlfahrtsamt auf den Plan. Es wurde festgestellt, dass Frieda, die versuchsweise in die Volksschule aufgenommen wurde, dem Unterricht nicht folgen konnte. Laut Bezirksarzt, so schildern Scheuing und Didra, war sie „an der Grenze der Bildungsfähigkeit, stark schwachsinnig“.
Vermutlich war der Entwicklungsrückstand auf eine Masernerkrankung des Kinds im Alter von sechs Monaten zurückzuführen. Wie die Autoren anmerken, sprach Frieda Hofgärtner undeutlich und wurde ungeduldig, wenn sie nicht verstanden wurde, was letztlich als eigensinnig und abweisend gewertet wurde. Eine geeignete Schule für sie gab es in Konstanz wohl nicht.
Meldebogen wird zum Todesurteil für Frieda Hofgärtner
Die Eltern seien deshalb bereit gewesen, das Kind einer Anstalt zu übergeben, so die Rechercheure. Frieda Hofgärtner wurde am 26. Juni 1917 in die evangelische Erziehungs- und Pflegeanstalt in Mosbach aufgenommen. Im Jahr 1939 schickte das Reichsinnenministerium an die Anstalt Mosbach Meldebogen, vermerken Hans-Werner Scheuing und Roland Didra.
Auch Frieda Hofgärtner wurde somit erfasst. Sie war auf der Liste für den zweiten Transport in die Vernichtungsanstalt Grafeneck am 17. September 1940, wurde aber nicht mitgenommen. „Wahrscheinlich hatte sich der Anstaltsleiter für sie eingesetzt, weil sie zu den arbeitsfähigen Bewohnerinnen gehörte“, mutmaßen die Autoren.
Nicht nur die Patienten wähnten Arges, wenn Mitpatienten nach vermeintlichen Busausflügen nicht mehr zurückkamen. Am 20. September 1940 wurde Frieda Hofgärtner mit weiteren 52 Heimbewohnern nach Grafeneck auf der Schwäbischen Alb verbracht und noch am gleichen Tag ermordet.
Was Hans-Werner Scheuing und Roland Didra im Rahmen ihrer Recherche noch herausfanden: „Nachdem eine Urne mit der vermeintlichen Asche von Frieda Hofgärtner jahrzehntelang unbeachtet zusammen mit 192 Urnen im Keller des Konstanzer Krematoriums stand, wurde diese Urne 1983 an einem Mahnmal auf dem Konstanzer Hauptfriedhof bestattet. Dort findet man auf einem Stein die Initialen H.F.. das Geburtsjahr 1908 und das Todesjahr 1940.“