Pro: Der Bodensee den Bürgern

Der See gehört allen. Und das ist auch gut so. Schließlich kann Konstanz – und nicht zuletzt jeder seiner Bürger – nur froh sein, dass dieser Grundsatz in der Stadt auf historisch festen Füßen steht. Denn eine so lange, öffentlich zugängliche Uferlinie ist selbst am Bodensee einzigartig. Man vergleiche das mit Gemeinden wie Allensbach oder Überlingen-Nußdorf, wo manche der Seegrundstücke teilweise schon seit langer Zeit im Besitz (reicher) Teile der Bevölkerung sind.
Knapp ein Kilometer des Uferbereichs erstreckt sich in Konstanz zwischen Alter Rheinbrücke und Yachthafen. Weshalb hier Menschen ihre Freiheit im öffentlichen Raum – selbstredend innerhalb der verpflichtend gesetzlichen Rahmenbedingungen – nicht gleichermaßen ausleben sollen dürfen, wie etwa am Schänzle, an der Uferpromenade zwischen Herosé-Park und Bodenseeforum oder am Winterer-/Webersteig, entbehrt jeder Logik. Auch wenn das einigen Anwohnern vielleicht missfallen mag.
Natürlich lässt sich sagen, gerade weil es so viele frei zugängliche Uferflächen gibt, seien doch genügend andere Angebote da. Klar ist aber auch: Manche davon sind kostenpflichtig und wer im Sommer am Hörnle oder am Schänzle weilt, der weiß auch, dass hier nicht nur selten alles aus den Nähten zu platzen droht. Wohin nur mit dem Badetuch, würden manche Stellen gestrichen?
Wie viele Menschen möchten nicht – beispielsweise nach getaner Arbeit – eine entspannte Stunde am Wasser zubringen, um herunterzufahren. Sei es nun mit Familie, Freunden oder auch allein? Vielleicht möchte nicht jeder den Weg zum Hörnle auf sich nehmen, sondern den Sprung ins kühle Nass mit dem Nachhauseweg verbinden. Der kurze Moment der Entspannung sei ihnen vergönnt, ist diese Freiheit doch für jeden Konstanzer einer der Gründe, hier in unserer schönen Stadt zu leben.
Dass dies alles bitteschön mit gegenseitiger Rücksichtnahme verbunden sein sollte, scheint offensichtlich. Dazu gehört auch, eine Bank für die Seniorin mit Rollator freizuräumen, seine Wassersportgeräte nicht einfach überall im Weg herumliegen zu lassen und sich eben allgemein so zu verhalten, dass auch andere hier Ruhe finden können. Das Recht, sich so anzuziehen, wie man möchte, solang es sich im gesetzlichen Rahmen für den öffentlichen Raum bewegt, steht aber eben jedem frei.
Zu guter Letzt: Fragt der, der beispielsweise ein etwaiges Badeverbot fordert, die weiteren Einwohner im Dreieck zwischen Mainaustraße, Seestraße und Hockgraben, ob sie ein selbiges unterstützen würden? Denn klar wäre auch: Das gälte dann für jeden – also auch für die Nachbarschaft, die aus obenstehenden Gründen wohl selbst oft hier verkehrt. Ob die das so toll finden würde, bleibt anzuzweifeln. Schließlich gehört der See allen. Oder eben keinem.
Contra: Wo Toleranz enden darf

Ein Mann läuft über den Münsterplatz. Nur in Badehose und Flip-Flops. Er hält kurz inne, steigt dann die Treppen zum Portal empor und betritt die Kirche. Wie fände man das? Die meisten würden wohl sagen: unpassend. Oder vielleicht auch ein noch deutlicheres Wort dafür finden. An der Seestraße steht zwar kein hunderte Jahre altes Gotteshaus, aber die Szenen dort sind nicht so unähnlich. Und auch das muss man nicht zwingend gut finden.
Die Tatsache, dass es sich auf dem Münsterplatz wie auch an der Seestraße um öffentlichen Stadtraum handelt, begründet keinen Anspruch, diesen allein nach eigenem Gutdünken zu nutzen. Auch die Tatsache, dass es einem selbst nicht unangenehm ist, sich minimal bekleidet durch die Stadt zu bewegen, bedeutet nicht, dass dies vielleicht anderen unangenehm ist. Die „Für mich ist das kein Problem“-Haltung ist ein Teil genau jener Tendenzen, die die Gemeinschaft auseinanderfallen lassen. Da kommt der Ego-Trip nur in einem eleganteren Gewand daher, der vermeintlichen Liberalität.
Insofern ist die Seestraße ein gutes Beispiel dafür, dass auch unausgesprochene Regeln gelten, bei denen es mehr auf das Wie ankommt als auf das Ob. Niemand wird sich daran stören, dass jemand eine Runde schwimmen geht, sich abtrocknet und wieder anzieht. Wenn aber ein Teil des Stadtraums, der der Erholung aller dient, kaum mehr von einem Strandbad mit den dortigen Vorstellungen von Bekleidung und Verhaltensweisen zu unterscheiden ist – dann definieren einige wenige die Regeln in ihrem Sinne um: Man kann dem Lagern auf den Grünflächen und dem Flanieren im superknappen Bikini mit Toleranz und Amüsement begegnen, aber niemand darf diese Haltung bei von allen voraussetzen.
Zumal es in Konstanz wahrlich genügend Möglichkeiten gibt, sich so freizügig und raumgreifend auszubreiten, wie es dem eigenen Geschmack entspricht. Der kurze Abschnitt der Seestraße zwischen Alter Rheinbrücke und Yachthafen darf da eine Ausnahme machen. Nicht, weil dort wohlhabende Menschen wohnen oder urlauben, sondern weil es ein Akt der Rücksichtnahme generell ist.
Ist das spießig, verklemmt und intolerant? Nein, das ist es nicht. Das Zusammenleben in einer Stadt auch über Grenzen zu regeln, hat nicht mit Spießigkeit zu tun. Und ist es wirklich verklemmt, Nacktheit als Privatsache zu betrachten und selbst entscheiden zu wollen, ob man Orte aufsucht, in denen Bikinis und Badehosen üblich sind?
Ein Strandbad kann man meiden; um die schönste Spaziermeile der Stadt aber einen Umweg machen zu müssen, hat etwas Ausschließendes. Und gar nicht tolerant es, die Grenzen des eigenen Schamgefühls („mir macht es nichts aus, hier im Tanga rumzulaufen“) anderen aufzuzwängen. Oder sich darüber erst gar keine Gedanken zu machen.