„Wir werden schauen, dass die Kaffeemaschine warm ist“, schreibt Thomas Huber. Einige Tage später stehen wir vor dem Gatter des seit Jahrzehnten abgeschotteten Schlosses Gottlieben. Der neue Schlossbesitzer schreitet ­heran. Er trägt einen Wollpullover, begrüßt Journalist und Fotograf freundlich und begleitet uns durch den ­weitläufigen Park hin zu den alten Gemäuern.

Ein halbes Jahrhundert lang war ein Besuch von Schloss Gottlieben ein Ding der Unmöglichkeit. Nur vom Seerhein her oder zwischen Bäumen hindurch konnte man einen Blick auf die sagenumwobenste Immobilie im Thurgau erhaschen. Plötzlich stehen wir nun hier im Schlosshof, beeindruckt von der Ausstrahlung der beiden geschichtsträchtigen Türme und der mächtigen, wenn auch heruntergekommenen Fassade.

So ist der Blick auf das Schloss Gottlieben von der Schweizer Seite des Seerheins aus.
So ist der Blick auf das Schloss Gottlieben von der Schweizer Seite des Seerheins aus. | Bild: Michel Canonica

Und wir sind verblüfft von der Freundlichkeit und Bodenständigkeit des Besitzerpaares: Tatjana Gazdik und Thomas Huber, die Opernsängerin und der CEO eines Unternehmens aus der Gemeinde Allschwil. Sie wohnen seit 30 Jahren im Baselland, ihr Dialekt verrät jedoch die Zürcher Wurzeln. Vor etwa einem Jahr ist ihre älteste Tochter, Leonie, die Architektin ist, ins Schloss Gottlieben eingezogen. Gekauft hatten sie es per 1. Januar 2024. Der Kaufpreis bleibt geheim.

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Bei der Familie Huber-Gazdik wird Gastfreundschaft großgeschrieben. Nicht selbstverständlich, sie nennt immerhin den womöglich spektakulärsten Wohnsitz im Kanton Thurgau ihr Eigen. Zweimal im Monat wollten sie ursprünglich am Wochenende hier verweilen, nun sind sie doch fast jedes Wochenende zugegen und werden bald auch ihren Wohnsitz hierher verlegen.

Besitzerin schwärmt von der Lage des Schlosses

Wir laufen durch den Schlosspark, machen Fotos, genießen die atemberaubende Szenerie – eine Mischung zwischen märchenhaft und verwunschen. Es ist hier wirklich so schön und mystisch, wie man es sich immer vorgestellt hat.

Tatjana Gazdik und Thomas Huber klettern über eine Leiter auf ein Türmchen am Ufer. „Bei Niedrigwasser gibt es hier sogar einen kleinen Strand“, schwärmt die Schlossherrin und lässt den Blick in die Ferne schweifen.

Das Schloss Gottlieben vom Seerhein aus: Diesen Anblick genießen Menschen, die hier auf dem Wasser vorbeischippern oder -paddeln.
Das Schloss Gottlieben vom Seerhein aus: Diesen Anblick genießen Menschen, die hier auf dem Wasser vorbeischippern oder -paddeln. | Bild: Sondermann, Julia

Über die Geschichte des Schlosses, die bis ins Jahr 1250 zurückreicht, weiß der neue Besitzer, Thomas Huber, gut Bescheid. Den offenbar noch immer vorhandenen Kerker im Westturm, wo zu Zeiten des Konstanzer Konzils der tschechische Reformator Jan Hus gepeinigt wurde, dürfen wir aber nicht besichtigen.

Zu gefährlich sei der Aufstieg, zu baufällig die alten Treppen und Mauern. Es sei dort aber auch nicht so spannend und gruselig, wie man meint, vertröstet Huber. „Wir haben inzwischen ein Nutzungskonzept erstellt, wo Wohnraum entstehen soll, welche Teile wir für Anlässe öffentlich zugänglich machen wollen und wie wir die Substanz und die 800 Jahre alten Eichenbalken im Keller erhalten.“

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Napoleon III. ließ das Schloss einst umbauen

Das bauliche Erbe von Louis Napoleon, der vor knapp 200 Jahren Schloss Gottlieben zum venezianisch angehauchten Palazzo umbauen ließ, prägt das Anwesen unverkennbar. „Er hat allerdings gar nicht so lange hier gelebt“, erzählt sein Nachfolger als Schlossherr.

Auf diesen Treppenstufen ging einst Napoleon III. auf und ab. Heute steht hier eine Figur, die die damalige Mode trägt.
Auf diesen Treppenstufen ging einst Napoleon III. auf und ab. Heute steht hier eine Figur, die die damalige Mode trägt. | Bild: Michel Canonica

Im Innern zeigen die Eigentümer als Erstes den Saal, in welchem sie für Freunde und Familie bereits kleinere Konzerte veranstaltet haben. Sie hätten dabei improvisieren müssen. An einer Stelle löst sich eine Tapete von der Wand.

Einblick in einen der Räume des Schlosses: Hier wurden bereits kleine Konzerte veranstaltet.
Einblick in einen der Räume des Schlosses: Hier wurden bereits kleine Konzerte veranstaltet. | Bild: Michel Canonica

Das ganze Schloss ist stark sanierungsbedürftig, das merkt man sofort. Die Küche ist ein kompletter Stilbruch. Sie stammt aus den 1960er-Jahren und ist definitiv nicht das, was man von einem herrschaftlichen Anwesen erwarten würde.

Überhaupt wohnen Hubers noch eher puritanisch. Von Vorbesitzerin Wesna Debeljevic, der Tochter der legendären Opernsängerin Lisa Della Casa, haben sie ein paar Möbelstücke übernommen, mehrheitlich sind die Räume aber leer. Thomas Huber scherzt: „Wir hoffen, wir finden noch die geheime Türe zur Schatzkammer.“

Die meisten Räume des Schlosses Gottlieben stehen leer. Doch auch so zeigt sich die Schönheit des Anwesens.
Die meisten Räume des Schlosses Gottlieben stehen leer. Doch auch so zeigt sich die Schönheit des Anwesens. | Bild: Michel Canonica

Das haben die Besitzer mit dem Anwesen vor

Als „die idealen Käufer“ wurde die Familie Huber-Gazdik betitelt. Zum einen, weil sie die Liebe zur Musik mit der Verkäuferin teilt. „Auf Schloss Gottlieben wird weiter gesungen“, lautete vor bald zwei Jahren die Überschrift der Pressemeldung zum Verkauf.

Hin und wieder wollen die neuen Besitzer hier Konzerte und kulturelle Veranstaltungen durchführen. „Der Schlosshof hat eine Bomben-Akustik“, sagt Tatjana Gazdik. „Eine Romeo-und-Julia-Aufführung zu inszenieren, wäre ein Traum.“

Der Innenhof von Schloss Gottlieben ist idyllisch. Hier würde die Besitzerin gerne eine Romeo-und-Julia-Aufführung inszenieren.
Der Innenhof von Schloss Gottlieben ist idyllisch. Hier würde die Besitzerin gerne eine Romeo-und-Julia-Aufführung inszenieren. | Bild: Michel Canonica

Aber nicht nur, dass sie das private Schloss partiell öffnen wollen, macht sie zum Glücksfall für Gottlieben, sondern auch, dass sie es schrittweise sanieren sowie den Archäologen und Denkmalpflegern vollen Zugang gewähren.

„Bis jetzt sind alle Diskussionen mit den Amtsstellen und Vereinen sehr konstruktiv verlaufen. Auch wenn es sehr lange dauert, bis Entscheide gefällt werden können, freuen wir uns auf die Herausforderungen“, sagt Thomas Huber.

Historisch wertvoll: Schrittweise soll die Sanierung erfolgen. Auch Archäologen und Denkmalpfleger möchte Besitzerfamilie vollen Zugang ...
Historisch wertvoll: Schrittweise soll die Sanierung erfolgen. Auch Archäologen und Denkmalpfleger möchte Besitzerfamilie vollen Zugang gewähren. | Bild: Michel Canonica

Doch wie kommt das Paar überhaupt zu Schloss Gottlieben? „Wir hatten außerordentliches Glück im Beruf“, erzählt Thomas Huber offen. „Und uns überlegt, was wir denn im Leben noch anstellen wollen.“ Die ganze Familie hatte schon immer ein Faible für Geschichte und alte Gemäuer. „Und so haben wir über Umwege und Zufall von Schloss Gottlieben erfahren.“

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Und wie lebt es sich im Schloss Gottlieben?

Für Tatjana Gazdik war Schloss Gottlieben im Zusammenhang mit Lisa Della Casa schon immer ein Begriff. „Uns geht es darum, das alte Gut zu erhalten und auch wieder zu neuem Leben zu erwecken. Dass so ein Gebäude ein Fass ohne Boden ist und man nie genau weiß, was einen noch erwartet, ist uns bewusst, und so waren wir uns mit den Verkäufern schnell einig und haben uns entschieden, im Leben noch einmal etwas Neues anzupacken.“

Aber wie ist denn nun das Leben in einem Schloss? „Die Terrasse ist der Hammer“, sagt Tatjana Gazdik. Der morgendliche Blick auf den Seerhein mit einer Tasse Tee in der Hand sei einfach unvergleichlich. „Wir fühlen uns sehr willkommen in Gottlieben. Der Thurgau ist ein Paradies.“ Zwei Drittel der Einwohner der Kleinstgemeinde seien zum musikalischen Begrüßungsapéro im Schlosshof erschienen.

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„Ich fühle mich wohl hier“, sagt Leonie Huber. „Obwohl man viel laufen muss, ist man doch mitten im Dorf.“ Als Architektin mit großem Interesse an historischen Bauten und Kostümen und einer Vorliebe für Gärten und Parks ist sie auf Schloss Gottlieben offensichtlich am richtigen Ort angekommen. Genau wie ihre Eltern.

Urs Brüschweiler ist Reporter unserer Partnerzeitung, der „Thurgauer Zeitung“.