Grimmelshofen Wie für Stühlingen liegt auch für dessen Stadtteil Grimmelshofen ein Fragebogen vom Ende des 19. Jahrhunderts vor. Unter dem Betreff „Badische Volkskunde“ mussten ihn alle Schulstellen im Großherzogtum Baden in den Jahren 1895/96 ausfüllen. Für Grimmelshofen tat dies am 30. April 1895 – also vor 130 Jahren – Hauptlehrer Karl Ludwig Martus, der zuvor in Engelschwand eingesetzt war und 1887 nach Grimmelshofen kam. Er war somit zur Zeit der Befragung schon länger vor Ort als sein Kollege Josef Ehren in Stühlingen und füllte die Antwortbogen zur Fragebogenerhebung der Freiburger Universitätsprofessoren Elard Hugo Meyer, Friedrich Kluge und Fridrich Pfaff sehr umfangreich aus.
Den ersten Punkt hakt Lehrer Martus rasch ab und hält fest, dass Grimmelshofen im Volksmund Grimmetsoffe genannt wurde und zum Bezirksamt Bonndorf gehörte. Es war kirchlicherseits Filiale der Pfarrkirche Fützen mit eigenem Gottesdienst; Kirchenpatron war der heilige Martin. Der Marktverkehr richtete sich nach Stühlingen.
Es folgen um die 90 Flurnamen, von denen hier einige derjenigen genannt werden, die einer eigenen Erklärung bedürfen. Das Butzenloch als kleines Seitental des Wutachtals heißt so, weil von dort die meisten Regenwolken (Butzen genannt) kommen. Auf den ehemaligen Besitz des Klosters St. Blasien verweisen die Herrenwiesen, früher den Herren Mönchen gehörig, und weniger charmant Pfaffenholz, Pfaffenholzhalde und Pfaffenäcker.
Das Gewann (Flurstück) Rutscher verdankt seinen Namen dem Umstand, dass dort das Gelände rutscht, und Saureute kommt von Sürutele, weil dort früher Wachholdersträucher (Süruten genannt) wuchsen. Die Wegnamen stimmten laut Martus fast überall mit den Flurnamen überein, zum Beispiel der Bandstieg als aufwärtsgehender Weg zum Gewann Band.
Weiter geht es mit Familiennamen, 33¦an der Zahl, von Braun bis Wullich. Die häufigsten waren Burger und Duttlinger; die beliebtesten Taufnamen Joseph, Martin, Karl, Emil, Wilhelm. Als Doppelnamen tauchten Hansjörg, Hansmarti, Ammarei, Mariann und Mariageth auf. Auf die Bewohner folgen deren Häuser. Diese standen auf beiden Wutachufern, welche durch eine Brücke verbunden sind, und verteilten sich auf sieben Straßen und Gassen.
Wie in den Nachbarorten waren Wohnhaus, Scheuer und Stall mit einer einzigen Ausnahme unter einem Dach. Die meist zweistöckigen Häuser standen längs der Straße und hatten Ziegel- oder Schindeldächer; vier Häuser Zinngiebel. Wohnzimmer und Küche lagen auf derselben Flurseite und waren oft durch ein Fensterchen zum Hereinreichen der Speisen verbunden. Das Dorf war geschlossen, nur drei Wohnhäuser (darunter der Reichenberger Hof) und die Bahnwärterhäuschen mit der Haltestelle lagen vom Dorf getrennt.
Die früher gebräuchlichen Hausmarken und Hofwappen waren zur Zeit der Umfrage nur noch an den vier Häusern mit Zinngiebeln und einem andern vorhanden: August Burger alt mit dem Adler (früher Adlerhof), August Burger jung mit dem Schwan (früher Schwanenhof), Hermann Burger mit dem Roßeisen (Roßeisenhof), Emil Duttlinger mit dem Löwen (Löwenhof) und Konstantin Hettich mit dem Schlüssel (Schlüsselhof). Außerdem erwähnt Martus die Dorflinde und stellt fest, dass Trachten nicht mehr vorhanden waren – „nur die Frauen tragen Kappen mit verzierten Schildern und langen Bändern.“ Mit Ausnahme der Schweizerorte herrschten (wohl zu den anderen Nachbarorten) keine Trachtenunterschiede.
Was die Nahrung betrifft, wurden damals häufig genossen: Nudeln, Knöpfle mit Salat, Salat mit Sauerkraut (Suurkruut) und Speck sowie geprägelte (gebratene) Kartoffeln mit Milch oder Kaffee. Hinzu kamen an Fastnacht, Altfastnachtsonntag, bei der Sichelhenke, an Festtagen und bei Besuch: Küchlein in Schmalz oder Öl gebacken, je nach ihrer Form „Sperrnägel“, „Hagesäckeli“ oder „Ziegelscherben“ genannt; ferner Schupfnudeln und zerstoßener Pfannkuchen, „Pfannekratzete“ genannt. Neben den drei Hauptmahlzeiten gab es zwei Nebenmahlzeiten (z‘ Nüni und z ‚Obed) und Speck und Fleisch gewöhnlich nur an Sonn- und Feiertagen.
Einen interessanten Einblick in die Bestreitung des Lebensunterhalts gewährt das Kapitel Gewerbe. Die meisten Bewohner betrieben Landwirtschaft mit Viehzucht, aber es gab auch: Maurer, Steinhauer, Zimmerleute, Schmiede, Schreiner, Küfer, Gabelmacher, Siebmacher, Schuhmacher, Schneider, Müller und Bäcker, dazu eine Säge, zwei Mahlmühlen und eine Gipsmühle.
Von der Arbeit geht es zur Zerstreuung mithilfe von Volksliedern. Gesungen wurde fast nur in den Wirtshäusern, beim Tanz, bei Hochzeiten und anderen Anlässen, und zwar die überall verbreiteten Volkslieder wie beispielsweise: „Sah ein Knab ein Röslein steh‘n“, „Ritter Ewald und die Lina“, „An der Saale“, „Die Wacht am Rhein“, „Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten“, „Der Jäger in dem grünen Wald“, „O Straßburg“, „Rinaldinilied“ und andere. Besonders erwähnt Martus ein Abschiedslied, „das hier oft gesungen wird und aus Frankreich zu stammen scheint“: „Wie wird‘s mir so bang, da ich scheiden soll“ – er schrieb es komplett auf.
An Kinderreimen und Ringeltänzen waren in Grimmelshofen damals unter anderem bekannt: Der Schneider und die Maus, Hans geht ins Nachbarhaus und Die Tiroler sind lustig froh. Wiegenlieder waren das einstrophige Schlof, Kindle, schlof sowie das mehrstrophige Schlaf, Kindlein, schlaf. In Tiersprüchen ging es um den Maikäfer (Maie, Maieschühli, Maiekäfer), als Kinderspiele waren unter anderem verbreitet: Ringelspiele, Ballspiele, Fängeles (Fangen), Verstecken. Zahlreiche Abzählverse waren unter anderem im Umlauf: S‘ goht e Männli über‘s Brückli und Jakob ischt in Garte gange. Letzter Vers war auch als Gesellschaftsspiel im Wirtshaus beliebt. Er wurde von den Mitspielenden der Reihe nach silbenweise gesprochen; wer eine Silbe ausließ oder zwei Silben zusammen sprach, musste einen Strich annehmen.
Als Volksschauspiele wurden an Fastnacht manchmal von der Jugend Schauspiele aufgeführt, meist Räuber- und Ritterspiele, beziehungsweise -Geschichten. Sprichwörter waren Martus keine besonderen bekannt, dafür aber zahlreiche Schwänke und Schnurren – also Sprüche, welche an der Fasnacht oder auch sonst verwendet wurden, um in oft derber Art und Weise auf (vermeintliche) Unarten oder Missstände hinzuweisen. Gerne mussten hierbei neben den einzelnen Berufsgruppen auch die die umliegenden Orte herhalten, man zog mit sogenannten Ortsneckereien gegenseitig über sich her. Dabei waren die Grimmelshofer selbst nicht vor Häme sicher, aber nahmen selbst wiederum Blumegg, Epfenhofen, Fützen und Stühlingen auf den Arm.
Als einziges Märchen schreibt der Hauptlehrer Rumpelstilzchen auf – dafür aber in ganzer Länge. Unter Sagen führt er an, dass man an Gespenster glaube, und der Alpdruck (Albtraum) unter dem Namen „Schrättele“ bekannt sei, aber nur bei Menschen. Der Hexenglaube war noch verbreitet. Eine noch nicht lange verstorbene alte Frau war als solche gefürchtet. Man hütete sich, ihr und ihren Angehörigen zu leihen, weil man glaubte, sie habe über die Eigentümer des Geliehenen Gewalt und könne Böses zufügen.
Der Fragebogen erbittet weitere Auskünfte zu Sitten und Gebräuche und zur Sprache. Davon wird neben noch mehr Bemerkenswertem in der Fortsetzung zu lesen sein.