Herr Burger, zum Jahresende sind Sie seit etwas mehr als vier Jahren Bürgermeister von Stühlingen und haben somit die Hälfte Ihrer ersten Amtsperiode erreicht. Wie haben Sie diese Zeit empfunden?
Das Amt macht mir seit dem ersten Tag sehr viel Freude. Ich habe als Person aus der freien Wirtschaft Neuland betreten, wurde dennoch als Quereinsteiger ohne Verwaltungshintergrund überall sehr offen und freundlich aufgenommen und akzeptiert. In manchen Themenfeldern hat sich im Verlauf der ersten Jahre gezeigt, dass man mit diesem beruflichen Hintergrund Sachverhalte eher neutral, von außen her betrachtet und weniger durch die Verwaltungssicht.
Was ist in Ihren Augen in Ihrer Zeit als Bürgermeister gut gelungen?
Der Bau des Breitbandnetzes im Kernort und allen Ortsteilen, der im Frühjahr 2022 mit dem Ortsteil Bettmaringen seinen Abschluss findet, war sicherlich für die Attraktivität von Stühlingen als Wohn- und Arbeitsgemeinde von herausragender Bedeutung. Gerade in den letzten zwei Jahren während der Corona-Pandemie haben wir gemerkt, wie wichtig ein schnelles Internet ist. Homeschooling und Homeoffice wären für viele nur eingeschränkt möglich gewesen. Das Projekt hat aber auch dazu geführt, dass sich die Stadt Stühlingen nach Abzug der Fördermittel voraussichtlich mit circa acht Millionen Euro eigenen Finanzmitteln einbringen muss, davon der weitaus größte Teil durch die Aufnahme von Darlehen.
Mit der sanierten Ehrenbachhalle in Weizen und dem neuen Gemeinde- und Feuerwehrhaus in Wangen können wir unseren Vereinen und Rettungsorganisationen für den Sport-, Trainings und Probenbetrieb eine zeitgemäße Infrastruktur zur Verfügung stellen. Nach vielen Jahrzehnten ist es gemeinsam gelungen, das „Innere Zelgle“ in Stühlingen einer Bebauung zuzuführen. Dank einem privaten Investor geht die Bebauung auch im Jahr 2022 weiter. Im Ortsteil Bettmaringen wurden in einem ersten Abschnitt 15 neue Bauplätze geschaffen, die zum Teil bereits bebaut werden. Nach wie vor möchten wir, basierend auf einer vom Gemeinderat beschlossenen Prioritätenliste, kleinere Baugebiete in jedem Ortsteil entwickeln. Ganz oben auf der Agenda stehen dabei Lausheim und Grimmelshofen. Im Gewerbegebiet „Sulzfeld III“ haben sich in den letzten drei Jahren neben dem Fahrerhotel und Logistikzentrum der Spedition LOG die Firma DHL, die Firma Schanz und die Firma DEMAG angesiedelt. Das Projekt Recyclinganlage werden wir seitens der Stadt Stühlingen aufgrund baurechtlicher Schwierigkeiten nicht weiterverfolgen.

Weitere Projekte stehen in der Planung und sollen 2022/2023 realisiert werden. Interessenten für Flächen im Gewerbegebiet können sich mit geplanten Projekten gerne melden. Aktuell stehen noch circa 16.000 Quadratmeter zur Verfügung. Der Ausbau und die Erweiterung des Kindergartens in Schwaningen waren notwendig, um unseren Kindern für den Moment ausreichend Kindergartenplätze anbieten zu können. Aber nicht nur Bauprojekte haben die ersten vier Jahre bestimmt: Die Aktivierung der Wutachtalbahn mit einem Schülerzug sowie der Bau von Sicherungsanlagen ab den Bahnübergangen Hallauerstraße und Eichwiesenweg sowie der Bau eines neuen Bahnsteiges, die Installierung eines Jugendbeteiligungsrates mit Jugendvertretern, der Auf- und Ausbau der Familien- und der Jugendarbeit und Eröffnung eines Jugendtreffs am Schulzentrum in Stühlingen, die Ausstattung unserer Freiwilligen Feuerwehren mit moderner Fahrzeug- und Rettungstechnik.
Was ist aus Ihrer Sicht nicht gut gelungen?
Bei den Verkehrsthemen Umfahrung Grimmelshofen, Ampel-/Lichtsignalanlage Ein-/Ausfahrt L 169 in die B 314 und der Fußgängerquerung zu den Einkaufsmärkten sind wir noch nicht weitergekommen. Zum Bau des Breitbandnetzes wurden wir als Kommunen zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger quasi gezwungen, weil die großen Telekommunikationsunternehmen nur geringes oder gar kein Interesse gezeigt haben, den ländlichen Raum mit schnellem Internet zu versorgen. Der Bau war nur mit Einsatz von erheblichen finanziellen Eigenmitteln, vorwiegend Krediten, möglich. Diese Belastungen engen unseren Spielraum für wichtige Zukunftsprojekte in den nächsten Jahren eventuell ein. In den Bereichen Wirtschaftsförderung und Tourismus ist ebenfalls noch Luft nach oben.
Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat bezeichnen?
Aus meiner Sicht würde ich sie als sehr gut betrachten. Der Gemeinderat hat mich bisher durch alle Entscheidungen mitgetragen. Es herrscht ein konstruktives Miteinander. Kritik oder andere Standpunkte, die es immer geben wird und was auch sein muss, wird sachlich vorgetragen. Das führt auch dazu, seinen eigenen Weg, Meinung und Entscheidung nochmals zu überdenken, sich neu zu justieren.
Wie ist die Stadt Stühlingen durch die Corona-Krise gekommen?
Obwohl die Infektionszahlen 2020 und 2021 zeitweise hoch waren, wurden wir in der Verwaltung, dem Gemeinderat, den Kindergärten, Schulen, dem Bauhof, den Feuerwehrabteilungen und den Versorgungseinrichtungen von größeren Ausbrüchen oder schweren Krankheitsverläufen verschont. Dadurch war es uns möglich, die Struktur aufrecht zu erhalten und Projekte weiter zu bearbeiten. Mit der Nutzung von Homeoffice und Teilzeitarbeit ist es gelungen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen. Ein großes Lob und Dank an alle, die die sprunghaften Phasen und auch kurzfristigen Entscheidungen mitgetragen haben.

Sehr stark gefordert waren und sind wir bis heute im Bereich Haupt-, Ordnungsamt und Ortspolizeibehörde, die viele Regelungen erklären, umsetzen und kontrollieren mussten. Dies hat uns als kleine Verwaltung sehr oft an die Grenzen des Machbaren gebracht. Gerade die Kurzfristigkeit und fehlende Klarheit bei der Bekanntgabe von Corona-Verordnungen war nur mit großem Einsatz, auch außerhalb der regulären Arbeitszeit, zu leisten. Die gesamte Verwaltung ist hier ganz nahe zusammengestanden und hat sich ämterübergreifend unterstützt und eng zusammengearbeitet. Hervorzuheben ist aber auch, dass unsere Bürgerinnen und Bürger bis auf wenige Ausnahmen großes Verständnis und Disziplin hinsichtlich der Maßnahmen und der Entscheidungen gezeigt haben. Groß war auch die Dankbarkeit für die durchgeführten Impftermine und den Aufbau der Teststationen. Hier hat sich der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Stärke von Stühlingen einmal mehr gezeigt. Die Zusammenarbeit und der Austausch mit den angrenzenden Gemeinden und dem Landkreis war und ist die ganze Zeit über sehr gut gewesen. Wir sind eng zusammengerückt und haben uns gegenseitig geholfen. Darauf dürfen wir stolz sein. Wie lange die Menschen das alles noch mittragen, kann ich nicht einschätzen. Viele sind müde und ausgelaugt. Das gilt auch in Stühlingen besonders für die vielen Pflegekräfte- und Ärzte, die Erzieherinnen und Erzieher, die Lehrerinnen und Lehrer und ganz besonders für unsere Familien und die älteren Mitbürger, die harte und zehrende Monate hinter sich haben.
Was sind die drei oder vier wichtigsten Themen in den nächsten vier Jahren für Sie?
Ich möchte die Themen kurz benennen, die wir gemeinsam beschlossen oder diskutiert haben und umsetzen möchten: Die Sanierung- und Erweiterung des Rathauses in einem ersten Abschnitt in den Jahren 2022 bis 2025 und in einem weiteren Abschnitt die Sanierung des Städtles. Die Gestaltung einer zeitgemäßen und zukunftsfähigen Bildungs- und Erziehungslandschaft und damit Sicherung und Attraktivitätssteigerung unserer Einrichtungen.

Weiterhin werden uns die Themen Regenerative Energien (Photovoltaik, Wind), der Klimawandel und das Hochwasser- und Starkregenmanagement sehr stark beschäftigen. Im Wasser- und Abwasserbereich stehen weitere große Projekte auf der Agenda. Erste große Maßnahme ist die Kläranlage in Blumegg. Auch die noch nicht gelösten Verkehrsthemen werden im Blick bleiben. Ein wichtiges Anliegen bleiben die Jugend-, Familien-, und Seniorenarbeit. Gleiches gilt für unsere Vereine und Organisationen sowie für Handel, Handwerk und Gewerbe.
Wie viele Tage gab es bisher, an denen Sie sich in Ihren alten Beruf als Logistikleiter zurückgesehnt haben?
Die Tätigkeit im Bereich Logistik war ein spannender Lebensabschnitt, den ich bewusst aufgegeben habe, um mich einer neuen, ganz anderen Aufgabe zu stellen – der des Bürgermeisters der Stadt Stühlingen. Jeder Tag ist voller neuer Themen, neuer Herausforderungen und von neuem Lernen und neuen Erfahrungen geprägt. Es gibt bereichernde persönliche Begegnungen. Ich bin nicht nur Verwalter, sondern vor allem Koordinator, Ideengeber, Mitgestalter und Motivator in einer Person. An entscheidender Stelle kann ich mit meinen Ideen, meinem Einsatz und Unterstützung Stühlingen mit seinen Ortsteilen voranbringen – was will man mehr?