In einer kleinen Serie möchten wir den Leserinnen und Lesern schildern, wie es vor 75 Jahren war, als Kind in dem Hohenlupfen-Städtchen zu leben. Im Vergleich zu heute waren die örtlichen Verhältnisse vollkommen andere. Das Städtchen unter dem Hohenlupfen zählte um die 1500 Einwohner. Anders als heute, spielte sich das Geschäftsleben fast ausschließlich in der Altstadt ab.

Es gab das Krankenhaus, eine Apotheke, drei Ärzte, drei Zahnärzte; die größten Arbeitgeber waren die Zwirnerei an der Wutach, die Schraubenfabrik Heimburger, die Marmeladenfabrik Laumann und Strickwaren Steinmann. Sehr viele Stühlinger waren Grenzgänger. Das Trinkwasser lieferte die Spießenberg-Quelle – Nitrat-und Atrazinbelastung waren 1950 kein Thema. Es gab noch kein Schwimmbad im Weilertal, sommerliche Badefreuden genoss man an der Wutach und am Heimburger Kanal. Bis zum Bau der Umgehungsstraße 1958 quälte sich der Verkehr durch die enge und kurvenreiche Ortsdurchfahrt. Wo heute die Stadthalle steht, befand sich die Schlosswiese, die zu den Latifundien der Fürstenberger zählte. Die späteren Baugebiete Sommerhalde, Rappenhalde, Seegärten und Brunnenwiesen waren noch unerschlossen.
Damals gab es das Bahnhöfle mit einer kleinen Bahnhofs-Wirtschaft. Die war außerordentlich beliebt, weil sich im Toilettenbereich ein Automat mit „Verhüterli“ befand. Damals konnte man Verhütungsmittel offiziell beim Friseur oder in der Apotheke erstehen, was sich manch einer nicht traute. Die Bahn-Mitarbeiter wohnten mit ihren Familien in einem großen Gebäude an der Bahnhofstraße. Dort, wo sich die größeren Wohnungen der Bahnvorstände befanden, residiert heute eine Spielothek. Im ehemaligen Hauptzollamt waren Zöllner-Familien untergebracht. Täglich kursierten von Dampfloks gezogene Züge zwischen Lauchringen und Stühlingen-Weizen.
Im Schloss Hohenlupfen wohnte Anfang der 50er-Jahre die Fürstlich fürstenbergische Familie mit ihren fünf Kindern. Die Kinder wurden täglich mit der Pferdekutsche zur Schule am Stadtweg gefahren. In der Schlosskapelle fand einmal im Monat ein Gottesdienst statt, der immer sehr gut besucht war. Der zum Schloss gehörende Gutshof brannte 1980 ab.
Ein Schulzentrum gab es damals auch noch nicht. Die Volksschule befand sich im heutigen Vereinsheim am Stadtweg. Der Kindergarten hatte sein Domizil im heutigen Hause Abdul Zaher Zamani am oberen Stadtweg.
Das gesamt Stadtbild war geprägt von meist wunderschönen Hausgärten, aber auch Misthaufen. Das Oberflächenwasser floss in mit Wutachwaggis befestigten Rinnen der Wutach zu.
In der Unterstadt betrieb die Metzger-Familie Schüle einen Schlachthof mit zwei Verkaufsräumen. An Schlachttagen war das Mühlebäche, das mitten durch den Schlachthof verlief, blutrot gefärbt. Längst ist das Bächle eingedohlt und damit verschwunden.
Zu den dominierenden Gebäuden der Unterstadt zählte die alte Mühle, die damals noch in Betrieb war. Sie dämmert seit vielen Jahren im Dornröschenschlaf, steht aber seit Kurzem zum Verkauf. In der Altstadt gab es drei Bäckereien (Bruder, Keller, Kranz), zwei Schlossereien, drei Blechnereien, zwei Wagnereien, zwei Schmiede, einen Steinmetz, einen Landmaschinenhändler, eine Fahrschule und 13 Wirtshäuser. Ebenso fünf Lebensmittelgeschäfte (Brogle und Schölderle in der Altstadt , sowie Eiermann, Stachowiak und Harder in der Unterstadt). Diese Geschäfte sind längst verschwunden. Zwei Geldinstitute waren vor Ort. Drei Tankstellen mit je einer Zapfsäule waren über das Wohngebiet verteilt. Das „Hotel zur Post“ war damals die beste gastronomische Adresse im Ort; heute residiert dort die Hans Carossa Klinik.
Im Loreto-Krankenhaus leiteten resolute Vincentinerinnen den Pflegedienst. Eine von ihnen, Schwester Hermann Josef, leitete den Kindergarten. Männer und Frauen wurden strikt getrennt stationär behandelt. Belegärzte waren Dr. Grewing und Dr. Preuß, die ansonsten in ihren Hauspraxen eher Privatpatienten behandelten. Weitere Hausärzte waren Dr. Elisabeth und Richard Schwörer. An deren unglaubliche Leistungen erinnert man sich bis heute mit großer Hochachtung.
Im Kloster herrschte kein Mangel an Novizen. Etwa 40 junge Männer sangen täglich Choräle. Sowohl Kloster als auch Krankenhaus betrieben große Hausgärten und Schweineställe. In den 1950er-Jahren gab es in Stühlingen sogar ein Kino, angebaut an das Gasthaus „Drechsler.“ Ob „Zorros schwarze Peitsche“ oder „Fuzzy der Banditenschreck,“ bis hin zu schmalzigen Heimatschnulzen wurden dort vor allem Nachkriegsfilme samt „Fox tönerner Wochenschau“ gespielt. Das Kino war meist ausverkauft.
Für Kinder war das ganze Stadtgebiet mit seinen idyllischen Winkeln, Bächle, Brunnen und steile Treppchen, die die Unterstadt mit der Oberstadt verbanden, ein einziger Abenteuerspielplatz. Darüber berichten wir in unserer nächsten Folge.