Ursula Ortlieb

Seile gab es in der Menschheitsgeschichte schon lange bevor das Rad erfunden wurde. Sie wurden bereits beim Bau der Pyramiden eingesetzt. Ohne Seile ging und geht nichts. Man benutzt sie als technisches Hilfsmittel überall, wo Lasten gehoben, gezogen und transportiert wurden. Die Seilerei ist eines der ältesten Handwerke überhaupt. In Untermettingen führt Günter Schneider in dritter Generation einen selten gewordenen Handwerksbetrieb.

Mit der Flechtmaschine in der Werkhalle werden Seile selbst hergestellt.
Mit der Flechtmaschine in der Werkhalle werden Seile selbst hergestellt. | Bild: Ursula Ortlieb

Schneiders Haus in Untermettingen liegt in einem verborgenen Winkel an einem Hang nahe der Kirche. Es wurde 1735 als Kaplanei erbaut und kam später in Familienbesitz. Mit Werkstatt, Laden und Werkhalle „Im Holder 2“ sind der altertümliche Charme und das romantische Flair bewahrt geblieben. Liebevoll gepflegt mit dem dazugehörenden Garten wirkt es wie ein Kleinod. Der Seiler-Betrieb ist auf drei Etagen verteilt. Die Werkstatt ist ebenerdig zur Straße, der Laden mit einem kleinen Büro befindet sich im Stockwerk darüber. Die Werkhalle mit Seilerbahn für lange Seile und der Flechtmaschine ist ein Nebengebäude im obersten Teil des Grundstücks. Die Gebäude sind eine Sehenswürdigkeit für sich und lassen nicht vermuten, dass darin modernste Seil- und Hebetechnik mit Zubehör konfektioniert wird.

Die Seilerei Schneider ist in der Alten Kaplanei von Untermettingen untergebracht, die 1735 erbaut wurde und auf einer Anhöhe liegt.
Die Seilerei Schneider ist in der Alten Kaplanei von Untermettingen untergebracht, die 1735 erbaut wurde und auf einer Anhöhe liegt. | Bild: Ursula Ortlieb

Günter Schneider führt auf Wunsch vor, wie aus vielen dünnen Fäden ein Seil entsteht, versiegelt und geknotet wird. Im Laden reicht das Angebot von dicken Seilen, Bändern, Maurerschnüren, Zurrbändern und Zubehör bis zu Schnüren und Seilen für Spielgeräte aus eigener Produktion. Drahtseile und Ketten findet man in der Werkstatt unten. Dort steht die Abseilmaschine des Großvaters, die noch benutzt wird und einwandfrei funktioniert, eine kleinere Flechtmaschine und eine Drahtseilpresse. Wilhelm Schneider hatte den Betrieb 1918 gegründet. Die Produkte wurden auch auf Märkten der Region wie dem Chilbimarkt in Birkendorf verkauft. Zum Kundenstamm gehörten vor allem Bauern.

Arbeit an der Abseilmaschine, die schon der Großvater Wilhelm Schneider in seiner Werkstatt hatte.
Arbeit an der Abseilmaschine, die schon der Großvater Wilhelm Schneider in seiner Werkstatt hatte. | Bild: Ursula Ortlieb

„Ich war gerne auf den Märkten. Schon als Kind begleitete ich den Großvater und den Vater“, erzählt Günter Schneider. So erlebte er den Wandel der Zeit. In der landwirtschaftlichen Tierhaltung entfielen Seile und Ketten. Außerdem gaben immer mehr Bauern der Gegend die Landwirtschaft auf. Deshalb und aus Zeitmangel stellte er die Marktbeschickung 2008 ein.

Günter Schneider fertigt Gerüstseile und Geflechtseile in seiner Werkstatt noch selbst. Dicke Drahtseile, Ketten, Gurte und Zubehör ...
Günter Schneider fertigt Gerüstseile und Geflechtseile in seiner Werkstatt noch selbst. Dicke Drahtseile, Ketten, Gurte und Zubehör bezieht er vom Großhandel und konfektioniert sie nach Bedarf. | Bild: Ursula Ortlieb

Um weiter rentabel arbeiten zu können, musste er sich umstellen. Meterware wird jetzt im Großhandel eingekauft und nach Kundenbedarf weiterverarbeitet. Das alte Handwerk, die Herstellung eigener Seile, wurde aber nicht aufgegeben. Dünnere Seile werden immer noch mit der Abseilmaschine selbst hergestellt. „Dicke Drahtseile für schwere Lasten, Ketten, Bänder und Gurte werden mit Haken, Karabinern und Schlaufen konfektioniert“, informiert Günter Schneider.

Günter Schneider verarbeitet hier in seiner Werkstatt nach dem Abseilen ein Seil für eine Schaukel.
Günter Schneider verarbeitet hier in seiner Werkstatt nach dem Abseilen ein Seil für eine Schaukel. | Bild: Ursula Ortlieb

Hauptkunden sind jetzt hauptsächlich Aluminiumindustrie, Bauunternehmer, Handwerker und Kommunen der Region bis nach Lörrach, sowie einige Schweizer und Kunden aus Österreich. Das Firmenprofil beinhaltet auch den Service der Maß- und Sichtprüfung für Anschlagmittel. Mit einem speziellen Magnetpulvergerät werden die von der Berufsgenossenschaft geforderten Kettenriss-Prüfungen im drei-Jahres-Rhythmus, Maß- und Sichtprüfungen jährlich durchgeführt.

Die Werkstatt befindet sich im unteren Teil des Gebäudes der ehemaligen Kaplanei in Untermettingen.
Die Werkstatt befindet sich im unteren Teil des Gebäudes der ehemaligen Kaplanei in Untermettingen. | Bild: Ursula Ortlieb

Günter Schneider hatte das Handwerk in einer Seilerei in Bülach in der Schweiz erlernt. Als sein Lehrbetrieb aufgegeben wurde, konnte er einige der Maschinen erwerben. Der 63-Jährige liebt seinen Beruf.

Segeltaue für das Theaterschiff

Als der Theaterverein Zeitschleuse bei ihm anfragte, ob er das Theaterschiff der Freilichtspiele in Riedern mit Segeltauen und Takelage bestücken könnte, sagte er zu. „Ich habe dabei nichts verdient, aber die Arbeit im Klostergarten machte mir richtig Spaß, weil es meiner eigentlichen Handwerkskunst entsprach. Es war auch eine Herausforderung. So etwas macht man nicht alle Tage“, erzählt er. 400 Meter Schiffsseile aus Hanfimitat und Spleitex in verschiedenen Stärken und Längen wurden an drei vollen Tagen verarbeitet und nach historischen Vorgaben der Schiffsbauer vom Holzwerk Bruno Kaiser angebracht. Der Theaterverein war dafür sehr dankbar.

Im Garten schöpft er Kraft

Günter Schneider hat viel Sinn für das alte Handwerk und Nostalgisches. Sein Hobby ist zudem der Garten, in dem ein Hahn und ein Huhn spazieren und zu den glücklichsten ihrer Art gehören dürften. Außerdem hält er ein paar Tauben mit Taubenschlag auf dem Gelände. „Wenn ich entspannen will, gehe ich in meinen Garten. Stress lasse ich selten aufkommen. Das ist das Schöne, wenn man selbstständig ist“, meint er.

Der Zukunft kann der Seiler optimistisch entgegensehen, da ein Sohn den Betrieb später übernehmen will. „Ich werde weiter machen, so lange es geht“, sagt er. Der Sohn, der als Angestellter in einer Firma arbeitet, hilft dem Vater gerne auch in der Seilerei. Er schätzt die Vielseitigkeit des Handwerks. Auch er möchte später mal sein eigener Chef zu sein