Herr Gruner, Sie sind nun 100 Tage Oberbürgermeister von Waldshut-Tiengen. Was ist die größte Veränderung, die für Sie mit dem Amt verbunden ist?

Für mich persönlich ist die größte Veränderung sicherlich, dass ich zum ersten Mal in meiner beruflichen Laufbahn keinen direkten Vorgesetzten habe – außer natürlich die Bürger von Waldshut-Tiengen und den von ihnen gewählten Gemeinderat. Das heißt einerseits, dass ich mich natürlich hinter niemandem verstecken kann, wenn es unangenehm wird. Andererseits ist es aber auch schön, denn es gibt mir ganz neue Freiheiten und Möglichkeiten zu gestalten.

Was war die größte Überraschung nach Ihrem Amtsantritt?

Überraschungen im eigentlichen Sinne habe ich keine erlebt. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich Stadt und Verwaltung aus meiner Zeit von 2002 bis 2017 sehr gut kenne. Viele Mitarbeiter von früher sind immer noch da. Außerdem habe ich ja auch in der Zeit, in der ich nicht für die Stadt gearbeitet habe, hier gelebt. Dadurch habe ich die Kontakte nie ganz verloren.

Startschuss: Die Vereidigung Martin Gruners am 23. Oktober beendete zugleich eine achtmonatige Hängepartie für die Stadt.
Startschuss: Die Vereidigung Martin Gruners am 23. Oktober beendete zugleich eine achtmonatige Hängepartie für die Stadt. | Bild: Baier, Markus

Nach knapp drei Monaten im Amt: Sind Sie vollauf angekommen?

Ich würde eher sagen, ich wachse permanent weiter in die Aufgaben hinein. Ganz fertig ist man damit wahrscheinlich nie. Das hat vor allem mit dem Arbeitsbereich zu tun, der sehr viel breiter gefächert ist, als ich es aus meiner Zeit als Beigeordneter gekannt habe. Da war ich für das Bauressort verantwortlich. Als Oberbürgermeister sind natürlich viele Bereiche hinzugekommen, in denen ich nicht so viel Erfahrung habe, zum Beispiel das Finanzwesen oder auch das Ordnungswesen. Die Arbeit eines Oberbürgermeisters ist weiter, intensiver und auch spannender, die Themen sind unheimlich vielfältig. Auch wenn es gelegentlich anstrengend ist, macht mir das großen Spaß. Daher freue ich mich auch an den meisten Abenden bereits auf den nächsten Tag, die Themen, Termine und Leute, die mir dann begegnen.

Woran erkennt der Bürger am deutlichsten, dass im Rathaus jetzt der Oberbürgermeister Martin Gruner sitzt?

Das müssten Ihnen im Detail die Bürger beantworten. Ich kann lediglich aus den Rückmeldungen, die ich erhalte, schließen, dass die Menschen wahrnehmen, dass es ruhiger geworden ist und es einen anderen Umgangston gibt. Die Verwaltung einer Stadt ist insgesamt ein langsames Geschäft, das eine gewisse Stetigkeit verlangt. Das versuche ich zu vermitteln. Allerdings lassen sich nach außen hin nach 100 Tagen noch keine großen Ergebnisse vorweisen.

Zwischenbilanz und Ausblick: Martin Gruner (rechts) im Gespräch mit SÜDKURIER-Redaktionsleiter Markus Baier.
Zwischenbilanz und Ausblick: Martin Gruner (rechts) im Gespräch mit SÜDKURIER-Redaktionsleiter Markus Baier. | Bild: Talenta, Nico

Der monatelange OB-Wahlkampf und die Übergangszeit nach der Wahl haben Spuren hinterlassen. Wie erfolgreich waren Ihre Bemühungen, die Wogen zu glätten?

Mit Blick auf die Wahl möchte ich festhalten, dass es mich nicht verletzt, wenn jemand eine andere Haltung vertreten oder meinen Vorgänger Philipp Frank unterstützt hat. Ich sehe darin auch keinen Hinderungsgrund für eine Zusammenarbeit. Gleichzeitig ist es mir auch bewusst, dass ich auch Entscheidungen treffen oder mittragen muss, die meine Unterstützer als negativ empfinden werden. Das bringt ein solches Amt einfach mit sich. Grundsätzlich halte ich es für wichtig, nach vorne zu blicken. All die Entscheidungen, die wir in nächster Zeit zu treffen haben, müssen auf sachlicher und professioneller Basis getroffen werden, nicht auf Grundlage von persönlichen Befindlichkeiten. Dabei bin ich auch nur die letzte Instanz einer Entscheidungskette.

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Seit Ihrem Amtsantritt wurden bereits einige wegweisende Entscheidungen getroffen, die die Stadt in den nächsten Jahren vorwärtsbringen, aber auch verändern werden. Viele Prozesse haben eine bereits längere Vorlaufzeit. Inwiefern tragen die Vorhaben aber jetzt auch Ihre Handschrift?

Mir geht es erst einmal nicht so sehr darum, überall meinen Stempel aufzudrücken. Ich halte es für sinnvoll, Dinge weiterzuführen und Prozesse abzuschließen, die für die Stadt wichtig sind. Aber es gibt durchaus erste sichtbare Erfolge für mich. Die gerade beschlossene Schaffung der Stelle eines Citymanagers und einer Öffentlichkeitsarbeit-Stelle zum Beispiel. Die Veränderung in der Kommunikation im Haus und die intensivere Zusammenarbeit mit den Stadtwerken würde ich ebenfalls als Fortschritte bezeichnen.

Die Stadt zu Gast in der Lokalredaktion: Waldshut-Tiengens Oberbürgermeister Martin Gruner (Mitte) und die Erste Beigeordnete Petra ...
Die Stadt zu Gast in der Lokalredaktion: Waldshut-Tiengens Oberbürgermeister Martin Gruner (Mitte) und die Erste Beigeordnete Petra Dorfmeister (rechts daneben), statteten jüngst der SÜDKURIER-Lokalredaktion in Waldshut einen gemeinsamen Antrittsbesuch ab (von rechts): Redaktionsleiter Markus Baier, die Redakteure Nico Talenta, Melanie Völk und Michael Neubert sowie Redaktionsassistentin Claudia Seifert. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Mit der Finanzplanung wurde gerade die Marschrichtung der Stadt für die nächsten Monate vorgegeben. Welche Projekte würden Sie als die wichtigsten einstufen?

Für besonders drängend halte ich die Verkehrsproblematik auf unseren Straßen, wohl wissend, dass die Chancen für ein nachhaltiges Ergebnis hier am schlechtesten stehen. Aber ich werde mich hier auf jeden Fall an den entscheidenden Stellen weiter für eine schnelle Entlastung einsetzen. Beim Klettgau Carré sind wir im Gespräch, und ich bin nach wie vor guten Mutes, dass wir hier Fortschritte erzielen werden. Wichtig ist auch, dass wir bei den beiden Innenstadtsanierungen in die Umsetzung kommen. Und natürlich müssen wir laufende Projekte abschließen, bevor wir neue Vorhaben starten. Was unsere Personalproblematik in der Verwaltung betrifft, konnten wir bereits einige Stellen ausschreiben und hoffen nun, die eine oder andere auch besetzen zu können. Allerdings lässt die Bewerberlage insgesamt eher zu wünschen übrig. Da gilt es, Ideen zu entwickeln, wie wir dem begegnen.

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Freilich sind die Rahmenbedingungen derzeit generell schwierig. Wie viel Freiheit hat ein OB in diesem Kontext, über die Pflichtaufgaben hinaus gestalterisch tätig zu werden?

Ich finde, dass man auch im Rahmen von Pflichtaufgaben gestalten kann. Wenn wir in Tiengen im Zuge der Innenstadtsanierung die Hauptstraße als Shared Space planen, der sowohl Aufenthaltsort als auch Verkehrsraum ist, dabei gleichzeitig aber auch den Veränderungen infolge des Klimawandels Rechnung trägt, setzt das durchaus Akzente. Es muss aber nicht immer ein solches Großprojekt sein. Gestalten können wir zum Beispiel auch bei der Kultur wie auch in der Jugendarbeit. Generell müssen wir bei allem erst mal wissen, wohin wir wollen und dann versuchen, diese Ziele zu erreichen, auch wenn es mit Umwegen verbunden ist.

Konzentriert: Martin Gruner hat eine Menge vor. Nächste große Herausforderung wird die Kommunalwahl, wo er für die Freien Wähler um ein ...
Konzentriert: Martin Gruner hat eine Menge vor. Nächste große Herausforderung wird die Kommunalwahl, wo er für die Freien Wähler um ein Kreistagsmandat antritt. | Bild: Talenta, Nico

Ein Thema, das viele Bürger umtreibt, ist die medizinische Versorgung. Hier steht der der Vorwurf im Raum, dass Entwicklungen über Jahre hinweg verschlafen worden seien. Wie sieht Ihre Strategie aus?

Es mag sein, dass die Stadt Trends verpasst hat, aber die Entwicklungen in diesem Bereich sind unglaublich schnell und komplex verlaufen. Wir sehen, dass sich das Problem der Ärzteversorgung leider nicht nur mit dem Bau eines Ärztehauses lösen lässt, sondern dass es an der Frage der Gewinnung neuer Ärzte hängt. Die Möglichkeiten, eine Ansiedlung über kommunale Subventionen zu fördern, sind gesetzlich eng begrenzt. Hinzu kommt ein verändertes Arbeitsethos und einer neuen Erwartungshaltung der Ärzte. Viele wollen keine eigene Praxis betreiben, sondern favorisieren ein Angestelltenverhältnis, zum Teil auch in Teilzeit. Bei uns geht es auch um die Frage, wie wir neben zwei existierenden Medizinischen Versorgungszentren noch ein weiteres etablieren wollen, und unter welcher Trägerschaft. Es geht weiterhin um die Frage, welche Möglichkeiten wir in Sachen Ausbildung schaffen können. Aber wenn selbst die Kassenärztliche Vereinigung hier keine Lösungsansätze hat und in Teilbereichen gegenläufig arbeitet, wird es schwierig. Jedenfalls haben wir ein Fachgutachten beauftragt, um die vorhandenen Strukturen zu analysieren und Wünsche und Bedarfe von niedergelassenen Ärzten abzufragen. Entsprechende Umfragen laufen derzeit.

Aus politischer Sicht ist die Kommunalwahl am 9. Juni in Baden-Württemberg das große Thema des Jahres. Sie werden dabei für die Freien Wähler ins Rennen um ein Kreistagsmandat gehen. Warum?

Keine Sorge, ich habe auch ohne dieses Mandat genug zu tun. Aber ich denke, die Stadt Waldshut-Tiengen hat innerhalb des Landkreises eine Vorreiterfunktion und muss die Region mit im Blick behalten. Daher halte ich ein Engagement auf Kreisebene für absolut notwendig. Ich bin parteilos und vereinslos im politischen Kontext und möchte das auch bleiben. Die Freien Wähler verkörpern für mich von allen demokratischen politischen Kräften diese Offenheit. Ich werde trotzdem kein Mitglied der Vereinigung, sondern lediglich auf der Liste zur Wahl antreten.

Doch vor der nächsten Wahl steht zunächst die Fasnacht an – in Waldshut-Tiengen natürlich ein wichtiger Anlass. Wie schwer ist es für Sie als Zugereister, mit Bräuchen und Traditionen klarzukommen?

Immerhin bin ich als Aachener durchaus in einer Hochburg des Karnevals geboren – aber nicht unbedingt so sozialisiert worden. Die Fasnacht in Waldshut-Tiengen erlebe ich seit 23 Jahren und bin inzwischen auch mit den Bräuchen ganz gut vertraut. Ich hing sogar 2015 schon mal beim Narrengericht in Tiengen am Rad, was ja eine einmalige Sache ist. Dieses Jahr freue ich mich aber natürlich besonders darauf, was da als OB so alles auf mich zukommt und was die Narren mit mir vorhaben.

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