Wie soll die Bevölkerung geschützt werden, wenn in einem Kernkraftwerk der radiologische Notfall eintritt? Die Antwort auf diese Frage wird derzeit im Referat für Katastrophenschutz im Regierungspräsidium (RP) Freiburg überarbeitet. Bisher gab es für den Kreis Waldshut keinen konkreten Evakuierungs- und Verkehrsplan für einen möglichen Ernstfall, ausgelöst durch die grenznahen Schweizer Kernkraftwerke (KKW) Leibstadt und Beznau.
- Wann ist eine Evakuierung der Bevölkerung im Umkreis der Kernkraftwerke nötig? Nicht in jedem Ernstfall ist aus Behördensicht eine Evakuierung die erforderliche Maßnahme. Laut den Vorgaben des Katastrophenschutzes kommt eine Evakuierung in Betracht, wenn es aufgrund eines Ereignisses in einem Kernkraftwerk zu einer möglichen Freisetzung von radioaktiven Stoffen kommt, die unter anderem den Richtwert von 100 Millisievert durch Inhalation überschreiten. Dazu muss das Zeitfenster, bis die radioaktive Wolke das gefährdete Gebiet erreicht, groß genug sein, damit genügend Zeit besteht, die Evakuierung durchzuführen. Ist die Zeit zu gering, um die Bevölkerung in Sicherheit zu bringen, soll der Aufenthalt in Gebäuden größtmöglichen Schutz bieten. Die Bevölkerung wird im Notfall durch Sirenen und Warndurchsagen über Lautsprecherfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr gewarnt. Dazu gibt es die Warn-App „Nina“ für das Smartphone und Informationen über Rundfunk, Fernsehen und Videotext.
- Welche Behörden sind für den Schutz der Bevölkerung zuständig? Die Schweiz und Deutschland haben den Ablauf der Kommunikation in einem Konzept festgelegt. Sollte es zu einem radiologischen Notfall in einem KKW kommen, muss der Betreiber die Meldung an das rund um die Uhr besetzte Führungs- und Lagezentrum des Polizeipräsidiums Freiburg übermitteln. Von dort werden der Katastrophenschutz des Regierungspräsidiums, das Landratsamt Waldshut und die Leitstellen informiert. Das radiologische Lagezentrum des Bundes kann zwar eine Evakuierung empfehlen. Die Entscheidung, entsprechende Maßnahmen zu erlassen, trifft aber das Regierungspräsidium als höhere Katastrophenschutzbehörde. Im Kreis Waldshut arbeiten die Gemeinden zusammen mit dem Landratsamt. Welche Organisationen im Einsatz wären, hängt laut Landratsamt von der Situation ab. Ist der Verbleib im Haus angeordnet, brauche es im Prinzip keinen Einsatz von Hilfsorganisationen. Bei einer Evakuierung ist in erster Linie die Polizei, die Feuerwehr und gegebenenfalls das Technische Hilfswerk sowie das Deutsche Rote Kreuz im Einsatz.
- Wie werden Altenheime, Kindergärten oder Krankenhäuser evakuiert? Bei einem Ernstfall geht das RP Freiburg davon aus, dass sich zwei Drittel der Bevölkerung selbst in Sicherheit bringen. Besonders auf der „kritischen Infrastruktur“ liegt im Notfallplan das Augenmerk – dazu zählen Krankenhäuser, Altenheime, Schulzentren oder Kindergärten. Grundsätzlich veranlasst die Katastophenschutzbehörde, dass die Menschen in ein Aufnahmegebiet in Sicherheit gebracht werden. Familienmitglieder oder Freunde sollten nicht auf eigenen Faust evakuiert werden, es sei denn, dass es durch Rundfunk oder Lautsprecherdurchsagen gefordert wird. In welcher Gemeinde eine Sammelstelle für die evakuierte Bevölkerung eingerichtet wird, hängt von der Kapazität ab und ihrer möglichst weiten Entfernung zum gefährdeten Gebiet. Welche Einrichtungen zuerst evakuiert werden, soll im neuen Evakuierungsplan festgelegt werden.
- Welche Fluchtrouten sind im Kreis Waldshut angedacht? Derzeit gibt es keine. Sowohl für Waldshut-Tiengen als auch für den Landkreis besteht keine Verkehrsplanung im Falle einer Evakuierung. In diesem Jahr soll durch das Landratsamt Waldshut, das Polizeipräsidium Freiburg und die Stadt ein Evakuierungs- und Verkehrsplan erstellt werden. Laut Landratsamt gibt es bereits Vorüberlegungen zur Verkehrslenkung, zu den Sammelstellen sowie zu den Transportmitteln, die sich im zukünftigen Evakuierungskonzept des RP Freiburg wiederfinden sollen.
Einnahme von Jod

In einem Umkreis von zehn Kilometern um die Schweizer Kernkraftwerke konnten das letzte Mal im Jahr 2005 Jodtabletten kostenlos in Apotheken abgeholt werden. In einigen Apotheken sind diese noch vorrätig, sie unterliegen keinem bestimmten Verfallsdatum. Ansonsten können sich Bürger neue Jodtabletten kostenpflichtig in der Apotheke besorgen. Die Einnahme von Tabletten mit nicht-radioaktivem Jod soll verhindern, dass sich radioaktives Jod im Körper, speziell in der Schilddrüse, ansammeln kann. Bei einem Notfall soll die Bevölkerung, die im Umkreis von fünf Kilometern um die Anlage lebt, innerhalb von sechs Stunden mit Jod versorgt werden. Die Einnahme wird aus medizinischen Gründen nur Personen unter 45 Jahren empfohlen.