Ursula Freudig

„Wenn ich etwas suche, finde ich es auch, ich habe noch nie länger als eine halbe Stunde gesucht“, sagt Waldshut-Tiengens Stadtarchivar Ingo Donnhauser. Das A und O jedes Archivs ist eine systematische Erfassung der Dokumente und ihres Lagerorts, damit sie bei Bedarf gefunden werden können. Als öffentliche Einrichtung hat nicht nur die Stadtverwaltung, sondern auch jeder Bürger das Recht, unter Berücksichtigung von datenschutzrechtlichen Einschränkungen, Einsicht in das Stadtarchiv im Keller des Ordnungsamtes zu nehmen.

Wer dort die unzähligen, mit Büchern und Akten gefüllten Regale sieht, mag erahnen, wie viel Arbeit ein gut funktionierendes Archiv macht. Gemessen wird der Bestand nach der Lagerfläche. Ein Regal im Stadtarchiv ist rund einen Meter lang. Auf insgesamt etwa 1000 laufenden Bestandsmetern steht, liegt und hängt, was über die Vergangenheit bis hin zu aktuellen Vorgängen und Ereignissen in Waldshut-Tiengen und seinen Ortsteilen Aufschluss gibt. Dekorative mittelalterliche Urkunden auf Pergament sind dort genauso zu finden wie unscheinbare Amtsbücher, in denen fortlaufende Ereignisse wie Geburten und Todesfälle erfasst sind.

Original: Diese Urkunde mit Wachssiegel aus dem Jahr 1468 (Chilbidatum), in der Kaiser Friedrich III. Waldshut nach der Belagerung ...
Original: Diese Urkunde mit Wachssiegel aus dem Jahr 1468 (Chilbidatum), in der Kaiser Friedrich III. Waldshut nach der Belagerung durch die Eidgenossen Privilegien bestätigt, ist etwas ganz Besonderes.

Den größten Teil des Stadtarchivs machen nach Aussage von Ingo Donnhauser aber simple Akten aus, die Einzelvorgänge oder gesammelte Unterlagen zu Sachthemen dokumentieren. Ebenso zum Archivbestand gehören Zeitungen wie das Waldshuter Intelligenzblatt ab 1833 und ab 1851, der Alb Bote, weiterhin Karten, Pläne und Fotos. Der Aktenbestand für Waldshut beginnt erst im späten 18. Jahrhundert, weil 1726 beim großen Stadtbrand fast alle Unterlagen im Rathaus vernichtet wurden. Nur einige, außerhalb des Rathauses gelagerte Amtsbücher und Urkunden – die älteste stammt aus dem Jahr 1350 -, sind erhalten. Für Ingo Donnhauser sind diese alten Dokumente faszinierende Quellen: „Sie sind übrig geblieben von einem geschichtlichen Vorgang und Beweis für dieses oder jenes Ereignis, sie sind einzigartige und unersetzbare Originale.“

Diese Faszination hat den heute 35-jährigen gebürtigen Hanauer bewogen, nach dem Geschichtsstudium eine Zusatzausbildung im Archivwesen zu machen. Er ist der erste hauptamtliche Archivar in Vollzeit der Stadt Waldshut-Tiengen. Seit 2013 kümmert er sich um das Waldshut-Tiengener Stadtarchiv, das 1990 vom Rathaus in den Keller des Ordnungsamtes umzog. Dort sind die Bedingungen für die Aufbewahrung zeitanfälliger Dokumente gut. Es ist relativ kühl und wenig Licht kommt herein, beides verlangsamt den Zerfall der Bestände. In einem Regal steht ein Messgerät, das über die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit Auskunft gibt. Konstant rund 20 Grad und rund 50 Prozent Luftfeuchtigkeit sind nach Aussage des Stadtarchivars ideal.

Rarität: Diese Bibelübersetzung aus dem 18. Jahrhundert stammt aus der ehemaligen Ratsbibliothek Tiengen.
Rarität: Diese Bibelübersetzung aus dem 18. Jahrhundert stammt aus der ehemaligen Ratsbibliothek Tiengen.

Zu entscheiden, was unter diesen Bedingungen überdauern darf und nicht im Aktenvernichter endet, gehört zu den Hauptaufgaben von Ingo Donnhauser. Er prüft und bewertet unter Berücksichtigung der Aufbewahrungsfrist die Unterlagen, die aus der Stadtverwaltung kommen. In der Regel landen nicht mehr als fünf Prozent dieser Unterlagen im Archiv. „Das Richtige aufzubewahren, ist die Kunst“, sagt Donnhauser. Eine strenge Begrenzung ist auch deshalb wichtig, weil der Platz begrenzt ist. Der Tag, an dem weitere platzsparende Rollregale nötig sein werden, sieht der Stadtarchivar nicht mehr in weiter Ferne.

Unterlagen, die er ins Archiv übernimmt, bereitet er auf: Er entfernt mögliche Plastik- oder Metallteile und „verpackt“ die Akten, zum Beispiel schlägt er sie in eine Hülle ein. Abschließend versieht er jede Akte mit einer bestimmten Signatur, einem Titel, einer kurzen Angabe zum Inhalt und erfasst sie im Computer. Seit er im Amt ist hat Donnhauser alle ins Archiv kommenden Akten mit dem Computer erfasst. Der größte Teil der Akten vor seiner Zeit ist ebenfalls erschlossen, das heißt auffindbar. Allerdings sind sie bislang nur auf Papier registriert. Sie nach und nach auch computermäßig zu erfassen, ist Ziel des Stadtarchivars.

Aufbewahrung: Einige solcher Rollregale stehen bereits im Stadtarchiv, sie sparen im Vergleich zu herkömmlichen Regalen Platz und ...
Aufbewahrung: Einige solcher Rollregale stehen bereits im Stadtarchiv, sie sparen im Vergleich zu herkömmlichen Regalen Platz und schützen die Dokumente besser vor Licht und Staub.

Neben dem Tagesgeschäft kümmert sich Ingo Donnhauser derzeit auch um einen großen Fotobestand: Der Nachlass des einstigen Fotogeschäfts Bach, das 1919 in der Waldshuter Kaiserstraße eröffnete, ist vor rund zehn Jahren an die Stadt übergegangen. Von Zehntausenden Film- und Glasplattennegativen hat ein externer Dienstleister bereits knapp 1000 digitalisiert und als Foto ausgedruckt, rund 1700 hat Donnhauser selber digitalisiert. „Die Fotos sind toll, wir wollen sie irgendwann öffentlich ausstellen“, sagt er. Außerdem plant der Stadtarchivar mit der Stadt für 2018 eine Ausstellung anlässlich 550 Jahre Chilbi.

Die Arbeit geht Ingo Donnhauser also nicht aus. Wann immer die Stadt sich geschichtlich präsentiert, ist er zur Stelle. Erst kürzlich hat er an einem Geschichtsfestival in der Partnerstadt Blois teilgenommen. Und da alte Dokumente in den Händen halten und sie dann auch lesen können, zweierlei ist, unterrichtet er zurzeit auch zehn städtische Mitarbeiter, darunter etliche Stadtführer, im Lesen alter Handschriften. Bei Interesse kann er sich auch einen Kurs für die Öffentlichkeit vorstellen. Für Ingo Donnhauser ist die Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen immer ein Gewinn, auch weil dies das Urteilsvermögen gegenüber denen schärft, die Geschichte missbrauchen: „Wer geschichtliche Kenntnisse hat, lässt sich nicht von historischen Argumenten und Pauschalaussagen wie zum Beispiel ‚ die waren schon immer unsere Feinde beeinflussen und begegnet der Gegenwart souveräner.“

„Das Richtige aufzubewahren, ist die Kunst“, sagt Stadtarchivar Ingo Donnhauser.
„Das Richtige aufzubewahren, ist die Kunst“, sagt Stadtarchivar Ingo Donnhauser. | Bild: Ursula Freudig

Das Stadtarchiv

  • Öffnungszeiten: Das Stadtarchiv Waldshut-Tiengen in der Wallstraße 26 (Tourist-Info) ist jeden Dienstag von 10 bis 13  Uhr und von 14 bis 16 Uhr geöffnet sowie nach Terminvereinbarung mit Stadtarchivar Ingo Donnhauser unter der Telefonnummer 07751/83 31 97. Interessierte sollten sich immer vorher anmelden und ihr Anliegen nennen, damit Ingo Donnhauser relevante Dokumente heraussuchen kann.
  • Anfragen: Telefonisch oder per E-Mail (Idonnhauser@waldshut-tiengen.de). Im Schnitt etwa 30 Anfragen beantwortet der Stadtarchivar im Monat. Oft werden sie von Familienforschern gestellt oder auch von Hauseigentümern, die Unterlagen für ihre Gebäude benötigen. Die Dienste des Stadtarchivars sind in der Regel kostenlos. Nur für besonders aufwendige Recherchen fallen Gebühren an und für Kopien und Beglaubigungen die allgemein üblichen Verwaltungsgebühren.
  • Führungen: Auf Anfrage führt Ingo Donnhauser Einzelpersonen, Gruppen und Schulklassen kostenlos durch das Stadtarchiv und zeigt besondere Schätze wie die Urkunde mit Hänge-Wachssiegel von Kaiser Friedrich III, in der er 1468 (Chilbidatum) Waldshut nach der Belagerung durch die Eidgenossen, Privilegien bestätigt.
  • Benutzerbibliothek: Neben der Tourist-Info im Büro von Stadtarchivar Ingo Donnhauser können Interessierte auch Bücher einsehen, die vor allem über die Orts- und Regionalgeschichte informieren wie Nachschlagewerke, alte Adressbücher von Waldshut-Tiengen und ortsgeschichtliche Aufsätze vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Außerdem stehen dort Werke aus der früheren Tiengener Ratsbibliothek aus dem 15. Jahrhundert wie zum Beispiel Bibeln und religiöse Literatur von Hieronymus und Augustinus.