„Heute wurde ein mit dem Zug von Basel kommender Saccharinschmuggler, der 22 Kilo Saccharin bei sich hatte, im Waldshuter Bahnhof verhaftet; sein Begleiter flüchtete mit der Fähre in die Schweiz“: So lautete im Januar 1913 im Alb-Bote eine der vor 118 Jahren regelmäßig erscheinenden Notizen über den damals florierenden Schmuggel mit dem Süßstoff. Das seit 1902 in Deutschland auf Drängen der Zuckerindustrie verbotene Saccharin, 300- bis 500-mal so süß wie Rübenzucker, kostete in der Schweiz zwischen 5,60 und 9,60 Mark pro Kilo und brachte den Schmugglern in Deutschland 18 bis 22 Mark ein.
Drehscheibe des Schmuggels mit dem in der Schweiz produzierten Saccharin war Zürich. 1000 Personen lebten hier ausschließlich von der Vermittlung des Süßstoffs an Schmuggler. „Dieser Schmuggel zieht immer weitere Kreise ins Verderben“, notierte der Alb-Bote 1913 in einer Notiz aus Stühlingen. „Am Mittwoch wurde hier ein Schmugglerpaar verhaftet, am Donnerstag um fünf Uhr ein Mann aus Riedöschingen und abends zehn Uhr ein weiterer Süßstoffschmuggler. Alle trugen ihre süße Ware auf dem Leibe. Das erste Paar wollte nach Ulm reisen, um seine Ware abzuliefern. Der Mann aus Riedöschingen verriet, dass sein Vater noch etwa 20 Kilo zu Hause hätte, weshalb auch dieser sofort verhaftet und hierher gebracht wurde.“ Zwei Tage später informierte der Alb-Bote über zwei weitere Verhaftungen in Stühlingen, darunter „eine wegen ihrer Korpulenz aufgefallene Schmugglerin“. Im Bahnhof in Radolfzell gelang drei Schmugglern die Flucht aus einem Gefangenentransport, zwei der Männer wurden wieder geschnappt.
Die Strafen für Schmuggel bewegten sich zwischen wenigen Tagen und mehreren Wochen Gefängnis, letztere im Fall größerer Mengen. Längere Haftstrafen gab es für Wiederholungstäter oder bandenmäßig organisierten Schmuggel, wobei zusätzliche Geldbußen den Verurteilten oft mehr zu schaffen machten als die Haft. Als im Ersten Weltkrieg der Rübenzucker knapp wurde, wurde Saccharin 1916 in Deutschland wieder zugelassen.