Herr Gruner, Sie sind nun ein Jahr Oberbürgermeister von Waldshut-Tiengen. Wenn Sie das Fazit auf drei Schlagworte beschränken müssten, welche wären das?

Lernen, Informieren, Entscheiden.

Fortschritte auf breiter Front

Stadtentwicklung, Klimaneutralität bis 2040 und Weiterentwicklung der Verwaltung waren die Kernthemen, die Sie für den Fall Ihrer Wahl in den Fokus stellen wollten. In welchem der drei Bereiche sind Sie am besten vorangekommen?

In allen drei Bereichen sind wir vorangekommen – nach zwölf Monaten ist es noch zu früh, um finale Ergebnisse vorweisen zu können. In der Stadtentwicklung sind wir mit der Planung der Rheinstraße und der Hauptstraße vorangekommen. Die Fassaden der beiden Stadttore in Waldshut werden saniert und wir haben die Bebauungspläne für ein neues Baugebiet in Oberalpfen und zwei große Wohnbauprojekte in Waldshut auf den Weg gebracht.

Der Moment der Vereidigung: Am 23. Oktober 2023 legte Martin Gruner in seiner ersten Gemeinderatssitzung bei Oberalpfens Ortsvorsteher ...
Der Moment der Vereidigung: Am 23. Oktober 2023 legte Martin Gruner in seiner ersten Gemeinderatssitzung bei Oberalpfens Ortsvorsteher und Gemeinderat Armin Arzner den Amtseid ab. | Bild: Baier, Markus

Auf dem Weg zur Klimaneutralität haben wir Flächen für Freiflächen-Photovoltaik auf unserer Gemarkung ausgewiesen, einen ersten Fahrplan zur Ausstattung kommunaler Dächer mit PV-Anlagen erstellt, die kommunale Wärmeplanung verabschiedet, das Klimaschutzkonzept der Stadt überarbeitet und Bürgerinformationen zu verschiedenen Klimaschutzmaßnahmen durchgeführt.

Vielleicht am wenigsten sichtbar sind bisher die Erfolge im Bereich der Verwaltungsentwicklung. Das liegt unter anderem daran, dass die ausgeschriebenen und besetzten Stellen für Citymanagement und Öffentlichkeitsarbeit erst in den nächsten Wochen ihre Arbeit aufnehmen werden. Aber wie gesagt: Nach nur einem Jahr ist eine abschließende Bewertung schwierig. Wichtig ist, dass wir an allen Themen konsequent weiterarbeiten und die gesteckten Ziele fest im Blick behalten.

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Wo hätten Sie gern mehr erreicht?

Vor allem bei den noch unbesetzten oder nur kommissarisch besetzten Stellen in der Stadtverwaltung. Gerade im technischen Bereich hätte ich mir schnellere und größere Erfolge auch bei der persönlichen Personalrekrutierung gewünscht – aber wir arbeiten daran und gehen dabei auch ungewöhnliche Wege. Die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt sind groß und in allen Branchen spürbar. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir langfristig die benötigten Fachkräfte gewinnen werden.

Ein wichtiges Vorhaben: Im Sommer begann die Sanierung der beiden Waldshuter Stadttore: Architekt Stephan Vatter, Projektleiter Andreas ...
Ein wichtiges Vorhaben: Im Sommer begann die Sanierung der beiden Waldshuter Stadttore: Architekt Stephan Vatter, Projektleiter Andreas Schäfer (Hochbauamt), die Erste Beigeordnete Petra Dorfmeister und OB Martin Gruner stellten das Projekt vorab vor. | Bild: Völk, Melanie

Was würden Sie als größten Erfolg ihres ersten Amtsjahres bezeichnen?

Mein größter persönlicher Erfolg ist, im Waldshuter-Tiengener Rathaus beruflich und menschlich „angekommen“ zu sein. Aus meiner beruflichen Erfahrung weiß ich, dass gerade das erste Jahr anspruchsvoll und schwierig ist. In einer so exponierten und in der Öffentlichkeit stehenden Führungsposition ist die Gefahr groß, in der Anfangszeit Fehler zu machen, die später nur schwer zu korrigieren sind. Dass ich hier an den großen Fettnäpfchen vorbeigekommen bin, ist auch ein Verdienst meines gesamten Führungsteams, das mich tagtäglich unterstützt und mir loyal zur Seite steht. Diese gute Zusammenarbeit und das gegenseitige Vertrauen sind die Basis für alles, was wir in den nächsten Jahren erreichen wollen.

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Was war bislang die größte Niederlage?

Eine große Niederlage sehe ich bisher nicht, auch wenn das vielleicht vermessen klingt. Natürlich läuft nicht immer alles nach Plan oder wie ich es mir wünsche, aber ich sehe solche Situationen immer als Lernprozess und damit als Erfahrungsgrundlage für die nächste Herausforderung.

Klettgau-Carré bedarf „Geduld und Zuversicht“

Natürlich hätten sich viele Menschen schnellere Fortschritte beim Klettgau-Carré gewünscht. Das zeigen auch die regelmäßigen Nachfragen des Gemeinderats. Wie würden Sie den aktuellen Status des Vorhabens einschätzen?

Ich sehe nach wie vor gute Chancen, dass eine überarbeitete Planung für das Klettgau-Carré umgesetzt wird. Wir sind als Stadt in guten und konstruktiven Gesprächen mit dem Investor. Beide Seiten wollen dieses Projekt realisieren. Allerdings habe ich auch im Wahlkampf und zu Beginn meiner Amtszeit gesagt, dass dieses langjährige Großprojekt nicht von heute auf morgen wortwörtlich „aus dem Graben“ kommt. Ich kenne die Wünsche vieler Tiengener Bürgerinnen und Bürger, die sich auch mit meinen persönlichen Wünschen decken, aber wir brauchen hier weiterhin noch etwas Geduld und Zuversicht. Die Zeiten für vergleichbare Investitionsvorhaben sind in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden.

Wie lange dauert es noch, bis endlich ein realisierbares Ergebnis zu erwarten ist?

Aus heutiger Sicht werden wir dem Gemeinderat noch in diesem Jahr die aktuelle Planung vorstellen und ein weiteres Vorgehen vorschlagen, das zur Realisierung dieses Bauvorhabens führen soll. Wichtig ist, dass wir hier strukturiert vorgehen und die Rahmenbedingungen im Auge behalten, um ein tragfähiges Projekt auf den Weg zu bringen. Auch wenn es langsamer vorangeht als von vielen erhofft, bleibt das Ziel klar vor Augen.

„Das Amt des Oberbürgermeisters ist für mich ein Privileg, für das ich mich in keiner anderen Stadt beworben hätte.“Martin Gruner, OB ...
„Das Amt des Oberbürgermeisters ist für mich ein Privileg, für das ich mich in keiner anderen Stadt beworben hätte.“Martin Gruner, OB von Waldshut-Tiengen | Bild: Fw

Die Stadt sieht sich mit einer ganzen Reihe weiterer langfristiger Herausforderungen konfrontiert. Wie schwer fällt es Ihnen, angesichts langwieriger Verfahren nicht die Geduld zu verlieren?

Ich glaube, das ist das Leiden aller Führungskräfte, ob Bürgermeister oder Geschäftsführer: Wenn wir von einer Idee, von einem Projekt überzeugt sind, wollen wir es so schnell wie möglich in die Realität umsetzen. Dabei vergessen wir leider immer wieder, wie komplex und aufwendig größere Projekte in unserem Land geworden sind. An vielen Stellen vermisse ich einfach den notwendigen gesetzgeberischen Pragmatismus, der zu einer einfacheren Priorisierung unterschiedlicher Interessen führen sollte. Als Oberbürgermeister kann ich mich eben nur in den Grenzen, Funktionen und Aufgaben bewegen, die mir per Gesetz zugewiesen sind und die sind häufig sehr eng.

Und ja: Es ist eine Herausforderung, geduldig zu bleiben, und es nervt manchmal, wenn Verfahren langwierig und umständlich werden. Aber gerade deshalb ist es wichtig, den Fokus zu behalten und sich auch über kleine Fortschritte zu freuen. Die Balance zwischen ambitionierten Zielen und der Realität der Verwaltungsabläufe ist nicht immer einfach, aber wir arbeiten immer daran, den bestmöglichen Weg für unsere Stadt zu finden.

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Oberbürgermeister von Waldshut-Tiengen zu werden, bezeichneten Sie als ihr „Herzensangelegenheit“. Nach einem Jahr im Amt: Wie stark wird das Herzensanliegen von den Beschwernissen des Alltags belastet?

Waldshut-Tiengen bleibt meine Stadt, und das wird sich auch nicht ändern. Das Amt des Oberbürgermeisters ist für mich ein Privileg, für das ich mich in keiner anderen Stadt beworben hätte, weil ich der Überzeugung bin, dass man dieses Amt nur ausfüllen kann, wenn man die Stadt und ihre Menschen kennt und ein Gespür für die Bedürfnisse, Chancen und Risiken entwickelt hat.

Natürlich bringt der Alltag viele Herausforderungen und Schwierigkeiten mit sich, und es gehört auch eine gehörige Portion Selbstdisziplin dazu, sich die notwendigen persönlichen und familiären Freiräume zu schaffen – was mir zugegebenermaßen im ersten Jahr nicht immer gelungen ist. Trotz aller Belastungen bleibt es für mich eine Herzensangelegenheit, für diese Stadt zu arbeiten und das Beste für die Menschen hier zu erreichen.

Wie lautet Ihre persönliche Maßgabe für das zweite Amtsjahr?

Die Erfahrung des ersten Jahres hat mich gelehrt, dass ich morgens oft noch nicht weiß, was der Tag bringen wird, geschweige denn, was ich abends erledigt haben werde. Die Projekte und Herausforderungen sind jeden Tag neu und anders. Daher bleibt mein Motto auch für das zweite Amtsjahr gleich: Bleib immer offen für das, was kommt – und leiste dann das, was Du leisten kannst.

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