Dabei erinnere mich noch bestens, welche Aversion ich in meiner Kindheit gegen Frisör-Besuche hatte. Als blond gelockter Racker empfand ich es fast als Körperverletzung, wenn mein Haupthaar unter dem schnippischen Handwerk eines Barbiers fallen musste. Der Horror hatte einen Namen: „Fasson-Schnitt kurz“, so die Order meiner resoluten Mutter. Und der Frisör ihres Vertrauens fackelte nie lange.
Tränen flossen
Ich saß zu Tränen gerührt da, während die Haarpracht – schnipp-schnapp – schwand. Als Elfjähriger habe ich dann einmal allen Mut zusammengefasst und den Frisör gefragt, wie schnell Kopfhaar nachwächst. „Etwa 0,3 Millimeter pro Tag“, lautete die frustrierende Auskunft. Soviel Kopfrechnen beherrschte ich damals schon, dass mir klar war: es wird Monate dauern, bis die vormalige Lockenpracht wieder hergestellt ist.
Als 16-Jähriger hatte ich längst Autonomie-Status in Sachen Frisör erlangt. Es traf sich gut, dass Mitte der 1970er-Jahre lange Haare zum guten rebellischen Ton gehörten (im provinziellen Waldshut dauerte es etwas länger, bis die Hippie-Bewegung ankam). Wurde dann aber mal ein Mathe-Test vergeigt, hatten die Altvorderen gleich einen haarigen Kommentar parat: „Lange Haare, kurzer Verstand!“
Ungutes Gefühl ist geblieben
Das war ursprünglich nur auf Frauen gemünzt und natürlich voll diskriminierend; in meinem besonderen Fall aber auch völlig an den Haaren herbei gezogen, weil es ja doch zu einem sehr ordentlichen Abitur gereicht hat. Entspannter wurden meine Frisör-Besuche erst, als ich erfuhr, dass ein regelmäßiger Schnitt den Haarwuchs kräftigt. Aber das ungute Gefühl lauert bis heute in meinem Unterbewusstsein. Wie sonst ist es möglich, dass ich mich schon bei solchen Äußerungen ertappt habe: „Bitte Haare schneiden. Also schon kürzer. Aber nicht zu kurz. Also schon noch lang. Also eigentlich wie jetzt – nur eben anders.“