Herr Kadrow, wir sitzen hier in der Flüchtlingsunterkunft, in der Sie vor neun Jahren selbst einmal Schutz suchten. Woher kamen Sie damals und welche Wege führten Sie nach Waldshut-Tiengen?
Ich kam im Jahr 2015 im Alter von 24 Jahren aus Syrien nach Deutschland. In meiner Heimat studierte ich BWL, doch der brutale Bürgerkrieg war in vollem Gange und ich sollte für das Militär eingezogen werden. Dem diktatorischen Regime wollte ich nicht dienen, aber wer sich weigert, kommt ins Gefängnis oder wird getötet. So flüchtete ich zunächst zu Verwandten in die Türkei und überlegte, wo es eine Zukunft mit Perspektive geben könnte. Ich wollte es in Deutschland versuchen. Da ich überhaupt nicht wusste, was mich in „Almanya“ erwartet, ging ich zunächst allein, sechs Monate später kam auch meine Frau, sie war damals 22 Jahre. Wir haben uns dann in Meßstetten hier in Baden-Württemberg registriert, danach wurden wir an die Gemeinschaftsunterkunft in der Badstraße in Tiengen zugewiesen. Dort lebten wir dann ein Jahr bis wir die Aufenthaltsbewilligung hatten und eine erste eigene Wohnung beziehen konnten. Mittlerweile wohnen wir in Waldshut.
Wie ging es hier vor Ort dann für Sie weiter? Haben Sie Kurse besucht oder konnten Sie eine Ausbildung machen?
Deutschland war für uns ein komplett neuer Lebensabschnitt. Wir mussten alles von Anfang an ganz neu erlernen, nicht nur die Sprache, auch die Kultur. Wir haben Deutschkurse besucht. Danach konnte ich bei der Post arbeiten. Eigentlich wollte ich wieder studieren, deshalb habe ich auch Deutsch auf C1-Niveau gelernt, aber die Universitäten sind weit weg von hier. Zudem besuchte meine Frau noch Deutschkurse hier vor Ort und wurde schwanger mit unserer Tochter. Sie ist jetzt sieben Jahre alt. Meine Frau macht gerade eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin. Nächsten Monat macht sie ihren Abschluss. Ich habe in Dogern eine kaufmännische Ausbildung gemacht. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen bin ich dann auf die Stellenanzeige vom Landratsamt gestoßen und habe mich als Heimleiter beworben. Ich bin sehr glücklich, dass das geklappt hat, auch wenn es manchmal stressig ist.

Wie viele Menschen leben derzeit in der Gemeinschaftsunterkunft? Und ist es schwierig, die unterschiedlichen Nationalitäten unter einen Hut zu bringen?
In der Badstraße leben derzeit 270 Geflüchtete, 40 davon sind Kinder. Und ja, es ist manchmal schwierig und es gibt auch mal Probleme oder Streitereien. Aber wir haben genug Erfahrungen gesammelt und können alles regeln. Als größte Gemeinschaftsunterkunft im Landkreis haben wir auch einen 24-Stunden-Security-Dienst, um die Ordnung und Sicherheit für alle zu gewährleisten.
Wie klappt es mit der Verständigung in der Gemeinschaftsunterkunft und wie lange sind die Bewohner durchschnittlich da?
Die Verständigung klappt mit Händen und Füßen sozusagen. Ich spreche Kurdisch, Arabisch und Deutsch auch schon mit ein bisschen Dialekt wie „gell“ oder „weisch“ und so weiter (lacht). Ich kann mich auch auf Türkisch verständigen. Im Zweifelsfall hilft die ÜbersetzungsApp. Die Mehrheit der Bewohner kommt aus der Türkei, Syrien und den Maghreb-Staaten, einige auch aus Georgien, Tschetschenien und Russland. In der Gemeinschaftsunterkunft können die Bewohner maximal zwei Jahre untergebracht werden. Wer eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, kann sich dann sofort eine Wohnung suchen.
Wie sieht Ihr Tagesablauf als Heimleiter aus?
Der Tagesablauf besteht hauptsächlich aus Kontrolle. Wir haben Belegungslisten und Programme im PC, in denen wir täglich Zahlen und Daten erfassen. Außerdem pflegen wir verschiedene Statistiken. Einmal im Monat kommen neue Flüchtlinge aus der LEA (Landeserstaufnahme) in Karlsruhe zu uns. Wir weisen sie in die Abläufe in der Unterkunft ein. Erhalten Menschen aus unserer Gemeinschaftsunterkunft keine Aufenthaltserlaubnis, finden sie eine Anschlussunterbringung, ziehen sie um oder reisen in ihr Heimatland zurück, melden wir sie bei der Gemeinde ab. Das passiert wöchentlich. Die Heimleitung ist zudem verantwortlich für die Organisation, Verwaltung und Belegung nach sozialverträglichen Gesichtspunkten in der Unterkunft und ist Ansprechpartner für die Gemeindeverwaltung, Feuerwehr, Polizei und Nachbarschaft.
Was mögen Sie an Deutschland besonders und was vermissen Sie aus Ihrer Heimat?
Ich mag die deutsche Sprache sehr und schätze den Frieden und die Sicherheit, in der ich meine Tochter aufwachsen sehen darf. Aus meiner Heimat vermisse ich vor allem meine Eltern, die ich seit der Flucht nicht mehr gesehen habe. Zum Glück haben sie noch ein Dach über dem Kopf. Nach Syrien kann ich nicht mehr zurück, da ich dort sofort verhaftet werden würde, aber wir wollen nächstes Jahr versuchen, uns in der Türkei zu treffen.